Das Zika-Virus wurde erstmals 1947 aus einem Affen im Zikawald in Uganda isoliert. Die Übertragung auf den Menschen geschieht hauptsächlich durch Mücken der Gattung Aedes, aber auch eine sexuelle Übertragung und Übertragungen durch Transfusionen können vorkommen. Infektionen in der Schwangerschaft können zu Fehlbildungen beim Fötus führen. Beobachtet wurden Fälle von Mikrozephalie. Dabei kommen die Kinder mit zu kleinem Kopf zur Welt.
In den Jahren 2015/2016 kam es in Lateinamerika zu einer Erkrankungswelle mit anfangs grippe-artigen Symptomen. Als Folge traten bei Schwangeren erhebliche Schädigungen des Fötus auf (Mikrozephalie).
Zu Beginn der Epidemie lagen nur wenige gesicherte Informationen vor. Bis fundierte und wissenschaftlich erhärtete Erkenntnisse zur Verfügung stehen, dauert es in solchen Fällen in der Regel längere Zeit. In dieser Situation schiessen oft Verschwörungstheorien wie Pilze aus dem Boden und füllen das Vakuum mit Pseudoerklärungen. Dieser Vorgang, im Jahr 2020 an der Corona-Pandemie sichtbar, zeigte sich auch 2015/2016 bei der Epidemie mit dem Zika-Virus. Wenn der Angstpegel steigt, werden die bekannten Feindbilder aktiviert.
Zika-Virus aktiviert Feinbilder
So dauerte es nicht lange, bis Verschwörungstheorien die Runde machten. Ein Blogger behauptete auf der Plattform Reddit, das britische Biotechnologie-Unternehmen Oxitec habe in Brasilien Feldversuche mit genetisch veränderten männlichen Aedes aegyptis-Mücken durchgeführt, was in der Folge zur Ausbreitung des Zika-Virus geführt habe. Obwohl diese Behauptung nicht nur nicht wissenschaftlich belegt, sondern nachweislich falsch war, wurde sie vielfach verbreitet. Zum Beispiel vom russischen Staatssender Russia Today (RT), zu dessen Aufgaben auch die Desinformation im westlichen Ausland zählt. Zahlreiche alternative Medien verbreiteten diese Falschmeldung unkritisch, weil sie in ihr Feindbild «Gentechnik» passte. Oft wurde dabei verwiesen auf einen Artikel mit Karte auf der News-Website Anti-Media, welche den Ort anzeigt, wo Oxitec seine Gentech-Moskitos freigelassen haben soll und der mitten im Epizentrum der Mikrozephalie-Epidemie liegt.
Die Wissenschaftsbloggerin Christie Wilcox fand jedoch heraus, dass es sich dabei um eine Verwechslung handelte. Der auf der Karte eingezeichnete Ort trug zwar den gleichen Namen, tatsächlich entliess Oxitec die Moskitos aber 300 Kilometer davon entfernt. Dennoch hielt sich diese Geschichte vielerorts hartnäckig.
Die Firma Oxitec hat mit Geldern der Bill-&-Melinda-Gates-Stiftung genmanipulierte Moskito-Männchen gezüchtet, deren Nachkommen schon im Larvenstadium absterben. Damit soll die Gelbfiebermücke Aedes aegypti bekämpft und die Übertragung des Dengue-Fiebers gestoppt werden. Die gleichen Gentech-Moskitos wurden ins Auge gefasst, um die Zika-Epidemie zu bekämpfen.
Bei früheren Versuchen in zwei brasilianischen Städten verringerte sich die Gelbfiebermücken-Population dank den freigelassenen Oxitec-Moskitos auf bis zu fünf Prozent. Im Gegensatz zu Insektiziden wirkt diese Methode ausschliesslich auf die Gelbfiebermücke. Dadurch werden andere Insekten geschont.
Altgediente Verschwörungstheorien kommen beim Zika-Virus ins Spiel
Selbstverständlich kamen auch sogleich altgediente Verschwörungstheorien wie die «Pharmaverschwörung» und die «Impfverschwörung» ins Spiel.
Impfgegner behaupteten auf ihren Webseiten, im Nordosten Brasiliens habe man verstärkt Mütter gegen Diphtherie, Tetanus und Keuchhusten geimpft. Deshalb der Anstieg der Mikrozephalie-Fälle unter Neugeborenen! Andere behaupteten, die Pestizide, die zur Bekämpfung der Mücken versprüht wurden, schädigten angeblich die ungeborenen Kinder. Pharmafirmen hätten das Zika-Virus im Labor gezüchtet, um später an einer Impfung oder vorbeugenden Mitteln zu verdienen. Geheime Mächte wollten die Entwicklung Lateinamerikas bremsen und hätten deshalb Zika in die Welt gesetzt…..
Man sieht auch an diesem Beispiel, dass der verschwörungsgläubigen Fantasie kaum Grenzen gesetzt sind. Für keine dieser Behauptungen sind inzwischen Fakten aufgetaucht, die sie belegen könnten.
Verschwörungstheorien lenken von wirksamen Gegenmassnahmen ab
Misstrauen, Zweifel und Kritik sind nicht grundsätzlich schlecht. Sie sind an manchen Punkten sogar sehr nötig.
Christian Stock schreibt in der Zeitschrift des «Informationszentrums 3. Welt» (iz3w):
«Kritisches Hinterfragen von offiziellen Verlautbarungen zu Epidemien ist zweifelsohne nicht nur dann angebracht, wenn ökonomische Interessen etwa von Pharmafirmen hineinspielen. Im Falle des Zika-Virus trugen VerschwörungstheoretikerInnen aber ihren Teil dazu bei, dass wirksame Gegenmaßnahmen wie zum Beispiel Müllentsorgung nicht hinreichend thematisiert wurden. So gesehen machen Verschwörungstheorien nicht nur dumm, sondern auch krank. Jedes Kind von ImpfgegnerInnen kann dies bezeugen.»
Quellen:
Antworten auf häufig gestellte Fragen (FAQ): Zikavirus-Infektionen (Robert-Koch-Institut)
Zika-Viren: Verschwörungstheorien statt Wissen (Tagesspiegel)
Verschwörungstheorie sorgt für Verunsicherung (NZZ)
Realität erzeugen – Verschwörungstheorien im subsaharischen Afrika (iz3w)
Katharina Nocun und Pia Lamberty schreiben in ihrem Buch «Fake Facts»:
Es ist leider kein neues Phänomen, dass Menschen bei Epidemien und beim Auftreten neuartiger Erkrankungen über Verschwörungen spekulieren. Egal ob HIV, Zika-Virus, Ebola oder Corona – wann immer Gesellschaften durch Erkrankungen bedroht sind und waren, gab es Akteure, die andere für deren Ausbruch verantwortlich machten. Das zeigt sich auch am Beispiel des Zika-Virus. In den Jahren 2015/2016 kam es zu einer starken Verbreitung eines durch Mücken übertragenen Virus, das bei Schwangerschaften schwerwiegende Komplikationen auslösen kann. Die WHO rief deshalb den globalen Notfall aus. Bis Ende 2016 waren insbesondere Länder in der Karibik, Afrika und Lateinamerika betroffen.
Eine Studie aus dem Jahr 2016 konnte zeigen, dass jeder fünfte US-Amerikaner damals an mindestens eine Verschwörungserzählung über das Zika-Virus glaubte. Am weitesten verbreitet war dabei die Unterstellung, dass das Virus durch genetisch veränderte Moskitos verbreitet werden würde. Wer an derartige Verschwörungserzählungen glaubte, misstraute auch eher staatlichen Stellen oder mutmasste gar, dass das Virus erfunden worden wäre, um die Olympischen Spiele in Brasilien im Sommer 2016 zu ruinieren. Die Untersuchung zeigte ausserdem, dass sowohl Bildungsniveau und Geschlecht als auch Religiosität keinen Einfluss darauf hatten, ob die Befragten solchen Verschwörungserzählungen Glauben schenkten.»
Quelle:
Katharina Nocun / Pia Lamberty: Fake Facts, Wie Verschwörungstheorien unser Denken bestimmen (Seiten 261/262)
Ob Aids, Ebola, Zika oder Corona – bei allen Epidemien oder Pandemien kommt sofort eine Vielzahl von Verschwörungstheorien ins Spiel. Ihr Inhalt passt jeweils zu den Feinbildern der Verbreiter. Das zeigt auch, wie willkürlich die Inhalte eigentlich sind.
Auffallend ist dabei, wie reflexhaft diese Feindbilder und die damit verbundenen Verschwörungsgeschichten aktiviert werden.
In diesem Zusammenhang ist es wichtig zu unterscheiden zwischen gesundem Misstrauen / gesundem Zweifel einerseits, und dem toxischen Misstrauen, dem toxischen Zweifel, die für verschwörungsgläubiges Denken charakteristisch sind.
Mehr dazu hier:
Über toxische Zweifel und toxisches Misstrauen