Die «Neue Weltordnung» (NWO, New World Order) ist eine “Superverschwörungstheorie», in die sich viele andere Verschwörungstheorien einbauen lassen. Verschwörungsgläubige verstehen unter der NWO angebliche Bestrebungen von Eliten und Geheimgesellschaften, eine autoritäre, supranationale Weltregierung zu errichten. Diese Vorstellungen gehen auf ältere Wurzeln zurück, wurden aber vor allem zu Beginn der 1990er Jahre in den USA populär. Sie werden insbesondere von christlich-fundamentalistischen, rechtsextremen und esoterischen Kreisen verbreitet. Ob die Verwendung des Begriffs in der globalisierungskritischen Linken ebenfalls als verschwörungstheoretisch einzustufen ist, wird kontrovers diskutiert.
Schwachstellen der Superverschwörungstheorie NWO
Das Konstrukt der Neuen Weltordnung hat eine Reihe von grundsätzlichen Schwachpunkten:
– Es existiert keine weltweite Elite mit einheitlichen Interessen, die sich in eine Weltregierung mit homogenen Zielen umsetzen liesse. Die Interessen von Eliten unterscheiden sich regional, national und von den Branchen her. Eliten stehen an vielen Punkten in Konkurrenz zu anderen Eliten.
– Die Zahl der Mitwisserinnen und Mitwisser müsste gigantisch sein. Derart grosse Verschwörungen lassen sich nicht lange geheim halten.
– Die NWO setzt einen planbaren Verlauf der Geschichte voraus. Das widerspricht aber fundierten soziologischen und historischen Erkenntnissen. Geschichtliche Vorgänge sind viel zu komplex, als dass sie von einer Person oder einer Gruppe voll unter Kontrolle zu halten sind. Schon gar nicht über Jahre, Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte.
– Es gibt keinerlei Belege für diese «Superverschwörungstheorie».
– Die NWO krankt an eklatanten Widersprüchen:
Die Elite beherrscht alles und ist überaus mächtig. Dennoch konnte sie bis heute ihre NWO nicht errichten. Auch nicht nach Jahrzehnten oder gar Jahrhunderten.
Die Elite hat unerschöpfliche Ressourcen und ein Heer von Helferinnen und Helfern. Sie alle halten sich streng an einen Plan und operieren insbesondere im Geheimen. Dennoch finden Verschwörungstheoretiker mit verhältnismässig geringem Aufwand fast täglich neue Beweise, versteckte Zeichen und Spuren. Warum kriegen die das nicht besser hin?
Die Elite ist überaus einflussreich und mächtig. Dennoch schafft sie es nicht, die umfangreichen Veröffentlichungen der Verschwörungstheoretiker zum Verschwinden zu bringen.
Trotzdem ist die NWO bei Verschwörungsgläubigen sehr beliebt. Sie lässt sich als grosse Klammer nutzen, die unterschiedlichste Verschwörungstheorien unter einem Dach zusammenführt. Ob Deep State, Bill Gates, die Pharmaverschwörung, Chemtrails, die Anschläge von 9/11, George Soros, die Freimaurer, die Protokolle der Weisen von Zion, die Illuminaten, Pizzagate oder noch viel mehr: Die NWO kann fast als Mutter aller Verschwörungstheorien dienen. Jeder Verschwörungsgläubige kann sie mit eigenen Inhalten füllen.
Entstehungsgeschichte
Schon zur Zeit des Ersten Weltkriegs hatte US-Präsident Woodrow Wilson das Schlagwort von der „Neuen Weltordnung“ verwendet. Mit seinem «Vierzehn-Punkte-Programm» strebte er nach einer «Neuen Weltordnung», in der ein Völkerbund effektiv kollektive Sicherheit gewährleisten sollte. Das Vierzehn-Punkte-Programm umfasste die Grundzüge einer Friedensordnung für das vom Ersten Weltkrieg erschütterte Europa.
Im Jahr 1939 veröffentlichte der englische Schriftsteller und Science-Fiction-Pionier H. G. Wells ein Sachbuch mit dem Titel «The New World Order». Es enthält Überlegungen zur Frage, wie eine Welt des Friedens für die Menschheit erreichbar ist.
In seinen Wurzeln jedenfalls ist der Begriff «Neue Weltordnung» von hohen Idealen geprägt. Als politische Idee steht er für Konzepte, international eine Friedens- und Rechtsordnung durch ein System der kollektiven Sicherheit zu etablieren.
In eine verschwörungstheoretische Richtung Fahrt aufgenommen hat die «Neue Weltordnung» im politischen Diskurs der USA in den frühen 90er Jahren.
Entscheidend war dabei das Ende des «Kalten Krieges». Durch den Zusammenbruch der Sowjetunion verloren Evangelikale und christliche Fundamentalisten sowie Anhänger der politischen Rechten in den USA ihr Feindbild. Ihre antikommunistische Verschwörungstheorie kollabierte. An ihrer Stelle bot sich die neu ausgebaute Verschwörungstheorie der «Neuen Weltordnung» als passender Ersatz an.
Dieses Beispiel zeigt gut, wie anpassungsfähig Verschwörungstheorien sind. Wer eine Verschwörungstheorie braucht, wird sie nicht einfach loslassen, wenn sie unmöglich geworden ist, sondern flexible Modifikationen vornehmen.
Die rechtsradikale John Birch Society hatte schon seit ihrer Gründung 1958 immer wieder vor einer „Neuen Weltordnung“ unter kommunistischen Vorzeichen gewarnt.
Um ihr eingewurzeltes Denken in klar bestimmten Freund-Feind-Kategorien beibehalten zu können, wechselte ihre Verschwörungstheorie vom Antikommunismus, der den Feind vor allem außerhalb der USA gesehen hatte, auf die Bekämpfung der eigenen Regierung. Ansatzpunkt dafür waren Reden, die US-Präsident George H. W. Bush in den Jahren 1990 und 1991 hielt, und in denen er von einer «new world order» sprach.
Verstärkt wurden die konspirationistischen Neigungen der erwähnten Kreise durch den Umstand, dass Bush Senior Mitglied der Studentenverbindung «Skull & Bones» (Schädel & Knochen) war, um die sich Verschwörungsgerüchte rankten. Ausserdem war der ehemalige CIA-Direktor bereits mehrfach mit Geheimgesellschaften in Verbindung gebracht worden.
Dass die Vorstellung, es drohe eine „Neue Weltordnung“, anfangs der 1990er Jahre auch im amerikanischen evangelikalen und fundamentalistischen Protestantismus populär wurde, erklärt der amerikanische Politikwissenschaftler Michael Barkun mit den Schwierigkeiten, in die auch dessen Prognosen geraten waren: In ihren Interpretationen von Texten des Neuen Testaments hatten sie bisher stets die Zunahme internationaler Konflikte prophezeit, die sich bis zur Grossen Trübsal und zur Weltherrschaft des Antichrist steigern würden. Erst die Wiederkunft Jesu Christi würde dieser Schreckenszeit ein Ende setzen. Im Fokus dieser endzeitlichen Konflikte hatte man immer die Sowjetunion und Israel gesehen. Nun jedoch war die Sowjetunion kein Feind mehr und die Konflikte im Nahen Osten drehten sich nicht mehr um Israel, sondern um den Irak. In dieser «Notlage» bot sich die Verschwörungstheorie von der „Neuen Weltordnung“ an, dieses prophetische Vakuum zu füllen.
Diese Vorgänge zeigen gut, wie Verschwörungsgläubige aus unzusammenhängenden Details ein Gespinst von Verbindungen knüpfen und daraus ihr Konstrukt basteln.
1991 publizierte Pat Robertson (* 1930), Gründer der evangelikalen Christian Coalition of America, sein Buch The New World Order. Darin beschreibt er die christlichen USA im Zangengriff zweier Verschwörungen:
Zum einen „Money Power“, die Hochfinanz, die seit Jahrzehnten eine Diktatur anstrebe. Die zweite Verschwörung ziele auf die Moral der Amerikaner. Hier sieht Robertson Illuminaten, Freimaurer und Anhänger der New-Age-Bewegung am Werk, die „den christlichen Glauben vernichten“ und die Welt „unter die Herrschaft Luzifers“ bringen wollen.
Zu diesem Zweck werde von den Verschwörern „eine Weltregierung, eine Weltarmee, eine Weltwirtschaft unter einer britischen Finanzoligarchie und ein Weltdiktator, dem ein Rat von zwölf Getreuen zur Seite steht“, angestrebt. All diese Pläne würden vom Council on Foreign Relations und der Trilateralen Kommission umgesetzt.
Die Vereinigung Europas, der Kollaps des Kommunismus und der Golfkrieg, der das Image der UNO aufbessere, dienen diesem antichristlichen Ziel, schreibt Robertson. Für die Zukunft prognostizierte er eine Wirtschaftskrise, in der die USA genötigt würden, ihre Souveränität auf die UNO zu übertragen, die einen sozialistischen Weltpräsidenten installieren werde. Dieser würde nicht nach den Grundsätzen des Christentums herrschen, sondern nach denjenigen einer Humanitätsreligion. Als Beleg für diese angeblich jahrhundertealte Doppelverschwörung verweist Robertson auf das Motto Novus ordo seclorum (lat. für «eine neue Ordnung des Zeitalters) im Großen Siegel der Vereinigten Staaten. Robertson übersetzt das Motto als new world order.
Die Symbolik des Großen Siegels ist für zahlreiche Verschwörungstheoretiker ein wichtiger Beweis dafür, dass der Illuminatenorden oder die Freimaurer, im Rahmen einer globalen Verschwörung, die entscheidende Antriebskraft hinter dem Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg gewesen seien und bis in die Gegenwart die Politik der USA bestimmen würden.
Robertson bewegte sich mit seinem Buch in den Bahnen älterer Verdächtigungen gegen die Illuminaten und andere Geheimgesellschaften. Er machte diese Vorstellungen über die engen Kreise, in denen dergleichen Verschwörungstheorien bis dahin verbreitet worden waren, auch im amerikanischen Mainstream bekannt. Sein Buch, das auch in seriösen Buchhandlungen und auf Flughäfen zu kaufen war, wurde mit mehreren hunderttausend verkauften Exemplaren ein Bestseller.
Robertson zeigt eindrücklich, wie weit und umfassend Verschwörungsgläubige ihre konstruierten Zusammenhänge knüpfen, um ihre Kopfgeburt zu vervollständigen. Es hängt alles, was auf der Welt geschieht, mit dem grossen Plan zusammen.
Die „Neue Weltordnung“ in der politischen Rechten
Die Verschwörungstheorie der «Neuen Weltordnung» (NWO) kommt vor allem in der rechten bis rechtsextremen Szene zur Anwendung. Ein Blick auf die Wurzeln lohnt sich hier, unter anderem weil eindrücklich ist, wie stark darin immer wieder antisemitische Elemente auftauchen.
Die John Birch Society erklärte seit dem Jahr 1991, die Globalisierung und der weltweite Abbau von Handelsschranken durch GATT, NAFTA und andere Handelsverträge seien Schritte auf eine „Neue Weltordnung“ hin. Darin würden amerikanische Truppen schließlich nur noch zur Unterdrückung jeglichen Widerstands gegen die globale Superregierung eingesetzt. Die Friedenstruppen der Vereinten Nationen seien eine Vorübung für diese zukünftige Vorgehen. John McManus, der Vorsitzende, erklärte 1995:
„Das Ziel ist der Zusammenbruch der nationalen Souveränität via die Wirtschaft. Am Ende wird, wenn das alles nicht gestoppt wird, die ‚neue Weltordnung‘ entstehen, und Freiheit wird nur noch eine Erinnerung sein.“
Schon 1990 hatte der libertäre Publizist William T. Still (* 1948) eine Version der bekannten anti-illuminatischen Verschwörungstheorie publiziert. Danach habe der Freimaurer und Gründer des Illuminatenordens Adam Weishaupt die finanziellen Ressourcen für seine Pläne vom jüdischen Bankhaus Rothschild zur Verfügung gestellt bekommen. Die Freimaurer hätten ihm die Tarnung verschafft. Dadurch sei es ihm gelungen die Französische Revolution in Gang zu setzen; in der heutigen Zeit würden sich die Illuminaten eher internationaler Organisationen wie des Council on Foreign Relations bedienen.
Der christlich-fundamentalistische Prediger Texe Marrs (* 1944) glaubt ebenfalls, die Illuminaten würden eine „Neue Weltordnung“ anstreben, deutet diese jedoch nicht finanziell, sondern eschatologisch (endzeitlich): Die Illuminaten hält er für den Antichrist, für das Tier aus der Offenbarung des Johannes. Sie würden im Jahr 2000 ihre endzeitliche Herrschaft antreten (Prophezeiungen sind schwierig, vor allem wenn sie die Zukunft betreffen…).
Auch der Autor John Coleman beschreibt 1992 die „Neue Weltordnung“ als Herrschaft des Antichristen. Er sieht eine „überarbeitete Form des internationalen Kommunismus und eine brutale und grausame Diktatur“ heraufkommen. Dahinter stecke ein „Komitee der 300“, das angeblich alle anderen Geheimgesellschaften und Verschwörungen kontrolliere, von Illuminaten, Freimaurern und Rosenkreuzern über die Bilderberg-Konferenz, Skull and Bones und die Thule-Gesellschaft bis hin zu Bolschewisten und Zionisten. Die Vorstellung von den „dreihundert Männern“, die angeblich die Welt kontrollieren, übernahm Coleman vom deutschen Politiker Walter Rathenau, der 1909 in dem Zeitungsartikel Unser Nachwuchs Ähnliches formuliert hatte.
Rathenau wird seither immer wieder von Antisemiten als Kronzeuge für eine angebliche jüdische Weltherrschaft angeführt. Coleman erwähnt sehr häufig Juden als Diener der satanischen Pläne des „Komitees der 300“: So soll der Philosoph Theodor W. Adorno in seinem Auftrag den Rock and Roll als Mittel der Bewusstseinskontrolle und der Massenbetäubung erfunden haben. Der israelische Geheimdienst Mossad sei in der Lage, jedes Land über die jeweils dort ansässige jüdische Minderheit zu kontrollieren. Die Rothschilds seien für viele Kriege verantwortlich, an denen sie obendrein gut verdienen würden. Und Henry Kissinger sei der „Hofjude“ des Komitees. Coleman bedient sich damit antisemitischer Klischees wie der angeblich typisch jüdischen Plutokratie (Geldherrschaft), des „jüdischen Bolschewismus“ und der Protokolle der Weisen von Zion, einer fiktionalen Schrift von 1903, die vorgibt, die Pläne einer jüdischen Weltverschwörung wiederzugeben.
1991 beschrieb der rechtsextreme Radiomoderator Milton William Cooper (1943–2001) in seinem Buch eine „Superverschwörungstheorie“. In deren Mittelpunkt stehen neben den Illuminaten und den Bilderbergern diesmal Außerirdische. Diese sollen angeblich seit der Regierungszeit Präsident Eisenhowers in geheimen Verbindungen mit der amerikanischen Regierung stehen. In ihrer „Neuen Weltordnung“ würde die Zahl der lebenden Menschen deutlich reduziert, das Wirtschaftswachstum verlangsamt, Fleischkonsum untersagt und eine Auswanderung ins All vorbereitet. Ohne diese einschneidenden Maßnahmen würde ein vollständiger Zusammenbruch der Zivilisation drohen, den Cooper für die Zeit kurz nach dem Jahr 2000 prophezeite. [Allen verschwörungstheoretischen Start-ups müsste man dringend empfehlen, Voraussagen zu unterlassen].
Bei seinen Phantasien stützte sich Cooper zum Teil auf Dokumente, die er bei seiner angeblichen Tätigkeit im Geheimdienst MI16 eingesehen haben will. Ausserdem auf Alternative 3, eine satirische Fernsehsendung aus dem Jahr 1977, die von Ufologen blöderweise für bare Münze genommen wurde. Zudem führte er die fiktiven Protokolle der Weisen von Zion als Beleg an. Sie sollen jedoch in Wahrheit nicht eine Weltverschwörung von Juden, sondern von den Illuminaten beweisen.
In der rechtsextremen amerikanischen Milizbewegung (paramilitärische Organisationen) wurden diese Verschwörungstheorien zu einem zentralen Ideologem. Damit liess sich die Legitimität der Regierung bestreiten. Dabei wurde die Bewegung radikalisiert, antisemitisch aufgeladen und weitergesponnen. Anhänger der Milizen sehen nun „die Juden“ als Hauptverschwörer hinter der „Neuen Weltordnung“. Sie beschimpfen die Bundesregierung als „Zionist Occupied Government“. Die Verschwörer sollen angeblich planen, die Hälfte der Weltbevölkerung durch Kriege und Seuchen auszurotten, um die andere Hälfte zu versklaven. [Im Umfeld von Covid-19 taucht diese Geschichte wieder auf. Bill Gates wird von Verschwörungsgläubigen in verschiedenen Varianten die Absicht unterstellt, mit der Coronakrankheit oder wahlweise mit der Impfung die Weltbevölkerung reduzieren zu wollen].
Kennzeichnungen an Highways werden von der Milizbewegung als geheime Hinweise für Invasionstruppen gedeutet, die Federal Emergency Management Agency, eine Bundesbehörde für Katastrophenschutz, sei ein Deckmantel für geplante Konzentrationslager, in die „Patrioten“ eingeliefert würden, die der neuen Weltregierung den Gehorsam verweigerten. Die „schwarzen Hubschrauber“ ohne Kennzeichen, die wiederholt gesichtet worden seien, gehörten angeblich der UNO und bereiteten deren militärische Machtergreifung vor.
Die missglückten Erstürmungen der Ruby Ridge im August 1992 und der Siedlung der Branch Davidians in Waco, Texas, am 19. April 1993 durch Bundesbehörden sowie die Verschärfung der Waffengesetze etwa durch die Brady Bill 1994 wurden von der Milizbewegung als Beweise für die Pläne der Regierung in Washington gewertet, die „Neue Weltordnung“ durchzusetzen. Sie verschafften den Milizen eine grosse Anhängerschaft.
Die Ideologie, wonach sich die wahren, christlichen Patrioten gegen diese antichristliche, international gelenkte Verschwörung verteidigen müssten, stand auch im Hintergrund des Terroranschlags von Oklahoma City 1995. Der Bombenleger Timothy McVeigh legte ihn absichtlich auf den Jahrestag der Tragödie von Waco. Ein weiterer von der Verschwörungstheorie der „Neuen Weltordnung“ inspirierter Terroranschlag konnte im darauffolgendem Jahr verhindert werden: Sieben Mitglieder der West Virginia Mountaineer Militia beabsichtigten damals, das Gebäude der Criminal Justice Information Services Division des FBI in Clarksburg (West Virginia) zu sprengen. Sie hielten es für ein Befehlszentrum der „Neuen Weltordnung“. Die «Truppe» wurde am 8. Oktober 1996 verhaftet.
Der paläokonservative Pat Buchanan (* 1938), der sich 1992 und 1996 erfolglos um eine Nominierung als Präsidentschaftskandidat der Republikanischen Partei beworben hatte, erhob die protektionistische Parole „America First“ gegen Bushs „Neue Weltordnung“ [«America First» ist also nicht die Erfindung Trumps]. Der Begriff «Neue Weltordnung» ist für Buchanan eine Chiffre für alles Negative in der amerikanischen Politik. Dazu zählt er offene Grenzen, illegale Einwanderung, Waffengesetze, Homosexualität, Abtreibung usw. Multilaterale Abkommen wie NAFTA oder der Vertrag von Maastricht stellen seiner Ansicht nach die „Architektur der Neuen Weltordnung“ dar. 1998 bezichtigte Buchanan das Council on Foreign Relations, die Trilaterale Kommission und die Bilderberger, sich der „tief un-amerikanischen“ Agenda von Freihandel, Abrüstung und Weltregierung verschrieben zu haben.
Der ebenfalls paläokonservative Radiomoderator und hochgradige Verschwörungstheoretiker Alex Jones (* 1974) steuerte für die deutsche Ausgabe von Colemans antisemitischem Werk Das Komitee der 300 ein Interview bei. Er verbreitet in seinen Sendungen, auf DVDs und über Webseiten wie infowars.com die Verschwörungstheorie von der „Neuen Weltordnung“. Die NWO wird von Jones und den Gästen in seinen Sendungen als narrativer Rahmen verwendet, in den sie andere Verschwörungstheorien einbetten, etwa zu den Anschlägen vom 11. September 2001. So erscheinen beispielsweise die Anschläge auf die Zwillingstürme als Werk der Illuminati oder gieriger Geldbarone. Diese «Verschwörer» wollen dadurch angeblich die „Neue Weltordnung“ herbeiführen oder aufrechterhalten. Dem gleichen Ziel diente laut Alex Jones auch die Wahl Barack Obamas und die angeblich absichtlich herbeigeführte Finanzkrise von 2008. [auch zur Coronakrise werden Verschwörungstheorien verbreitet, die behaupten, sie sei absichtlich ausgelöst worden. Dieses Motiv liefern Verschwörungsgläubige zuverlässig bei verschiedensten Krisen].
Wie einige andere Verschwörungstheoretiker auch schwankt Alex Jones bei der Beantwortung der Frage, ob die Machtübernahme der Verschwörer unmittelbar bevorstehe oder schon eingetreten sei. Donald Trump hält grosse Stücke auf Alex Jones. Sie profitieren gegenseitig voneinander.
In der vollkommen irren Reptiloiden-Verschwörungstheorie des britischen Rechtsesoterikers David Icke (* 1952) sind es vampirische reptiloide Außerirdische aus dem Sternbild des Drachen, die die Menschheit in einer „Neuen Weltordnung“ versklaven wollen. Zu diesem Zweck praktizieren sie Satanismus und Kindesmissbrauch.[hier gibt es Verbindungen zu Pizzagate und zur QAnon-Verschwörungstheorie].
David Icke stützt sich unter anderem auf Publikationen von Cooper und dem Prä-Astronautiker Zecharia Sitchin (1920–2010). Ausserdem auf persönliche Erfahrung, Channeling sowie die Protokolle der Weisen von Zion.
Unter Deutschlands Rechtsradikalen zirkulieren ebenfalls Verschwörungstheorien über eine „Neue Weltordnung“. Im Bestseller «Geheimgesellschaften und ihre Macht im 20. Jahrhundert» aus dem Jahr 1993 unterstellt der Rechtsesoteriker Jan Udo Holey (* 1967) den Illuminati, die er als jüdisch geführte Teufelsanbeter beschreibt, sie wollten die eine „Neue Weltordnung“ errichten. Holey unterstellt den Illuminati, sie würden zu diesem Zweck einen Dritten Weltkrieg vorbereiten. Er zitiert wie Cooper und Icke ausgiebig die Protokolle der Weisen von Zion. Auch die NPD polemisiert gegen „die ‚neue Weltordnung’ der US-Ostküste“ (eine Anspielung auf die vielen reichen Juden, die angeblich dort leben) und deren angebliche Weltherrschaftspläne.
Im Frühjahr 2020 wurde im Verlauf der Proteste während der COVID-19-Pandemie in Deutschland verbreitet, die Krankheit sei nur ein Vorwand, um die Neue Weltordnung zu etablieren. Das Corona-Virus existiere in Wahrheit gar nicht. Der Verschwörungstheoretiker und Vegan-Koch Attila Hildmann nannte den 15. Mai 2020 als Termin für die Machtübernahme. Allerdings war auch diese Prognose ein Fehlschlag….
Diese Schilderungen machen deutlich, dass die Verschwörungstheorie der «Neuen Weltordnung» das Potenzial hat, Gewalt auszulösen. Und in den meistens rechts angesiedelten Konstrukten der NWO ist der Antisemitismus ein häufiger Gast. Wenn Leute heute plötzlich angeblich ihr «Redpilling» erleben und in die NWO-Welt abtriften, müsste man sie darüber ins Bild setzen, auf welch unappetitlichen Wurzeln dieser Verschwörungsglaube gründet.
Tragisch an diesen hochgradig konstruierten Zusammenhängen ist aber auch, dass sie von echten Problemen ablenken. Zum Beispiel von der Machtkonzentration bei Internetkonzernen.
Die „Neue Weltordnung“ in der politischen Linken
Auch in der politischen Linken wurde das Schlagwort von der Neuen Weltordnung aufgegriffen. Ob und wie weit dabei verschwörungstheoretische Vorstellungen beteiligt sind, wird kontrovers diskutiert. Der Begriff taucht zum Beispiel im Werk des amerikanischen Linguisten und politischen Aktivisten Noam Chomsky (* 1928) auf. Er warf der westlichen Welt und insbesondere den USA Imperialismus und eine immer brutalere soziale Spaltung zwischen Arm und Reich vor.
Über die Einordnung einer solchen Kritik an einer „Neuen Weltordnung“, verstanden als amerikanische Hegemonie und alternativlos sich darstellender Neoliberalismus, gibt es unterschiedliche Positionen. Der amerikanische Politologe Daniel Pipes charakterisiert Chomskys Gegenwartsanalysen als „Verschwörungstheorie […], die der US-Regierung an praktisch sämtlichen Missständen der Welt die Schuld gibt“, wobei diese als im Auftrag der Großindustrie handelnd imaginiert werde.
Im Gegensatz dazu verteidigt der britische Aktivist Milan Rai Chomsky gegen diese Einordnung. Der britische Kulturwissenschaftler Alasdair Spark vertritt eine vermittelnde Stellung: Seines Erachtens verkürzt der Vorwurf Chomskys Argumentation, andererseits erkennt er eine „totalisierende Tendenz“ in seinen politischen Schriften, in der keinerlei positive Aspekte an den USA mehr sichtbar blieben; auch Chomskis Verarbeitung großer Mengen von Detailinformationen zu einem einzigen Narrativ sei eine typische Methode von Verschwörungstheoretikern. Spark verweist zudem auf die globalisierungskritischen Proteste gegen die Ministerkonferenz der Wirtschafts- und Handelsminister der WTO in Seattle 1999. Dort demonstrierten sowohl Linke als auch Rechte wie beispielsweise Pat Buchanan gegen die „Neue Weltordnung“.
Differenziert äussert sich auch Armin Pfahl-Traughber (2016) zu Chomskys Position:
«Eine berechtigte Kritik an der Einseitigkeit der US-Politik geht einher mit einer Einseitigkeit der Kritik mit den USA als nahezu alleinigem Verantwortlichen für Krisen.»
Diese dualistische Weltsicht mit einem klaren Bösewicht ist jedenfalls anschlussfähig an Verschwörungstheorien, auch wenn sie bei Chomsky auf hohem intellektuellem Niveau daherkommt.
Aus einer linken Position heraus mag es handfeste Gründe geben für Kritik an Globalisierung, Kapitalismus etc.
Aber – und das gilt für alle politischen Richtungen und Positionen – es ist ein sehr grosser Unterschied zwischen differenzierter, auf Argumente gestützter Kritik, und den pauschalen Diffamierungen, wie sie von Verschwörungsgläubigen abgesondert werden.
Nötig ist hier die Unterscheidung zwischen gesundem Zweifel, gesundem Misstrauen, und dem toxischen Zweifel, dem toxischen Misstrauen der Verschwörungstheorien.
Siehe dazu:
Über toxische Zweifel und toxisches Misstrauen
Quellen:
Wikipedia zur Neuen Weltordnung (hier auch detaillierte Quellenangaben)
Neue Weltordnung und »jüdische Weltverschwörung« (ab Seite 45), in: «NO WORLD ORDER – Wie antisemitische Verschwörungsideologien die Welt verklären»(Amadeu Antonio Stiftung)
Rezension: Noam Chomskys Kritik globaler Verwerfungen der US-Außenpolitik, von Armin Pfahl-Traughber, Humanistischer Pressedienst 2016