Je stärker die Polarisierung in einer Gesellschaft, desto grösser der Schaden für die Demokratie. Zwischen Polarisierung und Verschwörungstheorien existieren viele Verbindungen. Die beiden Begriffe beeinflussen sich gegenseitig und in beide Richtungen.
☛ Die Polarisierung der Gesellschaft begünstigt Verschwörungstheorien.
☛ Verschwörungstheorien begünstigen Polarisierung.
In einer stark polarisierten Gesellschaft entstehen stark voneinander abgegrenzte Lager, oder «Stämme», die weitgehend in ihrer eigenen Welt leben. Als wahr wird hier angenommen, was zum Weltbild des eigenen «Stammes» passt. Als unwahr wird dagegen taxiert, was mit dem feindlichen Lager assoziiert erscheint. Wahrheit hat also kaum mehr etwa mit Fakten zu tun, sondern mit Gruppenzugehörigkeit. In diesem Klima spriessen die Verschwörungstheorien. Dem feindlichen Lager traut man alles Böse zu.
Verschwörungstheorien wiederum fördern die Polarisierung durch ihre starke Trennung der Welt in Gut und Böse. Die bösen Verschwörer stehen dem guten «Volk» gegenüber. Die «Aufgewachten», wie sich die Verschwörungsgläubigen oft selber nennen, den unwissenden «Schlafschafen».
Warum ist starke Polarisierung schädlich für die Demokratie?
Starke Polarisierung führt nicht nur dazu, dass die verschiedenen Lager in sehr unterschiedlichen Welten leben und sich kaum mehr auf eine gemeinsame Faktenbasis einigen können, was Problemlösungen schwierig macht. Sie bewirkt auch, dass die verschiedenen politischen Lager sich nicht mehr als Gegner gegenüberstehen, sondern als Feinde.
Zur Verdeutlichung des ausserordentlich wichtigen Unterschieds zwischen Gegnerschaft und Feindschaft hier ein Zitat aus dem Reclam-Bändchen von Marie-Luisa Frick:
„Gegner tragen ihre politischen Konflikte innerhalb eines Rahmens geteilter (demokratischer) Prinzipien aus: Sie betrachten einander als legitime Kontrahenten mit grundsätzlich legitimen Auffassungsunterschieden. Mouffe hat dafür die Bezeichnung agonistische Konflikte (nach griechisch agon, der Wettkampf) gewählt, die sie von antagonistischen unterscheidet. Erstere nehmen eine Form an, welche die politische Gemeinschaft nicht zerstört, da die Gegner sich durch ein gemeinsames Band, wie insbesondere das Bekenntnis zum demokratischen Rahmen ihres Konfliktes, verbunden fühlen. Agonistische Konflikte werden geprägt von Dissens und Einmütigkeit zugleich, sie drücken, wie Mouffe es nennt, »konfliktualen Konsens« aus. Solange sich politische Konflikte in diesem Sinne ausdrücken dürfen, so lange sei es unwahrscheinlich, dass sie gewaltvoll ausgetragen werden……
Unter demokratischen Bedingungen werden politische Konflikte diskursiv, d. h. mit Argumenten und ohne Rückgriff auf physische Gewalt, sowie unter wechselseitiger Anerkennung der Legitimität der Kontrahenten ausgetragen. Feinde hingegen verbindet kein gemeinsames Band an (demokratischen) Wettstreitregeln. Deshalb können solche Konflikte im äussersten Fall auf einer existenziellen Ebene zu einem Entweder-oder, d. h. der ultimativen Vernichtung des Kontrahenten, führen. Die Entscheidung dafür, wann es sich um Gegnerschaft oder aber Feindschaft handelt, kann dabei selbst ein politischer Konflikt auf der Metaebene sein.“
Quelle:
Zivilisiert streiten – Zur Ethik der politischen Gegnerschaft, von Marie-Luisa Frick
Reclam Verlag 2017
Anmerkungen zum Konzept der „Feindschaft“:
Im Kern geht es darum, dass sich bei Feindschaft ein ausschliessendes Entweder-oder entwickelt. „Du oder Ich“ ist das Leitmotiv – auch innerhalb der Polarisierung.
Die Feindschaft kann sich bis zur Vernichtung des Feindes steigern. Im Unterschied dazu akzeptieren sich Gegner im selben (politischen) Raum, auch wenn sie andere politische Projekte durchsetzen wollen.
Das Konzept der Feindschaft findet man vor allem an den politischen Rändern – im Rechtsextremismus und im Linksextremismus -, aber ebenfalls im Islamismus.
In den letzten Jahren breitet sich das Konzept der Feindschaft allerdings auch mit dem Rechtspopulismus aus. Dem Politologen Jan-Werner Müller zufolge ist ein zentrales Merkmal von Populisten die Überzeugung, dass sie, und nur sie, das „Volk“ repräsentieren. Und zwar ein als homogen fantasiertes Volk. Mit dieser Ausgangslage werden alle anderen politischen Positionen und Ansichten illegitim und zum Verrat am „Volk“. Feindschaft steht dadurch fast zwangsläufig im Raum.
Man sieht hier deutlich, dass Polarisierung auch ein verbindendes Element ist zwischen Rechtspopulismus und Verschwörungstheorien. Mehr zu diesem Zusammenhang hier:
Verschwörungstheorien und Populismus
Politikerinnen und Politiker, die Feindschaft zum politischen Gegner kultivieren, sollten in demokratischen Gesellschaften nicht gewählt werden. Dasselbe gilt für Politiker und Politikerinnen, die mit Verschwörungstheorien die Wählerinnen und Wähler zu manipulieren versuchen.
Siehe dazu:
Welche politischen Interessen stehen hinter Verschwörungstheorien?
Wahlbetrug / Wahlmanipulation als Unterstellung und Verschwörungstheorie
Warum sind Verschwörungstheorien eine Gefahr für demokratische Gesellschaften?