Nicht jede Verschwörungstheorie ist zwangsläufig mit Hass verbunden. Flach-Erdler, Hohl-Erdler oder Aktivisten der Mondlandungslüge beispielsweise können ihrem skurrilen Hobby auch friedlich frönen. Andererseits gibt es jedoch auch Verschwörungstheorien, die durch und durch mit Hass aufgeladen sind. Ein Beispiel dafür ist die angebliche «Jüdisch-bolschewistische Weltverschwörung», die zum Holocaust geführt hat. Derart toxische, hassgetränkte Verschwörungstheorien gründen in der Regel auf einem starken Schwarz-Weiss-Denken. Ein scharfer Dualismus von Gut gegen Böse schafft Feindbilder und sucht sich Sündenböcke. So entsteht eine giftige Brühe, die den Boden für Gewalt vorbereitet. Mit ihrem scharfen Kampf zwischen Gut und Böse, zwischen Hell und Dunkel, stehen diese toxischen Verschwörungstheorien in der Tradition dualistischer religiöser Konzepte, wie sie in der Gnosis und im Manichäismus zu finden sind.
Der französische Philosoph André Glucksmann (1937 – 2015) charakterisiert den Hass in seinem Buch «Hass. Die Rückkehr einer elementaren Gewalt» (2005) so:
«Der Hass klagt an ohne Kenntnis der Fakten. Der Hass urteilt, ohne begreifen zu wollen. Der Hass verurteilt willkürlich. Er hat vor nichts Respekt, er sieht sich als Objekt einer universellen Verschwörung. Am Ende, erfüllt vom Ressentiment, gegen alle Argumente gefeit, zieht er eigenmächtig und grossspurig einen Schlussstrich, indem er zubeisst. Ich hasse, also bin ich.»
Hass untergräbt den Rechtsstaat
Hass ist nicht nur ein persönliches Gefühl. Er hat auch eine gesellschaftliche Komponente. Liane Bednarz und Christoph Giesa schreiben dazu in ihrem Buch «Gefährliche Bürger»:
«Hass, egal in welchem Gewand er daherkommt, ist immer ein Gegner des Rechtsstaats, weil er sich stets qua eigener Wahrheit über alle gemeinsamen Regeln hinwegsetzt. Das kann nicht gutgehen.»
Hass brauche zwar immer vorgebliche Begründungen. Einen Grund, um zu entstehen, brauche er aber nicht. Diese Erkenntnis habe schon Jean de la Fontaine, der grosse französische Schriftsteller, im 17. Jahrhundert in seiner Fabel «Der Wolf und das Lamm» verarbeitet:
«Ein Lamm löschte seinen Durst in einem klaren Bache.
Dabei wurde es von einem hungrigen Wolf überrascht.
“Wie kannst du es wagen”, rief er wütend, “mir meinen Trank zu trüben?
Für diese Frechheit musst du bestraft werden!”
“Ach mein Herr”, antwortete das Lamm, “seien Sie bitte nicht böse. Ich trinke ja zwanzig Schritte unterhalb von Ihnen. Daher kann ich Ihnen das Wasser gar nicht trüben.”
“Du tust es aber doch!”, sagte der grausame Wolf. “Und ausserdem weiss ich, dass du im vergangenen Jahre schlecht von mir geredet hast.”
“Wie soll ich das wohl getan haben“, erwiderte das Lamm,
“ich war da ja noch gar nicht geboren.”
“Wenn du es nicht tatest, dann tat es dein Bruder!”
“Ich habe aber keinen Bruder.”
“Dann war es eben irgendein anderer aus deiner Familie. Ihr habt es überhaupt immer auf mich abgesehen, ihr, eure Hirten und eure Hunde. Dafür muss ich mich rächen.”
Mit diesen Worten packte der Wolf das Lamm, schleppte es in den Wald und frass es einfach auf.»
Klar, das ist eine Fabel, in der Realität frisst der Wolf das Schaf nicht aus Hass, sondern aus Hunger und weil es sein biologischer Trieb ist. Aber die Fabel zeigt sehr, wie resistent sich der Hass gegen Fakten und Argumente zeigt, wenn das Ziel einmal fixiert ist. Hass braucht auch keinen konkreten Anlass.
In den letzten Sätzen der Fabel kommt zudem ein Opfermythos zum Vorschein, wie er auch oft bei Verschwörungsgläubigen, Rechtspopulisten und Rechtsextremen zu beobachten ist. Sie stellen sich mit Vorliebe als Opfer dar, selbst wenn es sich um ‘bewährte’ Aggressoren handelt.
Für die Hassenden ergibt sich eine Win-Win-Situation. Bednarz/Giesa schreiben dazu:
«Wenn sie damit durchkommen, fühlen sie sich als Helden. Wenn nicht, dann immerhin als Märtyrer. Das Gefühl, auf der Seite des Guten zu stehen, für eine gerechte Sache gekämpft zu haben, erhebt sie über alle irdischen Regeln. Gerechtigkeit – und auch Recht – definieren sie jenseits von Gesetzen. Sartre spricht vom “Verbrecher aus guter Absicht”.» Hass kennt auch keinen Zweifel.
Psychologie des Hasses
Hass entsteht keineswegs ausschließlich aus den Zumutungen der Gegenwart. Seine Ursprünge lassen sich auch individualpsychologisch erklären. „Hass ist eine Bewältigungsstrategie für eigene Probleme“, schreibt Simone Rafael im Portal belltower.news: „Wer hasst, wertet sich selbst auf Kosten anderer auf.“
Das zeigt sich beispielsweise bei Hassschreibern im Internet. Sie suchen mit ihrer Aktivität auch nach sozialer Resonanz. In ihrer Filterblase wollen sie wahrgenommen werden. Dabei schaukeln sich Hasskommentare in den abgeschlossenen Telegram-Hasskammern oft gegenseitig hoch. Um an die Spitze der «Bewegung» zu kommen oder sich zu mindestens dorthin zu fantasieren, muss man immer extremere Kommentare absetzen. Es geht dabei also auch um Gefolgschaft und schlussendlich führt diese Eskalationsspirale zur Radikalisierung der Gruppe.
Harald Lesch hat in einem Video psychologische Hintergründe des Hasses präsentiert: Im Allgemeinen schliessen Menschen von sich auf andere, gehen also zum Beispiel bei anderen von einer ähnlichen Motivation aus wie bei sich selbst. Wenn das Gegenüber aber ein (politischer) Gegner ist, kehrt sich das plötzlich um. Die streitenden Parteien nehmen von sich selbst jeweils nur das Beste an und vermuten bei dem anderen nur die schlechtesten Absichten.
Bei Verschwörungsgläubigen ist das deutlich zu sehen. Sie unterstellen für alle unerwünschten Ereignisse bösartige Absichten. Zufall, Fahrlässigkeit, Unfähigkeit oder Dummheit kommen als Auslöser nicht in Betracht.
Carolin Emcke beschreibt dieses Phänomen so:
«Der Welt, wie sie hier entworfen wird, fehlt alles Spielerische, übrigens auch alles Zufällige. Jedem noch so kontingenten Ereignis wird eine Bedeutung und eine dahinter vermutete Absicht zugeschrieben. Schlichte menschliche Fehler oder Unfälle gibt es nicht. Jedem Irrtum wird eine Intention unterstellt, jedem Zufall eine Verschwörung, die immer auf die Unterdrückung oder Schädigung der eigenen Gruppe zielt.»
Diese Fixierung auf Bösartigkeit ist die beste Voraussetzung für die Produktion von Hass. Ein Gegenmittel gegen diese toxische Haltung ist Hanlon’s Rasiermesser. Es besagt: Geh nicht von Böswilligkeit aus, wenn Dummheit, Schlamperei, Inkompetenz, Fehleinschätzung oder Irrtum zur Erklärung ausreichen.
Hass ist besonders gefährlich, weil er kein kurzfristiges Gefühl wie Wut oder Empörung ist und sich vielmehr meist schleichend über längere Zeit entwickelt. Dabei entstehen auch aufgestaute, sich intensivierende Gefühle von Groll und Rachsucht, die früher oder später in Gewaltbereitschaft münden.
Ein paar Eigenheiten des Hasses
Carolin Emcke beschreibt in ihrem Buch ein paar erhellende Eigenschaften des Hasses:
Hass braucht Gewissheit
Emcke fragt sich, ob sie die Hasser beneiden sollte:
«Manchmal frage ich mich, wie sie das können: so zu hassen. Wie sie sich so sicher sein können. Denn das müssen die Hassenden sein: sicher. Sonst würden sie nicht so sprechen, so verletzen, so morden. Sonst könnten sie andere nicht so herabwürdigen, demütigen, angreifen. Sie müssen sich sicher sein. Ohne jeden Zweifel. Am Hass zweifelnd lässt sich nicht hassen. Zweifelnd könnten sie nicht so ausser sich sein. Um zu hassen braucht es absolute Gewissheit. Jedes Vielleicht wäre da störend. Jedes Womöglich unterwanderte den Hass, zöge Energie ab, die doch gerade kanalisiert werden soll.»
Und wie entsteht diese absolute Gewissheit? Vielleicht so:
Totale Abwehr von Kritik und Selbstkritik
Carolin Emcke schreibt:
«Kritik von aussen an den eigenen Praktiken und Überzeugungen wird nicht einmal erörtert. Die Frontstellung einer polarisierten Welt aus “Eigenem” und “Fremdem”, aus “Wir” gegen “Sie” lässt Kritik von vornherein abprallen: Sie wird diskreditiert als Zensur, als Repression, als Manipulation derer, die den einzig wahren und gerechten Kampf um das eigene Land, das eigene Volk, die eigene Nation führen. So hat sich ein geschlossenes Denken etabliert, das sich als immun gegen Einwände und Zweifel versteht…..Die kritische Berichterstattung taugt lediglich als Beleg für eine böswillige “Lügenpresse”, die den heldenhaft-patriotischen Aufstand nicht würdigen kann. Im Zustand der Paranoia bestätigt alles nur die eigene Projektion – und es lässt sich die eigene Aggression zur Notwehr verklären.»
Hass setzt Ungenauigkeit voraus
Carolin Emcke formuliert dieses Phänomen so:
«Gehasst wird ungenau. Präzise lässt sich nicht gut hassen. Mit der Präzision käme die Zartheit, das genaue Hinsehen oder Hinhören, mit der Präzision käme jene Differenzierung, die die einzelne Person mit all ihren vielfältigen, widersprüchlichen Eigenschaften und Neigungen als menschliches Wesen erkennt. Sind die Konturen aber erst einmal abgeschliffen, sind Individuen als Individuen erst einmal unkenntlich gemacht, bleiben nur noch unscharfe Kollektive als Adressaten des Hasses übrig, wird nach Belieben diffamiert und entwertet, gebrüllt und getobt.: die Juden, dieFrauen, die Ungläubigen, die Schwarzen, die Lesben, die Geflüchteten, die Muslime oder auch die USA, die Politiker, der Westen, die Polizisten, die Medien, die Intellektuellen. Der Hass richtet sich das Objekt des Hasses zurecht. Es wird passgenau gemacht.»
Präzision und Differenzierung sind deshalb Gegenmittel zur Eindämmung von Hass.
Hass braucht eine vertikale Blickrichtung
Carolin Emcke:
«Gehasst wird aufwärts oder abwärts, in jedem Fall in einer vertikalen Blickachse, gegen “die da oben” oder “die da unten”, immer ist es das kategorial “Andere”, das das “Eigene” unterdrückt und bedroht, das “Andere” wird als vermeintlich gefährliche Macht oder als vermeintlich minderwertiges Ding phantasiert – und so wird die spätere Misshandlung oder Vernichtung nicht bloss als entschuldbare, sondern als notwendige Massnahme aufgewertet. Der Andere ist der, den man straflos denunzieren oder missachten, verletzen oder töten kann.»
Diese Hass-typische vertikale Blickachse passt sehr gut zu Verschwörungstheorien. Verschwörungstheoretisches Denken nimmt oft von obenherab fragile Minderheiten ins Visier oder fantasiert sich einen scheinbar entlarvenden Blick nach oben auf eine zurechtgezimmerte «Elite» zusammen. Wir haben es hier also mit einem verbindenden Element zwischen Hass und Verschwörungstheorien zu tun.
Hass wird gezüchtet
Carolin Emcke beschreibt einen Hass, der «so wenig individuell wie zufällig» ist:
«Er ist nicht einfach nur ein vages Gefühl, das sich mal eben, nur aus Versehen oder aus vorgeblicher Not, entlädt. Dieser Hass ist kollektiv und er ist ideologisch geformt. Der Hass braucht vorgeprägte Muster, in die er sich ausschüttet. Die Begriffe, in denen kategorisiert und abgeurteilt wird, müssen vorgeformt sein. Der Hass bricht nicht plötzlich auf, sondern er wird gezüchtet. Alle, die ihn als spontan oder individuell deuten, tragen unfreiwillig dazu bei, dass er weiter genährt werden kann.»
Hass als Machtstrategie
Hass ist nicht nur eine private, individuelle Reaktion. Er wird auch als Machtstrategie eingesetzt – von Einzelnen genauso wie strategisch von Demagogen. Hass ist ein starkes Mobilisierungsinstrument, das Verschwörungsgläubige, Rechtspopulisten und Rechtsextreme zurzeit besonders erfolgreich nutzen. Hass schweisst auch die eigene Gruppe gegen einen Feind zusammen.
Im Internet führen orchestrierte Hasskampagnen zu Silencing. Mit „Silencing“ wird der Versuch bezeichnet, Menschen im Internet solange mit Hasskommentaren einzuschüchtern, bis sie nicht mehr das Wort ergreifen, verstummen und sich zurückziehen. Ziel der Attacken: Andere Meinungen sollen aus der öffentlichen Debatte verschwinden. Die Diskussionsräume im Internet sind kein egalitärer Ort. Von Silencing sind nicht alle Internet-Nutzer gleichermassen betroffen. Potenzielles Ziel von zum Teil organisierten Hasskampagnen sind alle, die sich mit Meinungen exponieren, die den Glaubenskriegern zuwiderlaufen, insbesondere Politikerinnen und Politiker sowie Medienschaffende. Frauen werden härter attackiert und persönlicher diffamiert, wobei Verunglimpfungen und Drohungen oft sexualisiert daherkommen, zum Beispiel als Vergewaltigungsdrohung. Davon besonders betroffen sind Journalistinnen, Feministinnen und Lesben. Ein Migrationshintergrund verschärft die aggressive Tonalität der Angriffe.
In der Corona-Pandemie beispielsweise werden Hasskampagnen geführt gegen Virologinnen und Virologen, aber auch gegen Ärztinnen und Ärzte auf Intensivstationen und in Impfzentren.
Für demokratische Gesellschaften ist Silencing fatal, weil grosse Teile der Bevölkerung dadurch im öffentlichen Diskus unsichtbar werden. Silencing belastet am stärksten, wenn Betroffene den Eindruck bekommen, ganz auf sich allein gestellt zu sein. Silencing ist ein Beispiel dafür, wie Hass strategisch eingesetzt werden kann, um Macht und Dominanz im Internet zu vergrössern. Hasskampagnen im Internet werden insbesondere von Rechtsextremen international vernetzt und fast militärisch organisiert.
Die Produktion von Hass gehört auch als Nebeneffekt zum Geschäftsmodell von (a)sozialen Medien wie Facebook. Posts, die Wut und Empörung auslösen, werden stärker geliked, kommentiert und geteilt. Solche Beiträge werden von den Algorithmen der Plattformen zusätzlich stärker verbreitet, weil damit die Userinnen und User länger als Werbeempfänger auf der Plattform gehalten werden können. Indem sie aus rein kommerziellen Gründen Hasspostings fördern, verstärken die Social-Media-Plattformen die politische Polarisierung und Radikalisierung.
Vertiefte Informationen dazu bieten:
☛ Maik Fielitz / Holger Marcks: Digitaler Faschismus, Dudenverlag 2020
☛ Patrick Stegemann / Sören Musval: Die rechte Mobilmachung – Wie Netzaktivisten die Demokratie angreifen, Econ 2020
☛ „Übermacht im Netz“. Warum wir für ein gerechtes Internet kämpfen müssen von Ingrid Brodnig
Rezepte gegen Hass
Natürlich gibt es keine simplen Rezepte gegen Hass. Carolin Emcke gibt in ihrem Buch aber ein paar bedenkenswerte Anregungen zum Umgang mit diesem Phänomen. Sie empfiehlt, Hass nicht erst in dem Moment zu betrachten, wo er sich blindwütig entlädt. Weil Hass nicht einfach da ist, sondern gemacht wird und somit vorbereitet wurde.
Deshalb ist es wichtig, die Kontexte der vorgängigen Rechtfertigung und der nachträglichen Zustimmung sichtbar zu machen. Ohne diese vorgängige Rechtfertigung und nachträgliche Zustimmung kann Hass nicht gedeihen. Wer dem Hass entgegentreten will, sollte deshalb diese Rechtfertigungen und Zustimmungen so gut wie möglich zersetzen.
Es gilt also, die Quellen unter die Lupe zu nehmen, aus denen sich der Hass im konkreten Fall speist. Damit lässt sich auch der populäre Mythos schwächen, Hass sei etwas Natürliches, etwas Gegebenes, und damit einfach da. Wenn es um den Nährboden des Hasses geht, ist auch das soziale Umfeld gefordert, die Nachbarschaft, die Familie, die Netz-Community, damit Prozesse der Radikalisierung frühzeitig erkannt und gestoppt werden können.
Und es gilt die klammheimliche Duldung des Hasses zu erkennen und in Frage zu stellen. Hass wird nämlich oft ermöglicht und erweitert durch diejenigen, die nicht eingreifen und das Hassen verständnisvoll tolerieren. Sie hassen nicht selbst, sondern lassen hassen.
Carolin Emcke schreibt:
„Dem Hass begegnen lässt sich nur, indem man seine Einladung, sich ihm anzuverwandeln, ausschlägt. Wer dem Hass mit Hass begegnet, hat sich schon verformen lassen, hat sich schon jenem angenähert, von dem die Hassenden wollen, dass man es sei. Dem Hass begegnen lässt sich nur durch das, was dem Hassenden abgeht: genaues Beobachten, nicht nachlassendes Differenzieren und Selbstzweifel. Das verlangt, den Hass langsam in seine Bestandteile aufzulösen, ihn als akutes Gefühl von seinen ideologischen Voraussetzungen zu trennen und zu betrachten, wie er in einem spezifischen historischen, regionalen, kulturellen Kontext entsteht und operiert. Das mag nach wenig aussehen….
Die wirklich Fanatischen seien so nicht zu erreichen, liesse sich einwenden. Das mag sein. Aber es würde schon helfen, wenn die Quellen, aus denen der Hass sich speist, die Strukturen, die ihn ermöglichen, die Mechanismen, denen er gehorcht, besser erkennbar wären. Es würde schon helfen, wenn denjenigen, die dem Hass zustimmen und applaudieren, die Selbstgewissheit genommen würde. Wenn denjenigen, die den Hass vorbereiten, indem sie seine Denk- und Blickmuster prägen, ihre fahrlässige Naivität oder ihr Zynismus genommen würde.“
Es sollen sich also nicht diejenigen, die sich für ein humanes Miteinander einsetzen, verteidigen müssen, sondern diejenigen, die ein friedliches Miteinander torpedieren.
Emcke rät dazu, den Hassenden den Raum zu nehmen, den sie brauchen, um ihr Objekt passgenau zuzurichten. Dafür seien wir alle als Zivilgesellschaft verantwortlich. Und der vielleicht wichtigste Gestus gegen den Hass sei vielleicht:
„Sich nicht vereinzeln lassen. Sich nicht in die Stille, ins Private, ins Geschützte des eigenen Refugiums oder Milieus drängen lassen. Vielleicht ist die wichtigste Bewegung die aus sich heraus. Auf den anderen zu. Um mit ihnen gemeinsam wieder die sozialen und öffentlichen Räume zu öffnen.“
Allerdings muss sich eine Gesellschaft auch Gedanken machen über die Grenzen ihrer Toleranz gegenüber dem Hass. Wo Gesetze verletzt werden, müssen Polizei und Justiz aktiv werden. Antisemitismus und Rassismus haben keine Plattform in der Öffentlichkeit verdient. Als Ultima Ratio, als letzten Lösungsweg, bleibt als Option das Toleranz-Paradoxon, wie es der Philosoph Karl Popper (1902 – 1994) zuerst in seinem Buch „Die offene Gesellschaft und ihre Feinde“ beschrieben hat:
„Uneingeschränkte Toleranz führt mit Notwendigkeit zum Verschwinden der Toleranz. Denn wenn wir die uneingeschränkte Toleranz sogar auf die Intoleranten ausdehnen, wenn wir nicht bereit sind, eine tolerante Gesellschaftsordnung gegen die Angriffe der Intoleranz zu verteidigen, dann werden die Toleranten vernichtet werden und die Toleranz mit ihnen….
Wir sollten daher im Namen der Toleranz das Recht für uns in Anspruch nehmen, die Unduldsamen nicht zu dulden. Wir sollten geltend machen, dass sich jede Bewegung, die die Intoleranz predigt, außerhalb des Gesetzes stellt, und wir sollten eine Aufforderung zur Intoleranz und Verfolgung als ebenso verbrecherisch behandeln wie eine Aufforderung zum Mord, zum Raub oder zur Wiedereinführung des Sklavenhandels.“
Quellen:
Liane Bednarz / Christoph Giesa: Gefährliche Bürger – Die Neue Rechte greift nach der Mitte, Hanser Verlag
Die Psychologie des Hasses (Spektrum der Wissenschaft)
Carolin Emcke: Gegen den Hass, S. Fischer Verlag 2016
Beitrag zum Toleranz-Paradoxon auf Wikipedia.
Weitere Texte:
☛ Eine Zusammenfassung von Popper’s „Die offene Gesellschaft und ihre Feinde“ gibt’s hier:
Offene Gesellschaft oder geschlossene Gesellschaft – wohin geht die Reise?
☛ Ausserdem:
Woher kommt das Potenzial an Hass in Verschwörungstheorien?
Verschwörungstheorien unterminieren den Rechtsstaat
Verschwörungstheorien als Katalysatoren von Gewalt
Warum sind Verschwörungstheorien eine Gefahr für demokratische Gesellschaften?