Pizzagate ist eine klassische Verleumdungskampagne und Verschwörungstheorie. Unter dem Schlagwort Pizzagate wurden im Jahr 2016 Falschmeldungen auf 4chan und Reddit zum US-amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf verbreitet. Darin wurde behauptet, dass in der Pizzeria Comet Ping Pong in Washington ein Kinderpornoring tätig sei, bei dem auch die Kandidatin Hillary Clinton mitwirke.
Ausgangspunkt der Verschwörungstheorie waren durch russische Hacker erbeutete E-Mails des Wahlkampfmanagers von Clinton, John Podesta, die via Wikileaks veröffentlicht wurden.
Die Konstrukteure der Verschwörungstheorie meinten in gastronomisch alltäglichen Wörtern wie „Pizza“ und „Sauce“ Code-Wörter für „Mädchen“ bzw. „Orgie“ zu erkennen. Auch wurden Logos von Pizzerien mit angeblichen pädosexuellen und satanistischen Symbolen in Zusammenhang gebracht. Das ist absurd: Wer einen Kinderpornoring in einer Pizzeria betreiben wollte, wäre wohl kaum so blöd, ein pädosexuelles Symbol an die Fassade zu hängen, ein Symbol, das zudem dem FBI bekannt sein soll.
Hillary Clinton und George Soros sollen diesen Pizzerien grosse Summen gespendet haben. Belege? Keine.
Eine dieser Pizzerien heisst Besta Pizza. Für den Betreiber einer verschwörungsgläubigen Website, die hier nicht genannt sein soll, ist das ein eindeutiger Hinweis. «Besta» bedeute auf Portugiesisch «Biest». Warum gibt man einer Pizzeria einen solchen Namen? Eben! Ein deutlicher Hinweis für Verschwörungsgläubige, dass auch diese Pizzeria mit den Kinderschändern unter einer Decke steckt. Sonstige Hinweise oder gar Belege? Keine.
Pizzagate zeigt eindrücklich, wie Verschwörungsgläubige funktionieren. Sie machen Unterstellungen auf der Basis von Zusammenhängen, die sie selbst konstruiert haben, und die ohne reale Fakten auskommen. Sie merken aber offenbar nicht, dass es ihre Assoziationen und ihre ausufernde Fantasie ist, die allem zugrunde liegt.
Wie geht die Verleumdungskampagne weiter?
Die Pizzagate-Verschwörungstheorie wurde über Twitter von menschlichen Benutzern und von Bots weiterverbreitet, sowie über Reddit und 4chan. Nach Einschätzung des Nachrichtensenders CNN hatten Anfang Dezember 2016 schon Millionen Menschen davon erfahren.
Der rechte Verschwörungstheoretiker Alex Jones beteiligte sich mit seiner Website Infowars an der Verbreitung dieser diffamierenden Falschmeldungen. Erst am 24. März 2017 entschuldigte sich Jones auf seiner Website beim Inhaber und den Angestellten der beschuldigten Pizzeria für seine Äußerungen, die auf einem „unzutreffenden Narrativ“ beruht hätten. Laut der Zeitschrift Rolling Stone sollen zahlreiche derjenigen, die in den sozialen Medien die Spekulationen verbreiteten, Kontakte zu Donald Trumps Wahlkampagne oder Verbindungen nach Russland haben.
Angriff auf die Pizzeria Comet Ping Pong
Am 4. Dezember 2016 drang der mit einem Gewehr vom Typ AR-15 bewaffnete Edgar Maddison W. in die Pizzeria ein, um die angeblich dort festgehaltenen und missbrauchten Kinder im Keller zu befreien. Er gab zwei Schüsse auf ein Türschloss und einen Computer ab. Nachdem der Mann nichts gefunden und festgestellt hatte, dass es keinen Keller gibt, ließ er sich widerstandslos festnehmen. Verletzt wurde bei der Attacke niemand.
Im Protokoll schildert der Angreifer den Grund für seine Tat: Er habe im Internet gelesen, das Comet diene einem Pädophilenring als getarnte Zentrale, und im Keller des Lokals missbrauche man Kinder als Sexsklaven. Daraufhin fuhr er sechs Stunden aus einer Kleinstadt in North Carolina nach Washington, um die gequälten Kinder aus ihrer Not zu befreien.
Er wurde am 22. Juni 2017 zu vier Jahren Gefängnis und einem Schadenersatz von 5744 US$ an die Pizzeria verurteilt.
Dieser Vorfall führte nicht etwa dazu, dass die Verbreiter dieser Verschwörungstheorie davon abrückten: Ach, wir haben uns geirrt, es gibt dort keine gefangenen Kinder und keinen Keller.
Nein, so einfach ist es für Verschwörungsgläubige nicht, ihr Konstrukt loszulassen. Es gibt schliesslich noch andere Pizzerien. Dort könnten….
Weitere Folgen von Pizzagate
Michael G. Flynn, der Sohn von Trumps zwischenzeitlichem Nationalen Sicherheitsberater Michael T. Flynn, wurde wegen des Verbreitens von Unwahrheiten zu Pizzagate über Twitter aus Trumps Übergangsteam entlassen. Vor ihm hatte allerdings auch sein Vater diese Verschwörungstheorie über soziale Medien weiter verbreitet, ohne dass daraus für ihn Konsequenzen entstanden.
In verschiedenen Pizzerien kam es zu Drohanrufen aufgrund dieser Gerüchte, die auch über YouTube-Videos verbreitet wurden.
Quelle: Wikipedia
In einem der geleakten E-Mails von John Podesta tauchte auch der Name der Performance-Künstlerin Marina Abramovic auf. Sie wird seither in die Pizzagate-Verschwörungstheorie eingesponnen. Für Verschwörungsgläubige passt sie perfekt zur Story: Lange schwarze Haare, dunkle Gewänder, eine geheimnisvolle Aura – das reicht, um die Künstlerin als satanistische Strippenzieherin zu diffamieren. Obwohl Verschwörungsgläubige davon überzeugt sind, dass sie als «Aufgewachte» den Durchblick haben und hinter die Fassaden blicken können, erkennen sie nicht, dass es sich bei den Auftritten um eine künstlerische Inszenierung handelt. Man sieht an diesem Beispiel auch, dass Verschwörungstheorien sehr oft gar nie zu einem Ende kommen, sondern immer weitergesponnen werden.
Nachdem Marina Abramović die Belästigungen und Diffamierungen lange ignoriert hat, nahm sie inzwischen in einem Interview in der New York Times Stellung.
Siehe dazu:
Künstlerin Marina Abramovic wehrt sich gegen Verschwörungstheorien (Kurier)
Fazit zu Pizzagate:
– Verschwörungstheorien werden zu politischen Verleumdungskampagnen missbraucht. Pizzagate ist dafür ein Beispiel.
– Verschwörungstheorien können zu Gewalt führen. Pizzagate ist dafür ein Beispiel.
– Solche Verschwörungstheorien greifen den Rechtsstaat frontal an. Denn wer konkrete Hinweise hat auf Kindsmissbrauch, ist moralisch, gesellschaftlich und rechtlich verpflichtet, damit zur Polizei zu gehen. Aufgabe der Staatsanwaltschaft und der Gerichte ist es, die Fakten zu klären und falls Verbrechen vorliegen ein Urteil zu fällen. Wer behauptet, Belege für solche Verbrechen zu haben, aber die Justizbehörden nicht einschaltet, negiert den Rechtsstaat.
– Kindsmissbrauch wird nicht aufgeklärt durch wirres, faktenfreies Verschwörungsdenken, sondern durch rechtsstaatliche Ermittlungen. Durch sorgfältiges Sammeln und Bewerten von Fakten. Verschwörungsgläubige würden dazu aber wohl sagen, dass die Gerichte mit den Missbrauchern unter einer Decke stecken. Genau dadurch zeigt sich die Verschwörungstheorie – zum Beispiel in der Variante vom „Deep State“ („Tiefer Staat“).
Undenkbar, dass alle Mitarbeitenden in der Justiz bei Kindsmissbrauch nicht ermitteln würden. Viele von ihren sind selber Väter oder Mütter von Kindern. Das zeigt, wie absurd diese Verschwörungslegenden sind.
– Diese Verleumdungskampagne mit dem Thema Kindsmissbrauch hat Ähnlichkeiten mit mittelalterlichen Verschwörungstheorien rund um die antisemitischen bzw. antijudaistischen Ritualmordlegenden.
– Es braucht keine Fakten, um eine Verschwörungstheorie zu basteln.