Ursprünglich wurde der Begriff «alternative Medien» in den 1970er-Jahren genutzt, um eher linke oder linksliberale Alternativen zu den klassischen Medien zu bezeichnen. Inzwischen hat sich der Begriff etabliert, um verschwörungsideologische und faktenverzerrende Angebote zu beschreiben. Die „Alternativen Medien“ im gegenwärtigen Verständnis nutzen hauptsächlich soziale Netzwerke zur Verbreitung ihrer Inhalte. Von YouTube-Shows über Telegramkanäle bis hin zu Facebook-Gruppen werden alle Möglichkeiten bespielt, um die eigenen Inhalte zu verbreiten. Dabei hat sich inzwischen ein Netzwerk aus Agitatoren entwickelt, die sich aufeinander beziehen und damit eine eigene Interpretation der Realität erschaffen.
In Krisen wie der Flüchtlingskrise, der Corona-Pandemie, dem Ukraine-Krieg und der Energie-Krise bieten «alternative Medien» ein klares Feindbild zur Orientierung. Die Kanäle senden genau das, was ihre Anhängerinnen und Anhänger sehen und hören wollen. Das verschafft ihnen treue Fans, die das Angebot weitgehendst unkritisch konsumieren.
Diese «Alternativmedien» sind ein Problem für die Demokratie. Sie produzieren und bewirtschaften mit Zuspitzungen, Polemik, Falschmeldungen und Verschwörungstheorien ein Milieu, das ständig aufgeregt ist und in einer apokalyptischen Stimmung gehalten wird. Ständig aufgeladen mit Empörungspotenzial lässt sich diese Masse leicht manipulieren und im Kampfmodus halten, weil ihr dauernd vermittelt wird, dass sie sich dringend wehren muss – und zwar an den angeblichen «Brennpunkten», die von dem «Alternativmedien» präsentiert werden.
Mit einer kritischen Auseinandersetzung, wie sie in einer Demokratie nötig ist, hat diese Agitation kaum etwas zu tun. Wird sie als «kritische Haltung» verkauft, liegt dem ein Missverständnis dessen zugrunde, was Kritik ist. Siehe dazu: Lob der Kritik.
«Alternative Medien» diffamieren klassische Medien oft pauschal als «Lügenpresse», «Systempresse» oder als «Mainstreammedien». Das sind Versuche, «Qualitätsmedien» zu delegitimieren und die Menschen an die eigenen alternativen Kanäle zu binden.
«Alternative Medien» unter die Lupe nehmen
Mit dem Begriff «Alternative Medien» sind hier Websites, Verlage und Social-Media-Kanäle gemeint, die sich selbst als «alternativ» bezeichnen in dem Sinne, dass sie «Wahrheiten» enthüllen, die von «Mainstreammedien» angeblich verschwiegen werden.
Kommen Medien mit diesem Anspruch daher, sollten sie kritisch unter die Lupe genommen werden:
- Wie gut sind diese angeblichen «Wahrheiten» belegt? Gibt es dafür fundierte Argumente oder Belege?
- Werden vor allem Emotionen und Stimmungen geschürt? Das systematische Schüren von Entsetzen, Wut, Angst und Hass ist ein charakteristisches Merkmal für Propaganda, Desinformation und Demagogie. Dass sind starke Anzeichen dafür, dass die Inhalte weit weg sind von einer allfälligen Wahrheit.
- Wer ist der Herausgeber? Wie wird die Website oder Publikation finanziert?
- Welche politische Agenda verfolgt das «Alternative Medium»? Welche Botschaft soll vermittelt werden? Und welche Handlungsaufforderungen werden transportiert?
- Wie differenziert werden Ereignisse, Personen, Ideen dargestellt? Gibt es Feindbilder? Schwarz-Weiss-Denken?
- Wird eine Opfermentalität gepflegt («Wir werden unterdrückt!») oder eine Widerstandserzählung («Achtung, es ist gefährlich, was wir sagen!»)? Solche Aussagen sind in Rechtsstaaten mit Meinungsfreiheit wie CH, D und A fragwürdig. Es ist sehr naheliegend, sie als Manipulationsversuch zu deuten.
- Trägt das Medium den Begriff «Wahrheit» wie eine Monstranz vor sich her? Damit wird in der Regel ein scharfer Gegensatz konstruiert zwischen «Wir enthüllen die Wahrheit» versus «Die anderen sind die Lügenpresse».
- Werden Propagandaschlagworte verwendet wie «Mainstreammedien» oder gar «Lügenpresse»? Solche pauschalen Rund-um-Schlag-Diffamierungen deuten auf Verschwörungstheorien hin und sind ausgesprochen manipulativ. Siehe dazu: Lügenpresse als Einbildung – Medienkrise als Realität
Social-Media-Algorithmen bevorzugen Erzählungen «alternativer Medien»
Entsetzen, Wut, Angst und Hass sind Inhalte, die sich im Internet vor allem über (a)soziale Medien stark verbreiten. Auf der individuellen Ebene lösen sie viel stärker den Impuls aus, Beiträge zu liken, zu teilen und zu kommentieren, als dies bei neutraleren und sachlicheren Beiträgen der Fall ist. Nur schon dadurch bekommen Inhalte «Alternativer Medien» mehr Reichweite. Darüber hinaus bevorzugen aber die Algorithmen der sogenannten sozialen Medien Beiträge, die viel geliked und geteilt werden. Solche Beiträge halten die Leute länger auf der Plattform, wodurch ihnen mehr Werbung gezeigt werden kann. Darum werden solche Beiträge von den Algorithmen bevorzugt weiterverbreitet. Deshalb werden Schrott-Beiträge, die hauptsächlich Propaganda, Desinformation und Demagogie transportieren, unverhältnismässig sichtbarer. Die hohe Reichweite mancher «Alternativer Medien» auf Social-Media-Plattformen ist deshalb kein Merkmal für Qualität oder Relevanz. Sie sind eher ein Hinweis darauf, dass die entsprechenden Posts gut zu den Anforderungen der Algorithmen passen.
Wer vor allem alternative Medien konsumiert, ist schlecht informiert
«Alternative Medien» brüsten sich zwar damit, „ohne Maulkorb“ die „Wahrheit“ zu schreiben. Dass solche Behauptungen sehr zweifelhaft sind, lässt sich zum Beispiel gut illustrieren anhand von Meldungen zur Coronakrise. Eine Studie der Universität Münster zeigt, wie «Alternative Medien» in ihren Berichten zu Covid-19 die Fakten verdrehen:
Verschwörungstheorien zum Coronavirus: Wie alternative Medien Fakten verdrehen
Auch über die Coronakrise hinaus hat sich gezeigt, wie schlecht Menschen informiert sind, die sich vor allem über «alternative Medien» informieren, beispielsweise via YouTube:
YouTube als Propagandakanal für Verschwörungstheorien
«Alternative Medien» und ihre politische Agenda
«Alternative Medien» haben in der Regel eine ausgeprägte politische Agenda – bei fehlenden journalistischen Standards. Diese Agenda ist oft prägnant rechtspopulistisch bis rechtsradikal. Es gibt jedoch auch Alternativmedien, die sich nicht so eindeutig im rechten Spektrum verorten lassen und eher linke, oder rechte und linke Positionen gemischt vertreten. Dann geht es oft um eine prägnante und pauschale Anti-Elite-Position. Die meisten Medien, die sich gegenwärtig im oben erwähnten Sinn als alternativ definieren, sind rechts bis extrem rechts positioniert, gründen auf der Propagandalüge der «Lügenpresse» und sind destruktiv für demokratische Gesellschaften.
Die Diskreditierung der «Mainstreammedien» ist eine politische Strategie insbesondere der Rechtspopulisten und Rechtsextremen. Sie führen eine erbitterte Kampagne gegen etablierte Medien, um im nächsten Schritt auf ihre eigenen zu verweisen.
Spezialfall: Russische Propagandakanäle als «Alternativmedien»
Ein spezieller Fall sind russische Propagandamedien wie RT (Russia today) und Sputnik / SNA. Sie präsentieren sich als alternative Medien und nehmen für sich in Anspruch, von hiesigen Regierungen und Medien verschwiegene Wahrheiten offenzulegen. Ihre politische Agenda wird im Kreml festgelegt und ihr Betrieb mit sehr grossen staatlichen Geldmengen ermöglicht. Dass sie sich bei uns im Westen als Kämpfer für Meinungsvielfalt präsentieren ist besonders skurril, gibt es doch in Russland neben den Staatsmedien keinen Spielraum mehr für Alternativen mit Meinungen, die von der Linie des Regimes abweichen.
Russische Propagandakanäle funktionieren nach dem 60/40-Prinzip. Die Mehrheit der Berichte ist ziemlich neutral und nur eine Minderheit ist propagandistisch. Häufig werden solche Desinformationen als etwas dargestellt, das die Regierung vor der Gesellschaft geheim halten will, womit Verschwörungstheorien gefördert werden. Russische Propagandamedien appellieren auf kreative Art an die Emotionen und Schwachstellen der jeweiligen Gesellschaft und verstärken gezielt Spaltungen in demokratischen Ländern. Für das Publikum stellt sich Russland dabei oft als Opfer westlicher Verschwörungen dar.
Russische Propagandamedien mischen sich im Westen mit Falschmeldungen, Verschwörungstheorien und einseitiger Berichterstattung zugunsten von Rechtsextremen wie Marin Le Pen in Wahlkämpfe ein. In der Coronakrise engagieren sie sich durch die Verbreitung zahlreicher Falschmeldungen und Verschwörungstheorien.
Siehe dazu:
Propagandamedien aus Russland fluten Westen mit Corona-Falschmeldungen
Dass russische Propagandamedien im Westen derart stark mit Falschmeldungen und Verschwörungstheorien «engagiert» sind, ist bemerkenswert. In Russland selber sind «Fake News» zur Coronakrise verboten (wobei das Regime bestimmt, was Fake News sind).
Medienkritik ist nötig – demagogische Diffamierung aber destruktiv
In demokratischen Gesellschaften ist es selbstverständlich nötig und möglich, Medien zu kritisieren. Kritik unterscheidet sich aber fundamental von demagogischen Diffamierungen («Lügenpresse»), die von «Alternativen Medien» gerne gestreut werden. Alternativmedien diffamieren «Mainstreammedien», um ihre eigene Position zu verbessern.
Kritik dagegen unterstellt nicht pauschal «Lügen» – und vor allem nicht allen Medien und allen Beiträgen.
Kritik differenziert. Sie sagt:
Diese bestimmte Aussage in dieser Meldung ist falsch, weil……(Argument 1, Argument 2…).
Siehe dazu auch wie schon oben erwähnt: Lob der Kritik
Klassische Medien machen auch Fehler. Oder sie fallen auf Betrüger herein, wie der Fall Claas Relotius beim «Spiegel» zeigt. Gerade der Fall «Relotius» illustriert aber auch, dass es bei den klassischen Medien selbstkritische Auseinandersetzung gibt. Der Fall Relotius wurde von einem (Spiegel)-Journalisten durch intensive Recherchen und teilweise gegen Widerstände der Redaktion aufgedeckt. Und der «Spiegel» hat den Fall intern aufgearbeitet.
Darüber hinaus gibt es für klassische Medien Kontrollorgane wie den Presserat (in Deutschland, in der Schweiz, in Österreich). Innerhalb der Alternativmedien-Szene fehlt die kritische Auseinandersetzung dagegen weitestgehend. Aufgrund ihrer oft sehr ähnlichen politischen Agenda stehen sie in ihrem Selbstverständnis im gleichen Lager, verlinken sich gegenseitig und unterstützen sich. Da pickt eine Krähe der anderen kaum ein Auge aus.
Zur schwierigen Lage der Medien hat Matthias Zehnder ein informatives und auch kritisches Buch geschrieben mit dem Titel «Die Aufmerksamkeitsfalle». Eine Zusammenfassung dieses Buches gibt es hier:
Wie Medien via Aufmerksamkeitsfalle den Populismus fördern
Alternativmedien fördern toxisches Misstrauen
Mit ihren pauschalen Diffamierungen und der Bewirtschaftung von Hass, Wut und Angst fördern die Alternativmedien toxisches Misstrauen und toxischen Zweifel. Und diese unterscheiden sich fundamental von gesundem Misstrauen und gesundem Zweifel.
Mehr zu diesen wichtigen Unterschieden hier:
Über toxische Zweifel und toxisches Misstrauen
Als Folge davon kann sich eine Verschwörungsmentalität ausbreiten. Sie untergräbt das Vertrauen in demokratische Institutionen und Prozesse und ist deshalb eine Gefahr für demokratische Gesellschaften.
Selbsternannte Alternativmedien führen also nicht nur mit grosser Wahrscheinlichkeit einzelne Individuen in die Irre. Sie wirken durch Desinformation und Polarisierung auch destruktiv auf demokratische Gesellschaften.
Quelle:
Verschwörungserzählungen:
Cui bono? Agitatoren der verschwörungsideologischen Szene
(Bundeszentrale für politische Bildung)
Ergänzungen:
☛ Beispiele für «Alternative Medien», die auf dieser Website näher vorgestellt werden sind das Compact-Magazin und der Kopp-Verlag, die beide in den Bereichen Verschwörungstheorien und Rechtsextremismus aktiv sind:
Compact-Magazin: Verschwörungstheorien, Rechtsradikalismus, Kremlpropaganda
Kopp-Verlag: Desinformation als Geschäftsmodell
☛ Sinan befasst sich in seinem YouTube-Kanal mit der eigenartigen Verbindung zwischen «Querdenkern» und russischen Propagandakanälen. Skurril ist dabei unter anderem, dass «Querdenker» in Deutschland, Österreich und der Schweiz die öffentlich-rechtlichen Medien bzw. in der Schweiz Service-Public-Medien fälschlicherweise als «Staatsmedien» verdammen. Den 100%igen Staatsmedien aus Russland, die direkt vom Staat finanziert werden und voll weisungsgebunden sind, fressen sie aber kritiklos und blindgläubig aus der Hand.
Zur Corona-Pandemie:
QUERDENKER verbreiten Staatsfunk & Propaganda | SinansWoche DIE SHOW:
Zum Ukraine-Krieg:
Querdenker und die russische Propaganda | SinansWoche DIE SHOW: