Kinderblut spielt in historischen und gegenwärtigen Verschwörungstheorien eine wichtige Rolle. Aktuell taucht es vor allem im Kontext der QAnon-Verschwörungstheorie auf. Nach diesem absurden Verschwörungsglauben verwenden böse Menschen Kinderblut, um den Stoff Adrenochrom zu gewinnen, der einer kleinen Elite als Verjüngungsmittel dienen soll. Damit die Substanz aus ihrem Blut gewonnen werden kann, würden die Kinder unter der Erde in Höhlen und Bunkern gefangen gehalten, gefoltert und am Ende getötet. Diese vollständig faktenfreie Horrorstory wird in Deutschland beispielsweise von dem Sänger Xavier Naidoo verbreitet, der schon seit einiger Zeit unter die Verschwörungstheoretiker gegangen ist. Der Rapper Sido verteidigte die seltsamen Äusserungen.
Der Vegan-Koch Attila Hildmann schwadroniert von 100 000 US-Soldaten, die in Bunkern unter Europa für die Befreiung der gefangenen Kinder kämpfen. Hildmann bedankt sich für diese weltweite Aktion bei Donald Trump, Putin und Xi, die diese Aktion steuern sollen. Auf derart absurde Vorstellung kann nur jemand kommen, der von Politik keinerlei Ahnung hat. Aber interessant, wie da Autokraten und Diktatoren plötzlich zu heldenhaften Menschenfreunden gemacht werden. Die QAnon-Verschwörungstheorie stilisiert Donald Trump sowieso zur Messias-ähnlichen Lichtgestalt. Und bemerkenswerter Weise sind es immer reale oder vermeintliche Gegner Trumps, die an den üblen Machenschaften der Kinderhändler und Kinderficker beteiligt sein sollen und damit diffamiert werden. Hillary Clinton, Bill Gates, George Soros und wie sie alle heissen….
Politisch eigentlich ein durchschaubares Manöver. Doch Xavier Naidoo, Sido Atilla Hildmann und Co. realisieren offenbar nicht, welch abgekarteter Demagogie sie da aufsitzen.
Fakten spielen in diesen Verschwörungsgeschichten sowieso keine Rolle:
– Adrenochrom ist ein körpereigenes Stoffwechselprodukt des Adrenalins. Es hat keine Verjüngungswirkung.
– Adrenochrom lässt sich auch synthetisch herstellen und online kaufen. Es ist nicht nötig, dafür Kinder zu foltern und zu töten. Es braucht dazu kein Kinderblut.
– Adrenochrom kommt auch in Erwachsenen vor. Warum die Verschwörer zur Gewinnung der Substanz angeblich Kinder verwenden sollen, ist unklar. Zur Gewinnung ist kein Kinderblut nötig.
Aber Geschichten um gefolterte Kinder lassen niemanden kalt. Sie eignen sich in höchstem Grade, um Abscheu, Wut und Hass zu erzeugen und auf politische Gegner zu lenken. So geht Demagogie.
Das ist nicht ungefährlich, denn wenn es um gefolterte Kinder geht, kann leicht die Idee aufkommen, dass jede Notwehr erlaubt ist, auch Gewalt.
Das zeigte sich bei Pizzagate, der Verschwörungstheorie, wonach in einer Pizzeria in Washington ein Kinderpornoring tätig sei, bei dem auch die Kandidatin Hillary Clinton mitwirke. Diese Verleumdungskampagne führte dazu, dass am 4. Dezember 2016 der bewaffnete Edgar Maddison W. in die Pizzeria eindrang, um die angeblich dort festgehaltenen und missbrauchten Kinder im Keller zu befreien. Er gab zwei Schüsse auf ein Türschloss und einen Computer ab. Nachdem der Mann nichts gefunden und festgestellt hatte, dass es keinen Keller gibt, ließ er sich widerstandslos festnehmen.
Kinderblut spielt schon in uralten Ritualmordlegenden eine Rolle
Wichtig ist es klar zu stellen, dass diese Geschichten von ritualisiertem Kindermord und von der Nutzung von Kinderblut uralte Wurzeln haben – und deutliche antisemitische Anklänge. Bereits im 13. Jahrhundert wurde Juden vorgeworfen, das Blut von christlichen Kindern für religiöse Zwecke oder als Heilmittel zu benutzen. Die bizarren Geschichten von Kindermord und Kinderblut, wie sie die QAnon-Verschwörungstheorie wieder auffrischt, sind Variante der uralten judenfeindlichen Ritualmordlegende.
Quelle:
Von der Alu-Bommel bis zur Zwangsimpfung:
Was die derzeit gängigen Verschwörungsmythen bedeuten (Tagesspiegel)
Ergänzend:
Es gibt leider reale Kindermorde und realen Kindsmissbrauch. Und es gibt Fälle, bei denen eine Verschwörung vorliegt oder zu mindestens starke Hinweise darauf. Ein Beispiel dafür ist der Fall Marc Dutroux in Belgien. Hier gab es reale Tote und nicht zuletzt aufgrund von Ermittlungspannen bleibt ungeklärt, ob es nicht weitere Mitwisser und Mittäter gab.
Ein weiteres Beispiel ist der Missbrauchsskandal von Rotherham in England. Weitreichenden Versagen von Behörden und Polizei verzögerte hier die Aufdeckung der Verbrechen um viele Jahre.
In beiden Fällen waren es aber klassische Ermittlungsarbeit und im Fall Rotherham zudem eine Serie von Berichten in der Tageszeitung „Times“, die zur Aufdeckung und zur Verurteilung von Tätern führte.
Es war nicht verschwörungstheoretisches Denken, welches zum Auffliegen dieser Verschwörungen führte. Und es waren auch nicht irgendwelche „Alternativmedien“ die dazu beitrugen, obwohl sie ständig mit irgendwelchen Enthüllungen prallen. Es war im Fall Rotherham die „Times“ mit klassischer, investigativer journalistischer Arbeit.
Die QAnon-Verschwörungsgeschichten tragen Null zur Aufdeckung von realen Kindermorden und realem Kindsmissbrauch bei. Im Gegenteil: sie lenken davon ab. Siehe dazu:
Kinderschutzorganisationen wehren sich gegen QAnon-Verschwörungsideologie
Ermittler decken Kindesmissbrauch auf – nicht Verschwörungstheoretiker
Zur Geschichte des Antisemitismus siehe auch:
Antisemitismus und Verschwörungstheorien
Zu gegenwärtigen Satanismus-Verschwörungstheorien:
Satanismus / Satanic Panic als Verschwörungstheorie