Menschen, die stark an Verschwörungstheorien glauben, sind durch Fakten nur noch schwer erreichbar. Forscher des Massachusetts Institute of Technology (MIT) und der Cornell University untersuchten nun, ob der Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) mehr Erfolg dabei versprechen könnte, Verschwörungstheoretiker von ihrem Glauben abzubringen.
Sie verwendeten die bekannte KI Chat-GPT, die sie für ihr Experiment etwas anpassten. Als Gegner für das Sprachmodell gewannen sie dann mehr als 2000 Verschwörungsgläubige über eine Onlineplattform. Wer auf Nachfrage zugab, an eine Verschwörungstheorie zu glauben, wurde gebeten, diese aufzuschreiben, als Futter für die KI.
Die «SONNTAGSZEITUNG» beschreibt den Ablauf der Studie so:
«In drei Chat-Nachrichten sollte die KI sodann versuchen, die Glaubensgebilde mit harten Fakten ins Wanken zu bringen. Vor und nach den Chats wurden die Teilnehmenden gefragt, wie stark sie an die jeweilige Verschwörungserzählung glauben. Der Austausch mit der KI dauerte im Schnitt lediglich acht Minuten, hatte aber den Forschenden zufolge oft einen nachhaltigen Effekt: Ungefähr jeder Vierte habe nach dem Gespräch kaum noch an die eigene Verschwörungstheorie geglaubt.»
Tests zeigten im Nachgang, dass dieser Effekt über zwei Monate anhielt. Im Schnitt reduzierte sich der Glaube an die Verschwörungstheorie um 20 Prozent.
Funktioniert KI gegen Verschwörungstheorien auch in der Praxis?
Der Psychologe Gordon Pennycook war an der KI-Studie beteiligt. Er zeigte sich überzeugt, dass sein Team etwas Grosses entdeckt hat: «Unsere Arbeit stellt vieles auf den Kopf, was man bisher über Verschwörungstheorien geglaubt hat», erklärte er während einer Pressekonferenz. Die Studie zeige, dass Verschwörungstheoretiker doch nicht unrettbar verloren seien. Man müsse nur die richtigen Informationen zur Verfügung haben. Bisher galt es als ausgemacht, dass Fakten allein nicht ausreichen.
Die «SONNTAGSZEITUNG» hat Fachleute zu der Studie befragt. Michael Butter ist Professor für amerikanische Literatur und Kulturgeschichte an der Universität Tübingen und beschäftigt sich schon lange mit den Verschwörungstheorien von heute und früher. Er sagt:
«Wir wissen, dass Fakten sehr gut bei Leuten funktionieren, die sich vorstellen können, dass an einer Verschwörungstheorie etwas dran ist. Menschen, die schon fest an eine Verschwörung glauben, kann man davon kaum abbringen.» Echte Verschwörungstheoretiker seien in dieser Studie allerdings nicht oder kaum befragt worden, denn sie hätten zu wenig Vertrauen in die institutionelle Wissenschaft und würden an einem solchen Experiment wahrscheinlich nicht teilnehmen.
Roland Imhoff von der Universität Mainz ist optimistischer: «Die Forscher haben einen riesigen Effekt gefunden. Das achtminütige Gespräch hatte einen grösseren Einfluss auf die eigenen Überzeugungen, als ein ganzes Jahr Schule auf die Kompetenz hat.» Er weist aber darauf hin, dass auch nach der Intervention die meisten noch an ihrer Theorie festhalten, nur eben weniger stark. Am verblüffendsten fand Imhof, dass zahlreiche Menschen den Informationen der KI anscheinend mehr vertrauen als ihren kritisch eingestellten Nachbarn oder Freunden.
Studienautor Pennycook ist davon überzeugt, dass den Möglichkeiten dieser Technologie keine Grenzen gesetzt sind.
Risiken und Grenzen dieser Technologie
Solche Zukunftspläne hören sich für Roland Imhoff allerdings eher dystopisch an:
«Der KI zu überlassen, was wahr ist und was nicht, ist etwas, womit sehr viele Leute ein Problem haben werden, nicht nur Verschwörungstheoretiker.»
Darüber hinaus sieht er die Gefahr, dass dieselbe Technologie auch zur Verbreitung falscher Informationen verwendet werde: «Es gibt keinen Grund, warum Trollfabriken das nicht auch für ihre Zwecke nutzen sollten.»
Michael Butter zweifelt auch daran, dass durch den neuen KI-Bot Verschwörungstheorien nachhaltig bekämpft werden können:
«Was Menschen in Verschwörungstheorien hineintreibt, sind persönliche Schicksalsschläge und soziale Ungleichheiten, nicht ein Mangel an Informationen.» Man müsse die zugrunde liegenden Probleme an der Wurzel packen. Gegen die Vorstellung, dass Eliten die Welt kontrollieren würden, sollten demokratische Prozesse gestärkt und in den Sozialstaat investiert werden. Ein Allheilmittel sieht Butter aber auch darin nicht:
«Es gibt keine moderne Gesellschaft, die frei von Verschwörungstheorien ist, in früheren Zeiten waren sie sogar noch verbreiteter. Wir werden diese Theorien nicht völlig loswerden, wir können bloss die Zahl ihrer Anhänger verringern.»
Quelle:
Künstliche Intelligenz: Vom Chatbot zur Vernunft gebracht (SONNTAGSZEITUNG, Abo)
Originalstudie in «Science»: Durably reducing conspiracy beliefs through dialogues with AI
Anmerkung:
☛ Die Ergebnisse dieser Studie sind interessant, doch es ist Michael Butter und Roland Imhoff wohl zuzustimmen, wenn sie auf Risiken und Grenzen dieser KI-Anwendung hinweisen.
Interessant ist die Frage, weshalb die KI offenbar erfolgreicher Verschwörungstheorien in Frage stellen kann als kritisch eingestellte Freunde.
Vielleicht, weil KI keine (Ab)Wertung gegenüber dem Verschwörungsgläubigen zum Ausdruck bringet und in dieser Hinsicht als neutral daherkommt?
☛ Am erfolgreichsten gegen Verschwörungstheorien schein „Pre-Bunking zu sein. Siehe dazu:
Pre-Bunking: Präventives Widerlegen von Verschwörungstheorien