Die gefährliche Verschwörungstheorie des «deep state» unterstellt, dass ein «Staat im Staat» aus Bürokraten und Geheimagenten alles tue, um Präsident Donald Trump kaltzustellen. Die Strippen soll Ex-Präsident Obama ziehen.
Wie bei allen Verschwörungstheorien braucht es dazu keine Belege.
Die «deep state»-Theorie ist überaus nützlich für Regierende: Mit ihr lassen sich alle Widerstände und Misserfolge erklären. Eine perfekte Ablenkungsstrategie von eigenen Fehlern und Schwächen.
Zur Gefährlichkeit der «deep state»-Theorie schreibt Matthias Kolb im „Tages-Anzeiger“:
„Dass so häufig über den Begriff «deep state» geredet wird, liegt an den gefährlichen Implikationen, die damit verbunden sind. Ähnlich wie Trumps Attacken auf die Medien («Volksfeinde») und das Justizsystem droht langfristiger Schaden, wenn Beamten, Experten oder den Angehörigen von Militär und Geheimdiensten eine geheime Agenda unterstellt wird. Tatsache ist ja: Sie haben einen Eid auf die Verfassung geleistet – und sollen jeder Regierung zuarbeiten, egal welche Partei den Präsidenten stellt.
Medien, NGOs und Abgeordnete müssen deren Arbeit natürlich trotzdem genauestens überprüfen – aber aus kurzfristigen Motiven das ohnehin angekratzte Grundvertrauen der US-Bürger in den Staat weiter zu untergraben, ist gefährlich.“
Quelle:
Die gefährliche Theorie des «deep state»
Die Verschwörungstheorie des «deep state» bzw. „Tiefen Staates“ hat neben den USA auch in einer Reihe von anderen Staaten Bedeutung, zum Beispiel in der Türkei.
Malte Lehming befasst sich im „Tagesspiegel“ mit dem Thema «deep state». Er vergleicht dabei die Rhetorik und das Denken von Donald Trump mit demjenigen von Recep Tayyip Erdogan.
Die Deep-State-These in den USA nehme Anleihen beim „Militärisch-Industriellen Komplex“, vor dem schon US-Präsident Dwight D. Eisenhower warnte. Aber auch bei eher linken Ideologien, wie sie von „Occupy Wall Street“ oder marxistisch beeinflussten Organisationen vertreten werden.
In Amerika gebe es keinen „deep state“, schreibt David A. Graham in „The Atlantic“, und zeigt die Unterschiede zwischen der Türkei und den USA auf.
Trump und Erdogan fühlen sich von Verschwörern umzingelt
„Was verbindet Erdogan und Trump?“, fragt Malte Lehming und führt dazu den Islam-Experte Patrick Cockburn an:
„Der Islam-Experte Patrick Cockburn hat die Parallelen dieser Männer in der britischen Zeitung ‚The Independent‘ erschreckend genannt. Beide seien Populisten und Nationalisten, durch ähnliche Methoden an die Macht gekommen, dämonisierten ihre Gegner und sähen sich permanent von Verschwörern eingekreist. Cockburn erinnert an einen Essay des britischen Historikers Lewis Namier aus dem Jahr 1947, in dem die Typologie eines ‚cäsaristischen Demokraten‘ beschrieben worden sei. Laut Lewis zeichne er sich dadurch aus, direkt zu den Massen zu reden, demagogische Slogans zu verwenden, die Justiz gering zu schätzen (sich aber trotzdem an Recht und Gesetz zu halten), Parteien, das parlamentarische System und die gebildete Klasse zu verachten, vage und widersprüchliche Versprechen abzugeben, Militarismus. Das alles treffe, bilanziert Cockburn, sowohl auf Erdogan als auch auf Trump zu.“
Bezüglich der „deep state“-Verschwörungstheorie in den USA schreibt Malte Lehming:
„Je mehr Amerikaner davon überzeugt sind, der Präsident stünde allein mächtigen Feinden gegenüber, desto nachsichtiger werden sie womöglich ihn und seine Politik bewerten. Für jedes Versagen kann er die Obstruktion der Bürokratie verantwortlich machen, für jeden Skandal dessen Aufbauschen durch die ‚Lügenpresse‘. Wer die „Deep-State“-Theorie verbreitet, kann ein Volk leicht manipulieren.“
Quelle:
Die Rede vom „deep state“ / „Tiefen Staat“ unterstellt eine geheime, feindlich gesinnte Elite. Solche Vorstellungen vernachlässigen in der Regel, dass allfällige Eliten auch ausgesprochen gegensätzliche Interessen haben können. Verschiedene Industriezweige zum Beispiel oder auch innerhalb einer Branche die verschiedenen Konkurrenten sind sich häufig alles andere als einig.
Andreas Rüesch hat in der „NZZ“ einen ansprechenden Kommentar zum „Tiefen Staat“ publiziert:
Ein Hoch auf den «tiefen Staat» – weshalb Trumps Verschwörungstheorien die Demokratie im Kern treffen
Andreas Rüesch schreibt:
„Ist der amerikanische Präsident das Opfer einer Verschwörung aus dem Innern des Staatsapparates? Zumindest behauptet er dies unablässig. Was Populisten wie er verdammen, gehört in Wirklichkeit jedoch zu den Grundfesten jeder Demokratie.“
Hier ein paar Punkte zusammengefasst aus dem Kommentar von Andreas Rüesch:
☛ Ein Wahlsieg ist für Populisten wie Trump keineswegs der Schlusspunkt im Kampf um die Macht. Vielmehr beginnt für sie nun die nächste Etappe, nämlich der Kampf mit den finsteren Elementen der Bürokratie, die den Volkswillen zu hintertreiben versuchen. Während traditionelle Grossparteien einen Wahlsieg als Auftrag auffassen, die Staatsmaschinerie zu übernehmen und in ihrem Sinne zu lenken, misstrauen Populisten diesem Apparat fundamental. In ihrem von Verschwörungstheorien geprägten Weltbild ist es nicht damit getan, ein paar neue Minister einzusetzen und ab und zu ein Dekret zu unterzeichnen. Nach dem Amtsantritt des US-Präsidenten Donald Trump verlangte dessen damaliger Chefideologe, Steve Bannon, konsequenterweise etwas viel Radikaleres: die «Zerstörung des administrativen Staates».
☛ Auch Liberale kritisieren wuchernden Staatsstrukturen, insbesondere dort, wo sie die Freiheit des Einzelnen unnötig einschränken und unternehmerische Initiative ersticken. Populisten zielen im Gegensatz dazu auf etwas ganz anderes ab. Es geht ihnen nicht um ein freiheitliches Staatswesen, sondern um freie Bahn für ihre Machtausübung. Dabei stilisieren sie die Bürokratie zum willkommenen Feind, gegenüber dem sie sich als Volkstribune inszenieren können. Gleichzeitig eignet sich der Verweis auf die Beharrungskräfte der Bürokratie bestens als Ausrede, wenn Misserfolge im Regierungsalltag auftreten.
☛ Das Feindbild des «tiefen Staates» hilft Donald Trump dabei, jede Kritik ins Leere laufen zu lassen.
☛ Es bestehe ein klarer Gegensatz zwischen den amerikanischen Justizbehörden, den Geheimdiensten und dem diplomatischen Korps einerseits und dem Präsidenten anderseits, schreibt Rüesch. Von einer Verschwörung könne jedoch keine Rede sein. Der Widerstand aus der Bürokratie sei vielmehr ein gesunder Reflex in einem Staatswesen, das seit je auf «checks and balances» setzt, auf ein Zusammenspiel machtpolitischer Gegengewichte.
☛ Was Populisten als «tiefen Staat» verdammen, sei daher in den meisten Fällen ein durchaus heilsames Gegengewicht: „Der Rechtsstaat, eine nach gesetzlichen Vorgaben operierende Bürokratie, aber auch Parlamente, Medien und eine wache Bürgergesellschaft können den Launen eines Staatschefs Grenzen setzen. Populisten nehmen für sich in Anspruch, das von den Eliten entmündigte Volk zu befreien – da liegt es nahe, jeden Widerstand als Verrat an ebendiesem Volk zu geisseln. In Wirklichkeit sind es gerade diese Gegengewichte, die das Wesen einer funktionierenden Demokratie ausmachen und sie vor autoritären Verirrungen bewahren.“
Fazit:
Es lohnt sich sehr, zum Thema „deep state“/“Tiefer Staat“ den Kommentar von Andreas Rüesch vollständig zu lesen. Er bringt die Problematik dieser Verschwörungstheorie auf den Punkt.
Konkretes Beispiel
Un den USA führen Verschwörungstheoretiker eine Hass-Kampagne gegen den Direktor des Nationalen Instituts für Infektionskrankheiten. Der renommierte Immunologe Anthony Fauci hat mehrere Falschaussagen von US-Präsident widersprochen. Das reicht für rechte Trolle für den Verdacht, dass der Experte zum „Deep state / Tiefer Staat“ gehört. Seither wird Fauci in asozialen Medien wie Facebook, Twitter und YouTube massiv beschimpft und bedroht. Er wurde wegen Morddrohungen unter Polizeischutz gestellt.
Siehe dazu:
Rechte Verschwörungstheoretiker nehmen Trumps Corona-Berater ins Visier