«Junge Menschen vertrauen auch wegen Fake-News auf TikTok dem Staat nicht mehr. Sie müssen kritisches Denken lernen», schreibt die Bildungsforscherin und Politikwissenschaftlerin Nina Kolleck in der «Zeit». Der Gastbeitrag ist sehr lesenswert.
Die Digitalisierung habe das Informationsverhalten junger Menschen revolutioniert, schreibt Nina Kolleck: «In der heutigen Zeit verlassen sie sich vor allem auf digitale Plattformen, um sich zu informieren, wobei TikTok der unangefochtene Marktführer in diesem Segment ist.» In repräsentativen Studien sei bereits festgestellt worden, dass TikTok zur Hauptinformationsquelle zählt.
Unbestritten ist, dass viele Kinder und junge Erwachsene heutzutage von TikTok geprägt werden. TikTok werde jedoch von den meisten unreflektiert genutzt. Sie «lassen sich von einem aufgeregten Video zum nächsten treiben.»
Dies habe zur Verbreitung einer passiven Konsumhaltung geführt, die aus politischen, sozialen und mentalen Gründen bedenklich ist, mahnt Kolleck.
Diese Entwicklung falle in eine Zeit, in der das Vertrauen in demokratische Institutionen und Prozesse erheblich abgenommen habe:
«Immer mehr junge Menschen zweifeln an der Effektivität und Legitimität traditioneller Parteien und politischer Entscheidungsprozesse in den Parlamenten. Ein Vertrauensverlust, der sich in Form einer geringen Wahlbeteiligung und einem steigenden Interesse an Parteien wie der AfD manifestiert, die sowohl rechtsradikale als auch antidemokratische Positionen vertritt.
Es sei kein Zufall, dass die AfD die bei Weitem aktivste Partei auf TikTok ist.
Kolleck weist darauf hin, dass parallel zu dieser Entwicklung die Zufriedenheit mit der Demokratie abnimmt. Das zeige die aktuelle Mitte-Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung:
«Nur 51,5 Prozent vertrauen staatlichen Institutionen. Dieser Vertrauensverlust hat vielfältige Gründe, aber eine Hauptursache ist die massive Verbreitung von Verschwörungserzählungen über das Social-Media-Portal TikTok.»
Eine repräsentative Befragung zu den Einstellungen junger Menschen zum Ukraine-Krieg habe ergeben, dass ein Drittel der befragten Personen im Alter von 16 bis 29 Jahren verschwörungstheoretische Ansichten unterstützt.
Die Verbreitung von Verschwörungstheorien trage zur Polarisierung der Gesellschaft bei, was sich wiederum negativ auf das Vertrauen in die Demokratie auswirke: «Die Menschen werden skeptischer gegenüber politischen Institutionen, sie stellen die Legitimität der gewählten Regierungen infrage.»
Nina Kolleck kommt dann auf Verschwörungstheorien generell zu sprechen:
«Verschwörungserzählungen bieten einfache Erklärungen für komplexe Probleme und befreien von der Verunsicherung, die mit der Unwissenheit einhergeht.»
Besonders ausgeprägt sei die Anziehungskraft von Verschwörungserzählungen bei jungen Menschen, die noch immer unter den Auswirkungen der Covid-Pandemie leiden. Kolleck weist dabei insbesondere auf sozial benachteiligten Jugendlichen hin, die sich oft vernachlässigt fühlen.
Alternativen zu TikTok wären nötig
Es sei unerlässlich, die junge Generation mehr in politische Prozesse einzubeziehen und ihre Anliegen ernst zu nehmen, schreibt die Bildungsforscherin und Politikwissenschaftlerin. Das könne beispielsweise geschehen über Plattformen, die es den jungen Menschen ermöglichen, sich politisch zu engagieren und gehört zu werden.
Besonders in der Schule und in der Aus- und Fortbildung von Lehrkräften müsse sich einiges ändern.
Kolleck fordert mehr Medienkompetenz für Lehrkräfte und junge Menschen sowie Schulung in kritischem Denken, um zum Beispiel Fake-News auf TikTok und anderswo zu erkennen und Verschwörungstheorien hinterfragen zu können.
Einen Schlüssel zur Bewältigung dieser Herausforderungen sieht Nina Kolleck in der Zivilgesellschaft.
Es gebe bereits bewährte Ansätze für die gezielte Arbeit mit jungen Menschen:
«Die aktuelle Verbreitung von verschwörungstheoretischen Inhalten zu Themen wie den Konflikten im Nahen Osten und in der Ukraine, die oft auf Hass und Feindseligkeit abzielen, verdeutlicht: Es ist dringend erforderlich, die Demokratie in den Schulen, dem zivilgesellschaftlichen Sektor und die außerschulische politische Bildung zu stärken.»
Quelle:
Verschwörungstheorien auf TikTok: Stärkt die Demokratie in den Schulen! (Zeit online)
Oder derselbe Artikel hier: https://archive.is/HXk30
Anmerkungen:
Mit TikTok hat sich ein Problem verschärft, das schon länger schwelt. Die Schwemme an Fake-News und Propaganda gefährdet Demokratien weltweit. «Whatsapp» spielte beispielsweise bei der Wahl des Rechtsextremisten Jair Bolsonaro im Jahr 2018 als Schleuder für Fake-News und Verschwörungstheorien eine zentrale Rolle. Die «NZZ am Sonntag» hat das so zusammengefasst:
«In Brasilien ist ein Wahlsieg durch Whatsapp möglich
Gibt es etwas Unheimlicheres, als eine Wahl per Facebook-Falschinformationen zu gewinnen? Ja, nämlich einen Wahlsieg per Whatsapp. Genau das passiert diesen Sonntag wohl in Brasiliens Präsidentenwahl – das erste Mal in der Geschichte der Demokratie.» (Quelle). Und in Myanmar war Facebook in die Organisierung von Pogromen gegen die Rohingya involviert (Quelle). TikTok scheint auch durch eine Schwemme von Falschinformationen nach dem Hamas-Massaker in Israel antisemitische Ausschreitungen angefacht zu haben. Ein weiteres Problem liegt darin, dass TikTok chinesische Eigentümer hat und es begründete Befürchtungen gibt, dass der Konzern für Regierungspropaganda offen ist.
Der Forderung von Nina Kollek ist zuzustimmen, dass die Demokratie in den Schulen, im zivilgesellschaftlichen Sektor und in der außerschulischen politischen Bildung gestärkt werden muss. Politische Bildung allein wird das Problem nicht lösen. Es braucht auch Veränderungen bei den Social-Media-Plattformen. Darüber hinaus braucht es Plattformen für politische Diskussionen, die resistenter sind gegenüber von Verschwörungstheorien, Drohungen und Falschmeldungen.