«Conspirituality» ist ein Kofferwort aus conspiracy und spirituality. Der Begriff wurde 2011 von den Sozialwissenschaftlern David Voas und Charlotte Ward geprägt. Er beschreibt die Synthese von verschwörungstheoretischem Denken („conspiracy“) und New-Age-Spiritualität („spirituality“).
Voas und Ward schreiben:
«The female-dominated New Age (with its positive focus on self) and the male-dominated realm of conspiracy theory (with its negative focus on global politics) may seem antithetical. There is a synthesis of the two, however, that we call ‘conspirituality’.»
Deepl-Uebersetzung:
«Das weiblich dominierte New Age (mit seinem positiven Fokus auf das Selbst) und das männlich dominierte Reich der Verschwörungstheorie (mit seinem negativen Fokus auf die globale Politik) mögen antithetisch erscheinen. Es gibt jedoch eine Synthese der beiden, die wir „Konspiritualität“ nennen.»
Man könnte auch sagen, dass sich in der «Conspirituality» eher rechtsgerichtete, verschwörungstheoretische Konzepte mit eher linken esoterischen Ansätzen treffen.
Die Autoritarismus-Studie hat erstmals die Verbreitung von Conspirituality in Deutschland erfasst: Danach zeigen 5,1 Prozent der Befragten eine „starke Neigung“ zu dieser Haltung.
Die Wissenschaftler verweisen zudem darauf, dass Verschwörungserzählungen häufig als Hilfskonstruktionen für esoterische Überzeugungen dienen können: Beispielsweise könne die Annahme eines von Bill Gates geleiteten Impfkartells erklären, weshalb „unterdrücktes Wissen“ über Naturheilmethoden und die Wirkungslosigkeit von Impfungen nicht an die Öffentlichkeit gelangen würde.
Beispiele für Conspirituality
In Deutschland existiert eine Conspirituality-Szene, die häufig unverhohlen rechtsextreme und antisemitische Thesen vertritt.
So vermischt beispielsweise der Autor Jan Udo Holey in seinen (zum Teil unter dem Pseudonym „Jan van Helsing“ publizierten) Büchern Esoterik, germanische Mythologie und christliche Zahlenmystik mit Warnungen vor einer globalen Verschwörung jüdischen Ursprungs. Auch Netzaktivist und Unternehmer Jo Conrad verbindet Antisemitismus und esoterisches Denken.
Der Rechtsesoteriker rät zum Beispiel, wie man sich angeblich durch das Aussenden „positiver Signale“ vor Schicksalsschlägen, zum Beispiel vor Überfällen in der Straßenbahn, schützen kann. Die „jüdisch dominierte“ amerikanische Filmindustrie ist für ihn Teil eines Komplotts, unsere „Visualisierungskraft“ und Empathie zu reduzieren.
Als Beispiel für conspirituality werden mehrfach die «Zeitgeist-Filme» und die daraus hervorgegangene «Zeitgeist-Bewegung» genannt.
Der erste der drei abendfüllenden «Zeitgeist-Filme» erschien 2007, der letzte im Jahr 2011. Die Filme transportieren Verschwörungstheorien und trafen in einer Welt, die von der globalen Finanzkrise verunsichert war, einen Nerv. Hunderte Millionen Menschen schauten sich die obskuren Machwerke des Amerikaners Peter Joseph Merola im Netz an.
Laut „Zeitgeist“-Macher Merola haben traditionelle Protestformen keinen Effekt auf die globale Elite. Anstatt das „System“ politisch zu bekämpfen, sollten sich seine Anhängerinnen und Anhänger für Wissen, Frieden, Einheit und Mitgefühl engagieren. Die Forderung eines „neuen Bewusstseins“ oder „spirituellen Erwachens“ bei gleichzeitiger Geringschätzung politischer Aktivitäten ist ein bedeutender Bestandteil vieler esoterischer Lehren. Damit erweisen sich die «Zeitgeist-Filme» als ein Beispiel von „Conspirituality“. Die in der Folge entstandene «Zeitgeist-Bewegung» soll zeitweise über 400.000 Anhänger gehabt haben.
In der Schweiz verbindet Esoterikstar Christina von Dreien Verschwörungstheorien und Verschwörungsmentalität mit esoterischer Propaganda.
Sehr deutlich gezeigt hat sich die Conspirituality im Zuge der Coronakrise, wo Esoterikerinnen und Esoteriker Seite an Seite mit Rechtsextremen und Verschwörungsgläubigen aller Art demonstrieren. Diese Szenen haben sich in dieser Zeit zudem über Telegramkanäle vernetzt.
Was verbindet Esoterik und Verschwörungstheorien?
Esoteriker und Verschwörungsgläubige sehen sich beide oft als Wissende, als Aufgewachte. Sie glauben, dass sie im Gegensatz zu den Schlafschafen die Wahrheit hinter den Fassaden erkannt haben. Das Selbstbild, Trägerin oder Träger geheimen Wissens über Verschwörungen und geheime Machtsysteme zu sein, gestattet es, sich selbst gewissermaßen als Teil einer Elite zu verstehen, die – im Gegensatz zu den ‹schlafenden› Massen – ‹erwacht› sei. Durch die narzisstische Überhöhung der eigenen Gruppe der ‹Erwachten› oder ‹Wissenden› können Kränkungen gesellschaftlicher und persönlicher Art abgefedert werden.
Esoterikerinnen und Verschwörungsgläubige vereint oft auch die Opposition zu Wissenschaft und Qualitätsmedien und «Mainstream»-Öffentlichkeit. Sie nähern sich dem «Feind», indem sie dessen Formsprache aufgreifen. So bemühen sich die Anhänger und Anhängerinnen beider Strömungen oft um einen pseudowissenschaftlichen Stil mit vielen Zitaten oder Rekursen auf (quanten)physikalische ‹Beweise› spiritueller Phänomene».
Die Anfälligkeit der Esoterikszene für Verschwörungstheorien ist nicht zufällig. Sie basiert auf dem Glauben, dass sich hinter der sichtbaren Welt eine unsichtbare verberge, von der aus Geister, Götter oder kosmische Energien sowie Schicksal und Karma unsere Geschicke bestimmen. Das Verschwörungsdenken ist deshalb ein Kernbestandteil der Esoterik.
Esoterik und Verschwörungstheorien gehen auch beide davon aus, dass die Welt eingeteilt wird in die Mächte des Bösen und die Mächte des Guten. Für diesen Dualismus ist der Esoterikstar Christina von Dreien ein gutes Beispiel.
Esoterik und Verschwörungstheorien können zudem beide als scheinbarer Haltgeber in Krisenzeiten dienen. Mehr zu diesen Zusammenhängen in der Enzyklopädie im Beitrag Esoterik & Verschwörungstheorien.
Quellen:
QUERDENKER“-SERIE:
Hippies, Nazis und Verschwörer: Die antisemitische Gefahr der „Querdenker“ (Der Standard)
Die Verschwörungs-Nervensägen (Achgut.com, Blog von Kolja Zydatiss)
Aberglaube, Esoterik und Verschwörungsmentalität in Zeiten der Pandemie (Verbandszeitschrift à jour! Psychotherapie-Berufsentwicklung)
Decker, O. & Brähler, E. (Hrsg.). (2020). Autoritäre Dynamiken. Alte Ressentiments – neu Radikalität. Leipziger Autoritarismus Studie 2020. Gießen: Psychosozial-Verlag.
The Emergence of Conspirituality (Charlotte Ward & David Voas, Journal of Contemporary Religion)