Verschwörungstheorien sind selbstverständlich kein ausschliesslich rechtsextremes Phänomen. Bei Rechtsextremen funktionieren sie jedoch sehr gut. Als Teil der rechtsextremen Ideologie fördern sie ein einfaches Weltbild, das die Einteilung der Welt in Gut und Böse erleichtert. Verschwörungstheorien gehören deshalb zum Kern des Rechtsextremismus.
Zur Funktion von Verschwörungstheorien im Rechtsextremismus
Verschwörungstheorien sind oft eine Art von Einstiegsdroge in rechtsextremes Denken. Sie helfen aber auch generell bei der Produktion und Bewirtschaftung von Sündenböcken und Feindbildern. Sie mobilisieren die eigene Gruppe und fördern den Zusammenhalt (DIE gegen UNS).
Problematisch ist, dass viele Verschwörungstheorien ein Bild existenzieller Bedrohung propagieren. Es geht letztlich um Leben oder Tod. Apokalyptische Visionen, Vorstellungen von Zusammenbruch und Weltuntergang, können den Glauben an gesellschaftliche und politische Lösungen zersetzen. Das kann die Gewaltbereitschaft stark steigern.
Verschwörungstheorien ermöglichen darüber hinaus die Inszenierung eines konstanten Opferstatus für die eigene Gruppe, für die «Rasse» und für die Nation. Dieses Konstrukt aus Verschwörungstheorien, zugehörigen Feindbildern und Opferfantasien dient unter anderem als Rechtfertigung für Gewalt. Das zeigt sich immer wieder bei rechtsextremen Attentaten und Terroranschlägen Die Rechtfertigungsversuche der Täter inszenieren oft eine Opfer-Täter-Umkehr.
Siehe dazu: Verschwörungstheorien als Katalysatoren von Gewalt.
Verschwörungstheorien helfen Rechtsextremen und Rechtspopulisten aber auch bei der Delegitimierung des demokratischen Gesellschaftssystems und seiner Institutionen. Siehe dazu auch:
Warum sind Verschwörungstheorien eine Gefahr für demokratische Gesellschaften?
Verschwörungstheorien und Populismus.
Was ist Rechtsextremismus?
An dieser Stelle sollte wohl zuerst genauer geklärt werden, was unter Rechtsextremismus zu verstehen ist. Das ist nicht einfach, weil es keine verbindliche wissenschaftliche Definition für diesen Begriff gibt. Auch handelt es sich dabei um ein historisches und zugleich politisches Phänomen, das Wandlungsprozessen unterliegt.
Ralf Melzer (2018) umschreibt das Phänomen «Rechtsextremismus» so:
«Rechtsextremismus ist eine Weltanschauung und/oder eine politische Handlungsweise, die auf Nationalismus, völkischem Denken und einem rassistischen Menschenbild basiert. Rechtsextremismus ist (offen) demokratiefeindlich, indem er das parlamentarisch-pluralistische, liberale Gesellschaftsmodell ablehnt und stattdessen einen autoritären Staat, oftmals in Anlehnung an den nationalsozialistischen Führerstaat propagiert. Rechtsextremismus geht häufig mit Gewaltbereitschaft bzw. mit dem Einsatz von Gewalt als Mittel zur Durchsetzung seiner politischen Ziele einher. Zentrales Merkmal ist dabei Antisemitismus in Verbindung mit Leugnung, Verharmlosung oder Gutheissung der Shoah sowie mit einer positiven Sichtweise von Faschismus und Nationalsozialismus.»
Eine ausführlichere Beschreibung des Begriffs Rechtsextremismus bietet Brigitte Bailer-Galanda auf der Website des «Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes».
Seit dem Zweiten Weltkrieg existieren europaweit und auch in weiteren Ländern neofaschistische/neonazistische bzw. rechtsextreme Parteien, denen immer wieder auch der Einzug in Parlamente gelingt. Die organisierte Form des Rechtsextremismus zeigt sich jedoch nicht nur in Form von politischen Parteien, sondern oft auch bzw. gleichzeitig in Gestalt von sozialen Bewegungen, Vereinen, Verbänden oder losen regionalen Zusammenschlüssen und Aktionsgruppen («Kameradschaften», Rechtsrock-Festivals, Kampfsportgruppen usw.).
Mit der fortschreitenden Digitalisierung der Gesellschaft und der zunehmenden Dominanz (a)sozialer Medien hat auch der Rechtsextremismus seinen Charakter verändert. Er ist dezentraler geworden und findet heute als digitale Bewegung zusammen, ohne sich wirklich zu organisieren. Er kommt zunehmend ohne eindeutiges organisatorisches Zentrum aus. Unangefochtene Führerfigur, straffe Parteiorganisation, militärisch aufgestellte, einschüchternde Sturmabteilungen, zentrale Propagandamedien, kontrollierte Massenagitation via Top-down-Inszenierungen des Führers auf Parteikongressen oder One-to-many-Kommunikation über Radioansprachen sind Elemente, die nicht mehr zwingend zum Auftreten gehören und in den Hintergrund treten. Der dezentralisierte, digitale Rechtsextremismus ist eher als horizontales, soziales Phänomen zu verstehen und weniger als hierarchisches Geschehen. Er kennt zwar Leitfiguren im Netz und auf Kundgebungen, aber nicht die eine zentrale Führergestalt. Der digitale Rechtsextremismus ist bestens vernetzt und auch strategisch aufgestellt, aber nicht auf ein einheitliches Zentrum hin organisiert. Dadurch ist er schwieriger fass- und erkennbar. Vertiefte Informationen dazu liefern Fielitz/Marcks in «Digitaler Faschismus» (2020).
Umstrittener Extremismus-Begriff
Auch der Extremismus-Begriff ist nicht einfach zu fassen und wird kontrovers diskutiert. Seine Verwendung geht oft mit einer impliziten oder expliziten Gleichsetzung von Rechtsextremismus und Linksextremismus (bzw. Nationalsozialismus und Bolschewismus) einher, was zu einer Relativierung des Nationalsozialismus und seiner Verbrechen führen kann.
Der Extremismus-Theorie liegt zudem die Annahme zugrunde, dass der demokratische Verfassungsstaat in der Mitte «gesund» sei und (gleichermassen) von Linksextremisten und Rechtsextremisten bedroht. Einer kritischen Überprüfung hält diese Theorie nicht stand. Studien der Einstellungsforschung kommen seit langem zum Schluss, dass rechtsextreme Haltungen – in unterschiedlicher Stärke – in allen Teilen der Gesellschaft anzutreffen sind. Sie kommen auch vor bei Wählerinnen und Wählern demokratischer Parteien und sogar bei Personen, die sich selbst als politisch «eher links» einstufen. Rechtsextreme Haltungen sind deshalb nicht nur ein Problem des rechten Randes. Sie kommen auch in der Mitte der Gesellschaft vor. Das erleichtert es auch rechtsextremen Verschwörungstheorien, in die Mitte der Gesellschaft vorzustossen.
Typische rechtsextreme Verschwörungstheorien
Im Rechtsextremismus gibt es einerseits alte, quasi traditionelle Verschwörungstheorien. Andererseits nutzen Rechtsextreme auch aktuelle Gelegenheiten, um Verschwörungstheorien zu bewirtschaften, zum Beispiel anlässlich der Flüchtlingskrise 2015 und der Coronakrise 2020/2021. Medial stehen diese aktuellen gegenüber den traditionellen Verschwörungstheorien oft im Zentrum. Sie kommen oft in Krisensituationen auf und bekommen dann viel Aufmerksamkeit. Oft werden diese aktuellen Verschwörungstheorien anschliessend wieder mit den alten, traditionellen Verschwörungstheorien verknüpft.
Beispiele:
☛ Jüdische Weltverschwörung / ZOG
Die Verschwörungstheorie von der «Jüdischen Weltverschwörung» war ein zentrales Element der nationalsozialistischen Ideologie. Sie stützte sich stark auf die gefälschten «Protokolle der Weisen von Zion», die bis in die Gegenwart hinein von Rechtsextremen als vermeintlicher Beleg für ihre abstrusen Glaubenssysteme herangezogen werden. Mehr zur «Jüdischen Weltverschwörung» hier: Antisemitismus und Verschwörungstheorien.
ZOG ist eine sehr beliebte Abkürzung in der rechtsextremen Szene und steht für „Zionist Occupied Government“, also eine «zionistisch besetzte Regierung». Das ist eigentlich nur ein Code-Wort für die «Jüdische Weltverschwörung». Gemeint ist damit, dass diese Regierung – von welchem Land auch immer – letztlich von Juden, dem «Weltjudentum» gesteuert wird.
☛ Holocaust-Leugnung
Die Leugnung bzw. Relativierung des Holocaust dient den Rechtsextremen insbesondere als eine Form der Entschuldung der Nazis bzw. des «Dritten Reiches». Nach dem Motto: «Das war gar nicht so schlimm damals» oder «Das hatte auch sein Gutes!».
☛ Antiamerikanismus
Antiamerikanismus basierte und basiert auf unterschiedlichen weltanschaulichen Hintergründen. Antiamerikanische Bezüge sind am rechten und linken Rand des politischen Spektrums zu beobachten. Im deutschen Rechtsextremismus spielt dabei wohl noch eine «offene Rechnung» eine Rolle, weil die USA zu den Siegermächten gegenüber dem «Dritten Reich» gehören. Die verbreitetste antiamerikanische Verschwörungstheorie der Rechtsextremen dürfte sich wohl um die Anschläge vom 11. September 2001 (9/11) auf das World Trade Center drehen.
In Bezug auf die Suche nach den Verantwortlichen und die Motivation für die Anschläge gibt es auch in der rechtsextremen Szene unterschiedliche Varianten: Der israelische Geheimdienst Mossad habe die USA damit zu einem stärkeren pro-israelischen (und militärischen) Engagement im Nahen Osten zwingen wollen; der militärisch-industrielle Komplex habe aus Profitgier einen neuen Krieg im Nahen Osten auslösen wollen; Neokonservative um Präsident George W. Bush hätten ein neues Pearl Harbour erschaffen wollen, um einen Krieg im Nahen Osten rechtfertigen zu können; Al-Qaida habe die Angriffe geplant und durchgeführt, aber die Bush-Administration habe von diesen Absichten gewusst und sie geschehen lassen, um politisch Kapital daraus zu schöpfen oder um Unternehmen, an denen Bush und sein Umfeld Anteile hielten, vom Krieg im Nahen Osten profitieren zu lassen; Die Anschläge von 9/11 seien Teil des Plans zur Realisierung einer New World Order gewesen.
☛ Rudolf Hess
Eine rechtsextreme Verschwörungstheorie besagt, dass der ehemalige Stellvertreter des Führers sich im Gefängnis nicht umgebracht hat, sondern (vom britischen Geheimdienst) ermordet wurde. Auch wird sein Flug nach England glorifiziert.
☛ NSU
Um das rechtsterroristische Neonazi-Netzwerk «Nationalsozialistischer Untergrund» (NSU) ranken sich in der rechtsextremen Szene verschiedene Verschwörungstheorien. Das verschwörungsideologische Compact-Magazin widmete dem Thema gleich zwei Sonderhefte. Rechtsextreme streuen insbesondere die Behauptung, dass es den NSU als rechtsextreme Terrorzelle nie gegeben habe. Sie stellen den NSU als eine reine Erfindung deutscher Geheimdienste dar, als „false-flag-operation„.
☛ Neuschwabenland
Zu den abenteuerlichsten rechtsextremen Verschwörungstheorien zählt die Annahme, dass Teile der nationalsozialistischen Elite sich vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs in die Antarktis abgesetzt hätten und dort noch immer eine Basis namens Neuschwabenland betrieben. Geglückt sei ihnen die Flucht mittels Reichsflugscheiben, die als geheime Wunderwaffen von den Nazis entwickelt worden seien. Siehe: Neuschwabenland – Mythos und Verschwörungstheorie
☛ BRD-GmbH
Aus der Reichsbürgerbewegung stammt die Behauptung, die Bundesrepublik sei kein Staat, sondern eine privatrechtliche Organisation. In diesem Zusammenhang taucht die Erzählung von der «BRD GmbH» auf. Da zwischen Rechtsextremismus und Reichsbürgertum Verbindungen bestehen, kommt die Rede von der BRD-GmbH auch in rechtsextremen Kreisen vor.
☛ Turner Diaries
Bei den «Turner-Tagebücher» („The Turner Diaries“) handelt es sich um einen antisemitischen Roman des US-Rechtsextremisten William Luther Pierce (1933 – 2002). Im Buch beschreibt der Autor eine „weiße Revolution“, in der die Protagonisten als „einsame Wölfe“ („Lone Wolfs“) nach dem Konzept des „führerlosen Widerstands“ („Leaderless Resistance“) kämpfen. Dabei wird unter anderem ein Autobomben-Anschlag auf die FBI-Zentrale geschildert. Die rechtsextreme Verschwörungstheorie der Turner-Tagebücher inspirierte den Rechtsextremen Timothy McVeigh zum Bombenattentat von Oklahoma City. Dieses Attentat kostete 168 Menschen das Leben, darunter 19 Kinder.
☛ Esoterischer Hitlerismus
Den Begriff «Esoterischer Hitlerismus» prägte der Antisemit, Verschwörungstheoretiker, Esoteriker, Holocaustleugner und Nationalsozialist Miguel Serrano. Der «Esoterische Hitlerismus» ist ein Beispiel für die Verschmelzung von Esoterik, Antisemitismus, Verschwörungstheorien und Rechtsextremismus.
☛ Grosser Austausch
Der „Grosse Austausch“ (oder auch die «Umvolkung) ist eine der gefährlichsten Verschwörungsideologien von Rechtsextremen und Rechtspopulisten. Sie wurde als Rechtfertigungsversuch für eine Reihe von Attentaten verwendet (z. B. El Paso, Christchurch, Kassel, Halle). Gemeint ist mit diesem Begriff die hochgradig irreale Vorstellung, dass Migration durch „Eliten“ planmässig gesteuert wird. Dadurch soll die einheimische Bevölkerung durch Migrantinnen und Migranten ausgetauscht werden. Nicht selten wird konkret der jüdische Investor und Philanthrop George Soros als geheimer Lenker der Flüchtlingsströme beschuldigt, wodurch diese Verschwörungsideologie noch einen antisemitischen Aspekt bekommt. George Soros ist ein Lieblingsfeind der Rechtsextremen und Rechtspopulisten. Er wurde als Feindbild und Sündenbock systematisch aufgebaut, zuerst vor allem durch Viktor Orban.
☛ Coronakrise
Die Corona-Pandemie bietet Verschwörungsideologen und Rechtsextremen ein optimales Betätigungsfeld. Rechte Narrative, Symbole und rechte Verschwörungstheorien prägen die Corona-Proteste. Rechtsextreme vereinnahmen die Demonstrationen, um zu behaupten, „das Volk“ erhebe sich nun endlich. Rechtsextreme Demokratiefeinde spielen sich in diesem Kontext als Verteidiger von Freiheit, Demokratie und Grundgesetz auf. Sie vernetzen sich mit esoterisch geprägten Corona-Leugnern und haben sehr gute Chancen, ihre Ideologie in die Mitte der Gesellschaft einfliessen zu lassen. Siehe dazu:
Rechtsextreme kapern Demonstrationen gegen Corona-Regeln
QAnon: Rechtsextreme kapern Corona-Proteste
Amerikas Rechtsextreme nutzen die Coronakrise für ihre Zwecke
Coronakrise: Rechtsextreme Verschwörungstheorien im Aufwind
Nazi-Propaganda und Desinformation zur Corona-Pandemie
Innenminister warnt vor Instrumentalisierung der Coronakrise durch Rechtsextremisten
– Hochwasser-Verschwörungstheorien
Wie rasch Rechtsextreme und andere Verschwörungsgläubige auf aktuelle Ereignisse reagieren, zeigen ihre Aktivitäten nach der Hochwasser-Katastrophe im Juli 2021. Rechtsextremisten und «Querdenker» spielen sich zu Fluthelfern auf, verbreiten Falschmeldungen und abstruse Verschwörungstheorien, ziehen hilfsbereiten Bürgern Spendengelder aus der Tasche. Für Rechtsextreme geht es dabei um die Delegitimierung staatlicher Institutionen als Vorbereitung auf den ersehnten Umsturz. Ein Beispiel ist der Verschwörungsideologe und Hassprediger Attila Hildmann. Er unterstellt der «Firma BRD» faktenfrei, die Flutkatastrophe absichtlich herbeigeführt zu haben. Silberjodid sei in die Wolken gespritzt worden, um die Regenflut auszulösen, behauptet der Kochbuchautor. Siehe dazu: Attila Hildmann mit Hochwasser-Verschwörungstheorie.
Die Beispiele konnten hoffentlich die engen Verbindungen zwischen Verschwörungstheorien und Rechtsextremismus aufzeigen.
Quellen:
Ralf Melzer, «Rechtsextremismus», in: Helmut Reinalter (Hg.), «Handbuch der Verschwörungstheorien», Salier Verlag 2018.
Maik Fielitz / Holger Marcks, „Digitaler Faschismus“, Dudenverlag 2020.
Katharina Nocun / Pia Lamberty, „Fake Facts – Wie Verschwörungstheorien unser Denken bestimmen“, Quadriga Verlag 2020.
Johannes Baldauf, Jüdische Weltverschwörung, UFOs und das NSU-Phantom (Bundeszentrale für politische Bildung)