Fabian Schäfer, Japanologe von der Universität Erlangen-Nürnberg, erforscht die Sprachmuster der Verschwörungstheoretikerinnen und Verschwörungstheoretikern. Dabei zeigen sich immer wieder sogenannte Kofferwörter:
Im Kontext der Corona-Verschwörungstheorien spreche man anstelle von ‚Gesichtsmaske‘ von ‚Gesichtswindel‘. Dadurch werde ein Begriff, der neutral sei und einen Gegenstand beschreibe oder eine Politik, schnell pejorativ-negativ aufgeladen, sagte Schäfer an einer Veranstaltung der Herrenhäuser Gespräche. «Das können sie im Internet sehr einfach, indem sie diese Begriffe zusammensetzen, vielleicht noch mit einem Hashtag versehen. Dadurch erreichen die diese große virale Reichweite.“, erklärt der Wissenschaftler.
Was sind Kofferwörter?
Kofferwörter sind Kunstwörter, die aus mindestens zwei überlappenden, einzelnen Wörtern entstanden sind. Die beiden Bestandteile werden dabei zu einem inhaltlich neuen Begriff verschmolzen werden.
Im Kontext der Verschwörungstheorien dienen Kofferwörter dazu, prägnant-negative, eingängige Akzente zu setzen.
Beispiele dafür sind Begriffe wie Plandemie, Mainstreammedien, Lügenpresse, Impflüge oder Klimalüge.
☛ «Plandemie» – das suggeriert eine geplante Pandemie. Der Begriff kam im Kontext der Coronakrise von 2020 auf. Er half als politisches Schlagwort der der Verbreitung von Corona-Verschwörungstheorien und weiteren Falschinformationen über Covid-19. Es wird damit meist unterstellt, dass die globale Coronakrise von Drahtziehern fabriziert wurde, um Rechte und Freiheiten einschränken zu können. Auch die Unterstellung, dass Corona ein medizinisches Experiment sei sowie weitere Verschwörungszenarien sind mit dem Begriff verbunden.
☛ Begriffe wie «Mainstreammedien» und «Lügenpresse» unterminieren das Vertrauen in Qualitätsmedien, die nach journalistischen Standards arbeiten. Sie lenken das Publikum zu selbsternannten «Alternativen Medien», die einseitig die Agenda von Verschwörungstheoretikern und Extremisten bewirtschaften.
☛ «Impflüge» ist ein Kampfbegriff, in dem das Potenzial steckt, die ausgesprochen erfolgreiche medizinische Methode des Impfens mit einem einzigen Killerwort vom Tisch zu fegen. Für Argumente bleibt da kein Platz mehr.
☛ «Klimalüge» ist ein Kampfbegriff, in dem das Potenzial steckt, die ausgesprochen breit abgestützten Ergebnisse der Klimatologie zur menschengemachten Klimaerwärmung mit einem einzigen Killerwort vom Tisch zu fegen. Für Argumente bleibt da kein Platz mehr.
Kofferwörter werden aber selbstverständlich nicht nur von Verschwörungsgläubigen verwendet. So sprach zum Beispiel die WHO im Kontext der Corona-Pandemie von einer «Infodemie». Gemeint ist damit die unkontrollierte Verbreitung von Falschinformation zu Covid-19.
Quellen:
Herrenhäuser Gespräch: Was steckt hinter Verschwörungstheorien? (NDR)
Was bedeutet „Plandemie/Plandemic“? Bedeutung und Definition (NETZWELT)
Wie und warum entstehen und verbreiten sich Verschwörungstheorien und welche zentralen Elemente und Symbole finden sich immer wieder? Ein Herrenhäuser Gespräch vom 10. Juni 2021 mit:
Julia Ebner, Online-Extremismus-Beraterin der UN, NATO und Weltbank, Institute for Strategic Dialogue London.
Prof. Dr. Stefan Evert, Germanistik und Komparatistik, Universität Erlangen-Nürnberg.
Prof. Dr. Nicola Gess, Departement Sprach- und Kulturwissenschaften, Universität Basel
Prof. Dr. Fabian Schäfer, Institut für Sprachen und Kulturen des Nahen Ostens und Ostasiens, Universität Erlangen-Nürnberg.
Prof. Dr. Tobias Schlicht, Fakultät für Philosophie und Erziehungswissenschaft, Ruhr-Universität Bochum.
Moderation: Dr. Ulrich Kühn, NDR Kultur.
Hier in der Mediathek der VolkswagenStiftung oder unten auf YouTube:
Anmerkung:
Kofferwörter sollten genau auf die Aussagen untersucht werden, die sie mehr oder weniger explizit transportieren. Insbesondere im Kontext von Verschwörungstheorien enthalten diese Begriffe oft auch politisch relevante Gesinnungen und dienen der Delegitimierung von Qualitätsmedien, wissenschaftlichen Erkenntnissen etc.