In Krisensituationen suchen manche Menschen Halt in der Esoterik. Die Esoterik befeuert jedoch auch den Glauben an Verschwörungstheorien. Zwischen Verschwörungsglauben und esoterischen Annahmen gibt es Überlappungen. Fachleuten bereitet Sorge, wie sich esoterisches, antidemokratisches und antisemitisches Gedankengut sowie Verschwörungsmythen zunehmend mischen. Akteure, die antisemitische Verschwörungstheorien und esoterische Lebenshilfe vermischen, sind beispielsweise auf YouTube sehr erfolgreich.
Bis ins Zeitalter der Aufklärung hinein integrierten die Religionen das Verschwörungsdenken fest in die Gesellschaft. In der Gegenwart übernehmen esoterische Heilslehren diese Aufgabe, jedenfalls bei uns in Mitteleuropa. Die scheinbar unpolitische, unverdächtige Esoterik wird auch in der gesellschaftlichen Mitte rezipiert. Und wie bereits zuvor mit der Religion verbreiten sich aus der Esoterik heraus Verschwörungstheorien bis in die Mitte der Gesellschaft hinein.
Religion und Verschwörungsglauben
Im Verlauf der Geschichte spielen die Religionen eine große Rolle dabei, dass sich Verschwörungstheorien weit verbreiteten. Im Mittelalter entwickelte sich die Vorstellung, Hexen würden im Bunde mit dem Teufel die christliche Ordnung angreifen. Juden und Jüdinnen würden Hostien stehlen und schänden sowie Brunnen vergiften, um Christenmenschen zu vernichten. Sie würden deren Kinder entführen, foltern und schlachten, um mit dem Blut Brot zu backen oder schwarze Magie zu betreiben.
Seit der Reformation hatten sich KatholikInnen und ProtestantInnen, dann Freimaurer und Jesuiten sowie AufklärerInnen und Obrigkeit wechselseitig der Verschwörung bezichtigt und einige reale Verschwörungen ausgeheckt. Nach der Französischen Revolution galten wieder zuerst die Juden und Jüdinnen als Finsterlinge, die im Hintergrund wirken.
Eine neue Variante von Verschwörungstheorien entstand Mitte des 20. Jahrhunderts. In den klassischen Fällen hatte der Vorwurf gelautet, eine Gruppe agiere gegen Staat und Gesellschaft. In der neuen Variante heißt es, der Staat selbst wende sich gegen die Gesellschaft – oder eine klandestine Gruppe benutze den Staatsapparat zu diesem Zweck. Im Jahr 1947 behauptete das US-amerikanische Senatskomitee House on Un-American Activities unter dem erzkatholischen Senator Joseph McCarthy, es gebe eine »große Verschwörung innerhalb der Regierung«. Verschwörungs-Spekulationen um die Ermordung von John F. Kennedy, um Ufos und Aliens, die Mondlandung, die Terroranschläge von 9/11 oder um Migration folgen diesem Muster: Immer soll die Regierung von Verschwörern beherrscht sein oder im Dienste geheimer Hintermänner gegen die Bevölkerung operieren. Aktuelle Varianten sind gerade der «Grosse Austausch», der «Tiefe Staat» und die QAnon-Verschwörungsideologie.
Im 20. Jahrhundert wurden die etablierten Religionen in verschiedener Hinsicht abgelöst durch eine neue Spiritualität und esoterische Erzählungen. Gerade die unpolitisch erscheinende Esoterik ist in der Lage, erneut Verschwörungserzählungen in die Mitte der Gesellschaft zu transportieren. Die neuere Esoterikszene entwickelte sich seit den 1970er Jahren entlang vielfältiger Strömungen wie Astrologie oder New Age. Deren Übergänge in die faschistische Szene sind manchmal fließend. Das zeigen Beispiele wie das Aufleben der Neuschwabenland-Mär, wonach die Nazis sich bei Kriegsende mit neuartigen Flugobjekten in die Antarktis zurückzogen. Darüber hinaus fand das Faible für konspirative Spekulationen mit der populären Welle von Ufo-Erzählungen weitere Verbreitung. Es lebte beispielsweise in der TV-Serie »Akte X« auf.
In Deutschland wurden Übersetzungen amerikanischer Autoren publiziert, zum Beispiel von Gary Allen (»Die Insider«, 1974) oder von Des Griffin (»Wer regiert die Welt? Die Protokolle der Weltdiktatur«, 1986), in denen Bilderberger und Illuminaten als Verschwörer auftraten. Der ehemalige britische Fußballprofi David Icke verkündet, dass uns in Wahrheit außerirdische Reptiloiden in Humangestalt beherrschen, die sich der »Juden« und »Illuminaten« bedienten (»Das größte Geheimnis«, 2004).
Einen originär deutschen Verschwörungsbeitrag veröffentlichte Dieter Rüggeberg, ein rechter Okkultist mit Nähe zur Anthroposophie. In seinem zweibändigen Werk »Geheimpolitik« (1990/1994) bezeichnete er Hitler als okkulten Logenbruder im Dienst des Weltjudentums. Einen Bestseller lancierte Jan Udo Holey alias Jan van Helsing mit den »Geheimgesellschaften« (1993, 1995), dessen erster Band über 100.000 verkaufte Exemplare. Das Buch wurde in einer esoterischen Zeitschrift beworben und auch über den verschwörungstheorieaffinen Kopp Verlag vertrieben.
Holey fabulierte von Schwarzmagiern, die die Priester des antiken Mesopotamien infiltriert hätten, um eine Weltregierung zu errichten, sowie über einen Mayer Amschel Rothschild, der sich 1743 in der Frankfurter Judengasse mit zwölf reichen Juden traf. Sie hätten geplant, mit Hilfe von drei Weltkriegen die Weltherrschaft zu erringen. Gegenwärtig werde der dritte Weltkrieg vorbereitet, doch eine Koalition aus Irdischen und Aliens werde die Verschwörer am Ende besiegen. Holey führte das ganze Arsenal des Verschwörungsdenkens ins Feld: Bilderberger, Vatikan, Ku-Klux-Klan lässt er als Werkzeuge der Freimaurer und Juden auftreten. Der deutsche Bundeskanzler Helmut Kohl sei in Wahrheit ein Jude namens Henoch Kohn. Ein durch und durch absurdes Szenario.
Eine bedeutende Rolle nehmen Verschwörungstheorien in der Anthroposophie ein, der größten und einflussreichsten Strömung der Esoterik in Deutschland. Die Anthroposophie lehrt die Existenz von Engeln, Volksgeistern und Götterboten. Politische Ereignisse erklärt sie durch das Wirken der Dämonen Ahriman und Luzifer, die für Materialismus und Intellektualismus stehen. Den Ersten Weltkrieg deuteten Rudolf Steiner, der Begründer der Anthroposophie, und seine Anhängerschaft als Verschwörung von britischen Freimaurern, Jesuiten und jüdischen Bankern gegen Deutschlands Mission.
Eine neuere Strömung ist die esoterische Anastasia-Bewegung, der eine Fantasy-Romanreihe (1996 – 2010) von Wladimir Megre zugrunde liegt. Das Weltbild dieser Bewegung ist reaktionär, antisemitisch und patriarchal: Sie orientiert sich am kleinbäuerlichen Familienbetrieb des vormodernen Russlands. Als Ziel gilt die Erlösung vom »Zeitalter der Dunkelmächte«, hinter dem sich eine jüdische Weltherrschaft verberge.
Die Anfälligkeit für Verschwörungstheorien in der Esoterikszene ist nicht zufällig. Sie basiert auf dem Glauben, dass sich hinter der sichtbaren Welt eine unsichtbare verberge, von der aus Geister, Götter oder kosmische Energien sowie Schicksal und Karma unsere Geschicke bestimmen. Das Verschwörungsdenken ist damit ein Kernbestandteil der Esoterik.
Forschung zum Zusammenhang zwischen Esoterik und Verschwörungsglauben
Zum Zusammenhang zwischen Esoterik und Verschwörungsglauben gibt es inzwischen auch einige Ergebnisse aus der Forschung. Engagiert in diesem Bereich ist zum Beispiel die Psychologin Pia Lamberty. Sie sagt in einem Interview im «Deutschlandfunk»:
«Empirisch in Studien zeigt sich, dass ähnliche Faktoren den Glauben an esoterische Welterklärungsmodelle befeuern wie auch Verschwörungserzählungen. Das ist ganz oft so ein Kontrollverlust, also eine Situation, in der Menschen versuchen, Strukturen zu finden, beispielsweise nach Lebenskrisen, und da kann Esoterik scheinbar Halt bieten, genauso wie der Glaube an Verschwörungen. Man sieht ja auch empirisch eine Überlappung zwischen Verschwörungsglauben und esoterischen Annahmen.»
Der Politikwissenschaftler Jan Rathje, der bei der Amadeu Antonio Stiftung in Berlin zu Verschwörungstheorien forscht, sagt in der «Zeit»:
«Esoterik und Verschwörungstheorien verbindet mehr, als sie trennt. Beide gehen letztlich davon aus, dass die Welt eingeteilt wird in die Mächte des Bösen und die Mächte des Guten. Man kann das metaphysisch mit Engeln und Dämonen versehen – oder wie im Nationalsozialismus mit den Deutschen und den Juden.» Letztlich gehe es um eine Zweiteilung der Welt. Die grossen Überschneidungen zwischen Esoterik und Verschwörungsideologien zeige sich auch in den Angeboten bestimmter Buchverlage, sagt Rathje im ARD-Fakenfinder. Die Überschneidungen seien auch nicht neu: „Letztlich geht es darum, dass beide Modelle eine widerspruchsfreie Gesellschaft erzeugen wollen. Man behauptet, man sei nicht rechts, ignoriert aber Rechtsextreme auf den Demos. Das ist die Widerspruchsfreiheit nach innen. Aber man will auch eine Gemeinschaft ohne Widersprüche: keine störenden Parteien oder keine individuellen Interessen.“
Rathje verweist auf den US-Politikwissenschaftler Michael Barkun, der Ähnlichkeiten zwischen „kultischen“ und verschwörungsideologischen Milieus beschrieben hat. Beide richten sich demnach erst einmal allgemein gegen die „offizielle“ Darstellung. Außerdem zielen Esoterik und Verschwörungsideologien auf ein „Weltsystem“ ab – das bedeutet, sie wollen alles widerspruchsfrei erklären und integrieren.
In ihrem lesenswerten Buch «Fake Facts» beschreiben Pia Lamberty und Katharina Nocun gemeinsame Denkmuster von Esoterik und Verschwörungstheorien:
«Verschwörungsgläubige und Esoteriker haben eine wichtige Gemeinsamkeit: die Art und Weise, wie sie mit sozialen Problemen umgehen. Studien konnten zeigen, dass Menschen, die mit Verschwörungserzählungen konfrontiert wurden, eher dazu neigten, einzelne Gruppen für gesellschaftliche Missstände verantwortlich zu machen, als das gesellschaftliche System infrage zu stellen. Vereinfacht gesagt: Es ist nicht das ungerechte Sozialsystem, das schuld ist an Altersarmut, sondern böse Mächte lassen absichtlich alte Menschen verarmen.
Esoteriker weisen ähnliche Denkmuster auf: Hier finden wir sehr häufig den sogenannten Glauben an eine gerechte Welt. Wer an eine ‘gerechte Welt’ glaubt, der neigt dazu, nach etwas oder jemandem zu suchen, dem er die Schuld an unglücklichen Ereignissen geben kann. Diese Menschen glauben, dass, wer Gutes tut, auch Gutes bekommt. Das bedeutet aber auch im Umkehrschluss, dass, wenn Menschen schlechte Dinge widerfahren, sie auch Schlechtes getan haben müssen. In diesem Weltbild werden Krankheiten oder Schicksalsschläge dann als Konsequenz des eigenen Handelns gedeutet. Und wer sich hier an das Karma-Konzept erinnert fühlt, der liegt gar nicht so falsch.»
Die Anschlussfähigkeit der Esoterik auch für menschenfeindliche Verschwörungserzählungen begründet sich laut Lamberty/Nocun vor allem in einer grundlegenden Überschneidung zentraler Glaubenssätze:
«Sowohl in der Esoterik als auch bei Verschwörungsideologien wird die Welt in Schwarz und Weiss, Gut und Böse eingeteilt.»
Gemeinsam ist Esoterikern und Verschwörungsgläubigen auch, dass sie sich gern als „Aufgewachte“ sehen, sich dadurch von den angeblich naiven „Schlafschafen“ abheben und damit ihr Selbstwertgefühl steigern. Das erinnert an die angeblichen Erweckungserlebnisse von „wiedergeborenen Christen“.
Esoterik als trojanisches Pferd für rechtsextremes und antisemitisches Denken
Der Theologe Matthias Pöhlmann beschäftigt sich als Beauftragter für Sekten– und Weltanschauungsfragen der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern seit Jahren mit dem Zusammenhang zwischen rechter Szene und Esoterik. In Interviews warnt er immer wieder, dass dieses Milieu unterschätzt werde. Im «Deutschlandfunk» unterstreicht Pöhlmann die fließenden Übergänge zwischen Verschwörungstheorien und antisemitischen Überzeugungen. Die Esoterik diene häufig als trojanisches Pferd für rechtsextremes Denken, warnt er.
Rechtspopulismus und Esoterik gehe es um gesellschaftliche Verwerfungen, um Polarisierung und um ein großes Misstrauen innerhalb der Gesellschaft. Und dieselben Phänomene beschreiben auch Untersuchungen zur Verbreitung von Verschwörungstheorien. Zu den einigenden Grundgedanken der rechtsesoterischen Szene gehört laut Pöhlmann «Ein ganz starkes Misstrauen gegenüber der Politik, gegenüber der Wissenschaft, gegenüber den Religionen und natürlich auch gegenüber den Medien.»
Besonders problematisch findet der Theologe die fließenden Übergänge zwischen Verschwörungstheorien und antisemitischen Überzeugungen. Gerade im esoterischen Kontext könne man das an bestimmten Codes erkennen. Als Beispiel erwähnt Pöhlmann die Buchreihe Anastasia, in der es um eine sagenhafte Gestalt aus der Taiga geht. Diese Bücher finden viele Leser, erklärt er, sie klängen nach Naturromantik, Familienlandsitz und Ökologie. Darin eingestreut seien jedoch antidemokratische und antisemitische Überzeugungen.
Kritisch sieht Matthias Pöhlmann auch, dass auf Esoterikmessen teilweise problematische Bücher propagiert werden. Verschwörungsesoterische Grundüberzeugungen und antisemitische Inhalte bekommen damit Aufmerksamkeit. In dem Umfeld würden auch wieder die antisemitischen „Protokolle der Weißen von Zion“ aus der Mottenkiste geholt – erwiesenermaßen eine Fälschung, die jedoch als historische Tatsache referiert werde.
Die Autoren in der rechtsesoterischen Szene gäben vor, Einblicke in größere Gesetzmäßigkeiten zu haben. Es geht bei all dem um einen sehr hohen Erkenntnisanspruch und einen „antiinstitutionellen Affekt“, erklärt Matthias Pöhlmann. Diese Szene bilde zudem eine gefühlte Elite und grenze sich von anderen ab. Sich selbst zählten Anhänger dieser rechtsesoterischen Szene zu den Erwachten – in Abgrenzung zu allen anderen Menschen, den sogenannten „Schlafschafen„.
Wenn man sich die Botschaften dieser Szene genauer ansehe, dann müsse man doch sagen, es handele sich oft auch um geistige Brandstifter für antidemokratisches und antisemitisches Denken.
Auch Jan Rathje warnt, Esoterik stelle „einen Zugang zu Verschwörungsideologien und einer weiteren Radikalisierung dar“. Sowohl Verschwörungsideologien, Antisemitismus als auch Esoterik gingen davon aus, dass „die Welt aufgeteilt ist in Gut und Böse – und dass ein Entscheidungskampf stattfinde, erklärt der Politikwissenschaftler: «Esoterische und verschwörungsideologische Inhalte treten sehr häufig gemeinsam auf.»
Quellen:
Die andere Realität – Die Esoterik reaktiviert das Verschwörungsdenken (Artikel von Peter Bierl in: Informationszentrum Dritte Welt, iz3w Nr. 371)
Fake Facts, Wie Verschwörungstheorien unser Denken bestimmen, von Pia Lambery und Katharina Nocun, Quadriga Verlag 2020, Seiten 203, 218)
Rechte Esoterik: Meditieren, heilen, Juden hassen (Zeit online)
Corona-Proteste: Esoterik, Gandhi und Reichsflaggen (ARD-Faktenfinder)
Wie sich Verschwörungstheorien und Esoterik überlappen (Deutschlandfunk)
Rechte Esoterik: Von Verschwörungstheorien bis Antisemitismus (Deutschlandfunk Nova)
Siehe auch:
Conspirituality: Verschmelzung von Verschwörungsmentalität und Esoterik
Esoterik und Verschwörungstheorien als Zwillingspaar