Eine Verschwörungsmentalität gilt in der Psychologie als ein stabiles Persönlichkeitsmerkmal. Menschen mit einer Verschwörungsmentalität zeigen eine starke Tendenz, an Verschwörungstheorien zu glauben. Sie denken, dass die Welt von verborgenen Mächten beherrscht wird. Vermutlich weil sie selbst eine gewisse Machtlosigkeit empfinden. Oft sind diese Menschen Anhänger von verschiedenen Verschwörungstheorien, selbst wenn diese sich logisch ausschliessen.
Verschwörungsmentalität kann auch als generalisiertes Misstrauen gegenüber Personen und Gruppen aufgefasst werden, die als mächtig empfunden werden. Dies erklärt beispielsweise, weshalb Personen, die an Verschwörungstheorien glauben, insgesamt eher vorurteilsbehaftet sind gegenüber der Wissenschaft, Medizin und Politik.
„Eine Verschwörungsmentalität geht einher mit Gefühlen von Misstrauen Behörden gegenüber, Unzufriedenheit, Kontrollverlust, was das eigene Leben betrifft und einem geringen Selbstwertgefühl, aber z.T. auch mit dem Gefühl, einzigartig zu sein (sich abzuheben aus der ‚naiven Schafherde’ die alles glaubt) und einer starken Identifikation mit einer bestimmten Gruppe (soziale Identität)……
Unterstützt wird eine Verschwörungsmentalität zudem durch das Internet, das verschwörerische Botschaften genau so verbreitet wie z. B. seriöse journalistische Inhalte und dadurch, dass Menschen dazu neigen, Informationen so auszuwählen und zu interpretieren, dass sie den eigenen Erwartungen entsprechen (confirmation bias, bewirkt Befriedigung von Orientierung anstatt zusätzlich Verwirrung) und schliesslich auch durch Algorithmen, die empfehlen ‚was uns auch noch interessieren könnte’.“ (Quelle: Klaus-Grawe-Institut)
Eine Extremvariante der Verschwörungsmentalität mit Misstrauen gegen Behörden und oft grosser Gewaltbereitschaft zeigt sich in der Reichsbürgerbewegung. Die Reichsbürgerbewegung ist insbesondere in Deutschland relevant und wurde in ihrer Gewaltbereitschaft lange unterschätzt. Bei uns in der Schweiz gibt es eher Einzelfiguren mit fundamentalem Misstrauen gegen Behörden, die als sich dann oft einen Ruf als Querulanten einhandeln.
Auch milde Verschwörungsmentalität mit Risiko
Es gibt aber auch weiter verbreitete und eher „mildere“ Varianten der Verschwörungsmentalität, die gesellschaftlich trotzdem destruktiv wirken können. Dabei handelt es sich nicht um ausgebaute, umfassende Verschwörungstheorien, sondern eher um unspezifische, vage Verschwörungsgerüchte. Es sind oft nur Andeutungen und in den Raum gestellte Fragen (Könnte das Coronavirus nicht als Biowaffe entwickelt worden sein?). Der Konjunktiv entlastet davon, ernsthafte Argumente und Begründungen liefern zu müssen.
Weil sie so offen lassend und diffus sind, bleiben solche Verschwörungsgerüchte für viele Menschen anschlussfähig. Mit ihren Lücken bilden sie eine Projektionsfläche, die von den Angesprochenen mit eigenen Vorstellungen gefüllt werden können.
Diese mildere Variante der Verschwörungsmentalität ist in manchen Kreisen recht verbreitet. Sie ist destruktiv, weil sie das Vertrauen in demokratische Institutionen unterminiert. Menschen mit dieser Verschwörungsmentalität schätzen sich selber oft einfach als „kritisch“ ein. Dabei wäre aber zu klären, ob ein gesundes oder ein toxisches Misstrauen vorliegt.
Siehe dazu:
Über toxische Zweifel und toxisches Misstrauen
Liegt eine Verschwörungsmentalität vor, ist sie oft verbunden mit toxischem Zweifel und toxischem Misstrauen.
Verschwörungsmentalität und Alternativmedizin
Die Verschwörungsmentalität wird auch gefördert in manchen Kreisen der Alternativmedizin, wenn undifferenziert von „Pharmaverschwörung“ oder „Impfverschwörung“ geraunt wird. Hier fehlt es an einer sorgfältigen Differenzierung zwischen nötigem gesundem Misstrauen bzw. gesundem Zweifel, und einem toxischen Misstrauen bzw. toxischem Zweifel. Siehe dazu hier: Über toxische Zweifel und toxisches Misstrauen
Zudem legen wissenschaftliche Studien Zusammenhänge zwischen Verschwörungstheorien und Alternativmedizin nahe. Je stärker eine Person zu Verschwörungstheorien neigt, desto stärker befürwortet sie auch Alternativmedizin bzw. Komplementärmedizin, und desto mehr lehnt sie Impfungen und konventionelle Medikamente wie Antibiotika ab.
Mehr dazu hier:
Verschwörungstheorien und Alternativmedizin – wie hängt das zusammen?
Die Mitte-Studie
Die Verschwörungsmentalität hat politisch einschneidende Folgen. Das zeigt eine Untersuchung der Konfliktforscher der Universität Bielefeld im Auftrag der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung in Deutschland. Die sogenannte Mitte-Studie erfasst seit 2002 antidemokratische Einstellungen in der deutschen Bevölkerung. Laut der Studie hängen Demokratiefeindlichkeit und Verschwörungstheorien zusammen.
Mittels Umfragen ermittelten die Bielefelder Wissenschaftler die gesellschaftliche Verbreitung von Verschwörungsmentalität und Wissenschaftsfeindlichkeit inklusive Klimawandelleugnung. Den Befragten wurden fünf Aussagen vorgelegt. Sie wurden dabei aufgefordert zu sagen, ob sie den folgenden Aussagen zustimmen oder nicht.
Der Tages-Anzeiger fasst die Ergebnisse zusammen:
- „Es gibt geheime Organisationen, die grossen Einfluss auf politische Entscheidungen haben. Zustimmung: 45,7 Prozent.
- Politiker und andere Führungspersönlichkeiten sind nur Marionetten von dahinterstehenden Mächten. Zustimmung: 32,7 Prozent.
- Die Medien und die Politik stecken unter einer Decke. Zustimmung: 24,2 Prozent.
- Ich vertraue meinen Gefühlen mehr als sogenannten Experten. Zustimmung: 50,4 Prozent.
- Studien, die einen Klimawandel belegen, sind meist gefälscht. Zustimmung: 11,6 Prozent.“
Im weiteren zeigte die Mitte-Studie, dass Männer (43,9 Prozent) tendenziell eher an Verschwörungstheorien glauben als Frauen (33,9 Prozent). Auch die Bildung spielt eine Rolle für die Verschwörungsmentalität. Personen mit niedrigem und mittlerem Bildungsniveau (48,6 Prozent respektive 42,2 Prozent) sind deutlich empfänglicher für Verschwörungstheorien als Menschen mit hohem Bildungsniveau (25,3 Prozent).
Keinen Einfluss hatten dagegen Alter, Wohnort und Beruf. Menschen, die Verschwörungstheorien zustimmen, beurteilen ihre eigene wirtschaftliche Lage allerdings tendenziell negativ.
Kontrollverlust fördert Verschwörungsmentalität
Menschen glauben vor allem dann an Verschwörungstheorien, wenn sie Kontrollverlust erleben. Das kann verschiedene Auslöser haben und sich unterschiedlich zeigen: zum Beispiel plötzliches Verlassenwerden nach einer langen Beziehung, kurzfristig unsichere Zeiten im Beruf oder gesamtgesellschaftliche Umbrüche. Der erlebte Kontrollverlust lässt sich kompensieren durch Aneignung von Welterklärungen, die keine sind. Diesen alternativen Erklärungen enthalten zudem Sündenböcke.
„Wer an Verschwörungen glaubt, ist demokratie- und menschenfeindlicher“, schreiben die Autoren der Mitte-Studie, und fahren fort:
„In Zeiten, in denen Nachrichten als ‚Fake News‘ abgetan und wissenschaftliche Erkenntnisse etwa zum Klimawandel offen infrage gestellt werden, scheint der Konsens darüber ins Wanken zu geraten, worauf wir uns noch verlassen können oder wollen.
Eine gesunde Skepsis gegenüber Autoritäten und Institutionen ist für eine Gesellschaft wichtig, aber wenn Verschwörungstheorien sogar Gewalt legitimieren, dann können sie den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die Demokratie als solche gefährden. Verschwörungstheorien finden teilweise hohen Zuspruch. So meinen 46 % der Befragten, es gäbe geheime Organisationen, die Einfluss auf politische Entscheidungen haben. Fast ein Viertel der Befragten meint, Medien und Politik steckten unter einer Decke, und jede zweite befragte Person gibt an, den eigenen Gefühlen mehr zu vertrauen als Expert_innen.
Jene, die solchen Verschwörungsmythen glauben, sind zugleich misstrauischer gegenüber dem politischen System und sie zeigen eine höhere Gewaltbereitschaft gegen andere und stärkere Abwertungen, zeigt die Studie.“
Themenbezogene Ergebnisse
Verschwörungsmentalität war bei folgenden Themen verbunden mit Ablehnung/Zustimmung:
Demokratiemisstrauen: Ablehnung 48,3% / Zustimmung 74,7%
Gewaltbilligung: Ablehnung 2,5% / Zustimmung 11,4%
Gewaltbereitschaft: Ablehnung 7,7% / Zustimmung 23,9%
Muslimfeindlichkeit: Ablehnung 8,4% / Zustimmung37,5%
Fremdenfeindlichkeit: Ablehnung 9,9% / Zustimmung 38,3%
Israelbezogener Antisemitismus: Ablehnung 13,9% / Zustimmung 38,3%
Abwertung von Sinti & Roma: Ablehung 15,1% / Zustimmung 38,0%
Sexismus: Ablehnung 4,2% / Zustimmung 16,5%
Abwertung asylsuchender Menschen: Ablehnung 44,2% / Zustimmung 67,9%
Abwertung von Trans*Menschen: Ablehnung 8,1% / Zustimmung 19,3%
Quelle: Mitte-Studie
Die Ergebnisse der Mitte–Studie zeigen deutlich, dass der Verschwörungsmentalität entgegen treten muss, wer Demokratie und Rechtsstaat schützen will.
Ausserdem:
Zum Thema „Verschwörungsmentalität“ gibt es hier Zitate aus einem Interview mit dem Sozialpsychologen Roland Imhoff: