George Soros ist grundsätzlich verantwortlich für alles, wovor Rechte und Autokraten Angst haben und was sonst noch aus ihrer Sicht schief läuft in der Welt. Hat viel Geld verdient mit Spekulationsgeschäften, kümmert sich nach hartnäckiger Überzeugung der Rechtspopulisten und Rechtsextremen aber vor allem um die Anlockung und Steuerung von Flüchtlingsströmen.
Die Verschwörungstheorien, die Soros zum Ziel haben, sind ein hervorragendes Beispiel dafür, für die radikale Vereinfachung von komplexen gesellschaftliche Prozessen und Ereignissen.
Soros unterstützt seit den 1970er Jahren mit seinem Vermögen unter anderem Bürgerrechtsorganisationen, Bildungseinrichtungen sowie politische Aktivisten. Er ist Gründer, Förderer und Vorsitzender der Open Society Foundations, die den Gedanken der Offenen Gesellschaft durch Unterstützung von Initiativen der Zivilgesellschaft vertreten und politische Aktivitäten finanzieren, vor allem in Mittel- und Osteuropa. Manche Rechtspopulisten und Rechtsextreme interpretieren offenbar die «Offene Gesellschaft» im Sinne einer grenzenlosen Gesellschaft und begründen damit ihre Verschwörungstheorie, dass Soros Flüchtlingsströme lenken und anlocken soll. Das ist aber eine Fehllinterpretation der «Offenen Gesellschaft». Soros bezieht sich mit seinen Open Society Foundations auf den Philosophen Karl Popper und dessen Werk «Die offene Gesellschaft und ihre Feinde». Eine Zusammenfassung dieses Buches gibts hier:
Offene Gesellschaft oder geschlossene Gesellschaft – wohin geht die Reise?
Ein Beispiel für solche Verschwörungstheorien lieferte der AfD-Abgeordnete Tino Chrupalla im Deutschen Bundestag:
«Wer hat denn im Jahr 2006 beschlossen, den gesamten Wohnungsbestand in Dresden an ausländische Immobilienspekulanten zu verhökern? Ich kann Sie daran erinnern: Das war der Dresdner Stadtrat mit den Stimmen von CDU, FDP und der PDS – ausgerechnet von den Parteien, die sich um die Mietpreise sorgen.
48 000 Wohnungen wurden damals an die US-amerikanische Investorgruppe Fortress verkauft. Sie konnte sich mit ihrem Angebot gegen Apellas durchsetzen. Das ist übrigens die Beteiligungsgesellschaft von Ihrem Spezialfreund George Soros. Frau Barley steht ja in sehr gutem Verhältnis zu ihm, und ich nehme an, der eine oder andere hier auch.
Nun ja, Herr Soros hat es dann gemeinsam mit Ihrer grosszügigen Unterstützung geschafft, die Mieten mit anderen Mitteln nach oben zu treiben, und zwar mit seiner Propaganda für offene Grenzen. Allein in den drei Jahren von 2015 bis 2017 betrug der Wanderungsüberschuss circa 2 Millionen Menschen, von denen die meisten in die Städte drängten. Das ist ein ganz offensichtlicher Zusammenhang, der hier aber geflissentlich übersehen wird.»
(Deutscher Bundestag, Plenarprotokoll 19/94, 94. Sitzung, 10. April 2019, Seite 11259)
Durch die unklare, wirre Formulierung wird hier leicht der Eindruck entstehen, dass George Soros diese Wohnungen gekauft hat. Das ist falsch. George Soros hat mit seiner Berliner Beteiligungsgesellschaft Apellas als Zweitplatzierte die Wohnungen nicht kaufen können (Artikel im Spiegel).
Aber warum wird Soros dann bei diesem Thema so ausführlich erwähnt? Für manche Verschwörungstheoretiker steckt der Mann halt einfach überall dahinter.
Und dass Soros dank seiner «Propaganda für offene Grenzen» die Flüchtlingsströme steuern und damit die Mieten seiner (in Dresden jedenfalls nicht gekauften) Wohnungen erhöhen kann, ist eine Komplexitätsreduktion ersten Ranges. Es sind nicht komplexe militärische, wirtschaftliche, politische und klimatologische Einflüsse, welche Menschen zur Flucht bewegen. Es ist die angebliche Propaganda eines über 90jährigen Milliardärs…..
(soviel zum Wahlspruch der AfD: «Mut zur Wahrheit»).
So simpel: Wenn SOROS die Migrationsströme steuert, dann muss man sich nicht mit den komplexen Ergebnissen der Migrationsforschung befassen. Die sagen nämlich, dass Migration sich weder mit Gewalt noch mit Geld aufhalten lässt. Zum Beispiel der Ökonom und Migrationsforscher Michael A. Clemens im „Spiegel“:
„Das Schema ist in allen westlichen Industrienationen gleich: Rechte Politiker schüren die Angst vor Migration und schlagen vor, die Leute mit Zäunen und Waffen fernzuhalten. Linke Politiker schüren die Angst meist auch und versprechen weniger Migration durch Entwicklungshilfe. Beide haben kein Interesse zu erzählen, was wahr ist: Es gibt keine Zweifel an der afrikanischen Wanderungswelle in den kommenden Jahrzehnten. Sie wird nicht ausbleiben, weil Westafrika ein so wohlhabender Ort wird, dass es keine Anreize mehr gibt fortzugehen. Das ist ein Trugbild.“
Um die damit verbundenen Risiken zu minimieren und die Chancen zu nutzen, muss man der Realität ins Auge sehen.
Das Feindbild SOROS zu hätscheln führt da nicht weiter. Im Gegenteil: Dieses höchst schwache, eindimensionale, unterkomplexe Denken gefährdet Europa wohl mehr als die Migration.
Siehe auch:
Wie George Soros zum Feindbild gemacht wurde
Beiträge zu den Verschwörungstheorien rund um George Soros:
Spekulant, Wohltäter und Hassfigur: Wer ist George Soros?
(Der Standard, 24. April 2018)
George Soros als Sündenbock der Rechten
(Der Standard, 24. April 2018)
Antisemitismus im Netz – Keine Logik, keine Konsistenz, keine Plausibilität
(Kolumne vo Sascha Lobo, Spiegel 5. 12. 2018)