«Lügenpresse» ist ein irreführender und demagogischer Propagandabegriff von Verschwörungstheoretikern, Rechtsextremen und Rechtspopulisten.
Widerspruch zu und Kritik an politischen Positionen bilden eine Basis für die Art, wie Menschen in liberalen Demokratien die Regeln ihres Zusammenlebens bestimmen. Um möglichst zahlreichen Meinungen Gehör verschaffen zu können, sind Meinungsfreiheit und Pressefreiheit als Grundrechte in ihren Verfassungen festgeschrieben.
Rechtsextreme verbreiten seit dem Ende des 18. Jahrhunderts die verschwörungstheoretische Lüge von einer „Lügenpresse“ oder „Systempresse“.
Damit werfen sie allen Medien, die nicht ihre menschenfeindlichen und antidemokratischen Einstellungen teilen, vor, das «Volk» im Auftrag geheimer Eliten zu belügen. Eine derartige Steuerung findet aber nicht statt: Unterschiedliche Zeitungen, Radio- und Fernsehsender sowie Internetmedien bilden eine Vielzahl politischer und demokratischer Meinungen ab. Die behandelten Themen werden meistens durch sogenannte Nachrichtenfaktoren bestimmt (räumliche Nähe des Ereignisses, Status von beteiligten Personen etc.)
Die Berichterstattung der Medien muss auf nachprüfbaren Fakten aus seriösen Quellen bestehen. Falsche und fehlerhafte Berichterstattung kommt jedoch durchaus in allen Medien vor. In derartigen Fällen können in letzter Instanz Gerichte entscheiden, dass etwa eine Gegendarstellung geschehen muss. Auch gibt es gewisse Zwänge, die eine Bericht- erstattung beeinflussen können. So müssen sich beispielsweise Medieninhalte gut verkaufen, wenn die Macherinnen und Macher von dieser Arbeit ihre Miete etc. bezahlen wollen. Solche Fehler und Schwachstellen zu kritisieren ist legitim und nötig. Es ist aber falsch zu behaupten, alle liberalen und demokratische Medien würden bewusst dauernd Lügen verbreiten, nur weil das Geschriebene/Gesendete nicht der eigenen Überzeugung entspricht.
Quelle:
Lügenpresse als Einbildung
Der Lügenpresse-Vorwurf ist nur schon absurd durch seine allumfassende Pauschalität. Medien machen auch Fehler, berichten manchmal auch schlampig oder einseitig. Dafür dürfen und sollen sie kritisiert werden. Aber präzis: wer hat wann, was falsch gemacht.
Die Vorstellung, alle Medien würden durchgängig lügen ist abwegig. Die Behauptung, Angela Merkel (oder wer auch immer) schreibe den Medien vor, was sie zu berichten haben und was nicht, ist eine Propagandalüge.
Wir haben immer noch eine grosse Bandbreite an Medien. In der Schweiz von der linken Wochenzeitung bis zur rechten Weltwoche. Dazu unabhängige Service-Public-Medien von hoher Qualität, zum Beispiel die Radiosendung «Echo der Zeit». Sie bekommt für ihre journalistische Leistung regelmässig Bestnoten. Dann gibt es zum Beispiel das Online-Magazin Republik, das zu grossen Teilen von seinen Abonnentinnen und Abonnenten finanziert wird. Wir haben Medien, die in Konkurrenz zu einander stehen.
In dieser Medienlandschaft eine einheitliche Lügenfront herbei zu fantasieren, ist weit weg von der Realität.
Medienkrise als Realität
Realität ist dagegen, dass wir eine ausgewachsene Medienkrise haben. Dafür gibt es eine Reihe von Gründen:
– Im Internet hat sich eine Gratismentalität etabliert. Dass gute Information nicht kostenlos zu haben ist, gerät zunehmend in Vergessenheit. Das entzieht Medien finanzielle Ressourcen.
– Geld lässt sich im Internet vor allem über Klicks verdienen und viele Klicks erreicht man nur, wenn man die Aufmerksamkeit der Menschen bekommt.
Die Aufmerksamkeit der Konsumenten ist im Informationszeitalter zum unverzichtbaren Schlüsselgut der Medienanbieter geworden. Medien aller Art müssen sich diese Aufmerksamkeit um jeden Preis erkämpfen.
Und wie holt man sich Aufmerksamkeit? Durch Auffallen. Und wie fällt man auf?
Durch Emotionalisierung, Skandalisierung, Aufregung, Polarisierung, Kontrastierung. Provokationen, Tabubrüche.
Das schadet der Qualität vieler Medien und spielt dem Populismus in die Hände. Die Aufmerksamkeitsfalle der Medien hat Matthias Zehnder sehr gut beschrieben in seinem Buch «Die Aufmerksamkeitsfalle». Hier eine Zusammenfassung:
Wie Medien via Aufmerksamkeitsfalle den Populismus fördern
– Facebook und Google entziehen den Medien massiv Werbegelder, ohne dass sie selber journalistische Leistungen anbieten. Die klassischen Medien bluten zunehmend aus. Doch ohne fundierten Journalismus sieht es für Demokratie und Rechtsstaat gar nicht gut aus.
So sieht die Realität der Medienkrise aus. Würde es den Lügenpresse-Schreiern wirklich um die Qualität der Medien gehen, könnten sie sich an vielen Orten dafür engagieren: Ein Qualitätsmedium abonnieren, Organisationen unterstützen, die sich für Journalismus mit Zukunft einsetzten (z. B. Reporter ohne Grenzen). Aber es ist halt einfacher, «Lügenpresse» zu schreien….
Zur Propagandafunktion des Lügenpresse-Vorwurf
Verschwörungstheoretiker und Rechtsextreme diffamieren mit dem Vorwurf der Lügenpresse» die klassischen Medien, um die Menschen zu den eigenen «alternativen» Medien zu bringen – und die sind die wirklichen und konsequenten Lügner, Aufhetzer und Propagandaschleudern.
Zentral im Umgang mit Medien: Gesunden Zweifel pflegen – toxischen Zweifel meiden
Zweifel, ein kritisches Bewusstsein und ein gesundes Misstrauen sind für Medien, Wissenschaft und demokratische Gesellschaften unverzichtbar. Aber Zweifel und Misstrauen sind nicht immer und ausschliesslich positiv und konstruktiv. Es gibt toxischen Zweifel und toxisches Misstrauen, die von Verschwörungstheoretikern gepflegt und gefördert werden. So auch mit dem Begriff «Lügenpresse». Wer differenziert, kann Schlagwort wie «Lügenpresse» nicht mehr brauchen.
Hier gibt’s eine Einführung in die Unterschiede zwischen gesundem Zweifel und toxischem Zweifel.
Langzeitstudie:
Weitere Infos und Links zu den Themen „Lügenpresse“ und Medien:
☛ Zur toxischen Verschwörungstheorie von der «Lügenpresse» (Ausführungen des Philosophen Roland Kipke)
☛ Investigativer Journalismus und Verschwörungstheorien – wo liegen die Unterschiede?
☛ Alternative Medien als Verbreiter von Verschwörungstheorien
☛ Was meinen Extremisten eigentlich, wenn sie „Lügenpresse“ schreien?