Eine der verbreitetsten Verschwörungstheorien betrifft die Pharmaindustrie. Nach den Vorstellungen der «Pharma-Verschwörung» will uns die Pharma-Industrie gar nicht gesund machen. Sie verkauft uns Medikamente, die mit ihren Nebenwirkungen krank machen, und hat dann weitere Medikamente gegen die Nebenwirkungen im Sortiment. Darüber hinaus unterdrückt Big Pharma die sanften, nebenwirkungsfreien Heilmittel der Alternativmedizin.
In diesem Bereich wird sehr Vieles durcheinander gemischt, was nicht zusammengehört. Hier gibt es einen grossen Bedarf an Differenzierung. Nicht alles, was schief läuft in der Pharmaindustrie, hat mit Verschwörungstheorien zu tun.
Die Pharmaindustrie entwickelt und verkauft sehr unterschiedliche Medikamente:
– lebenswichtige und entbehrliche, die eher Wellnesscharakter haben,
– wirksame und solche, deren Wirksamkeit fraglich ist,
– gut verträgliche und solche, die ein grösseres Risiko von unerwünschten Nebenwirkungen haben.
In diesem Bereich geht es darum, eine möglichst gut informierte Wahl zu treffen: Nutzen, was Sinn macht und notwendig ist – meiden, was überflüssig, unwirksam oder mit zu hohem Risiko verbunden ist.
Die Pharmaindustrie leistet also durchaus einen wichtigen Beitrag zur Gesundheit der Menschen. Aber immer wieder sind einzelne Firmen und Produkte in Skandale verwickelt. So werden zum Beispiel Studien nicht vollständig veröffentlicht, wie es zum Beispiel Roche mit dem Grippemittel Tamiflu gemacht hat. In diesem Bereich braucht es schärfere politische Regulierungen, die beispielsweise die Transparenz der Forschung sicherstellen.
Kritik an solchen Punkten sollte möglichst präzis die Missstände benennen.
Bis hierhin befinden wir uns noch nicht im Bereich der «Pharma-Verschwörung».
Die Pharma-Verschwörungstheorie beginnt dort, wo die Pharmaindustrie geheime, konzertierte Pläne umsetzt. Aber so einfach ist es nicht. Es gibt auch reale Verschwörungen.
Die Tabakindustrie zum Beispiel hat jahrzehntelang versucht, im Geheimen die Forschung zu beeinflussen, um die Gefährlichkeit des Rauchens herunterzuspielen. Das war eine Reale Verschwörung. In der Zuckerindustrie gab es ähnliche Besrebungen, doch ist die Datenlage für eine Verschwörung dünner.. Und das neuste Beispiel ist der Dieselskandal mit den manipulierten Abgaswerten.
Trotzdem ist die Existenz einer Pharma-Verschwörung, so wie sie im Allgemeinen dargestellt wird, höchst unwahrscheinlich.
Keine Pharma-Verschwörung bei Krebsmitteln
Es gibt nicht die Pharmaindustrie, die ein einfaches, billiges, nebenwirkungsfreies Krebsmittel geheim hält, damit sie teure Chemotherapeutika verkaufen kann. Pharmafirmen stehen in vielfacher Konkurrenz. Ihre Interessen sind an vielen Stellen nicht deckungsgleich. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler würden zudem sehr gern ein einfaches, billiges und nebenwirkungsfreies Krebsmittel entdecken und bekannt machen. Der Nobelpreis wäre ihnen sicher. Und es wird auch mit öffentlichen Geldern an Universitäten geforscht. Wie sollen die Pharmafirmen das alles unter Kontrolle halten?
Hier gibt’s Zehn Gründe, warum es keine „Krebs-Verschwörung“ gibt
Genauso unwahrscheinlich ist eine konzertierte Verschwörung zur Unterdrückung von Mitteln der Alternativmedizin. Die Hersteller von Homöopathika beispielsweise sind längst ein Teil der Pharmaindustrie. Kommt die Homöopathie von staatlicher Seite unter Druck, dann sind es die Verbände der Pharmaindustrie, die den Globuli-Produzenten beispringen.
Die Pharmaindustrie ist auch nicht grundsätzlich auf «Chemie» fixiert. Sieht sie ein Geschäft mit pflanzlichen Arzneimitteln, dann greift sie zu. Viele grosse Pharmakonzerne haben inzwischen Firmen integriert, die Phytopharmaka auf hohem Niveau entwickeln und vermarkten.
Fazit: Kritische Auseinandersetzung mit den problematischen Seiten der Pharmaindustrie ja. Pauschale Unterstellung einer «Pharma-Verschwörung» nein.
Verschwörungstheorien und Alternativmedizin
Eine Studie des Psychologischen Instituts der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz hat übrigens gezeigt: Je stärker eine Person zu Verschwörungstheorien neigt, desto stärker befürwortet sie auch Alternativmedizin bzw. Komplementärmedizin, und desto mehr lehnt sie Impfungen und konventionelle Medikamente wie Antibiotika ab.
Siehe dazu: Verschwörungstheorien und Alternativmedizin – wie hängt das zusammen?
Auch im Umgang mit der Pharmaindustrie ist es wichtig, zu unterscheiden zwischen einem gesunden Zweifel, einem gesunden Misstrauen, und einem toxischen Zweifel, einem toxischen Misstrauen.
Siehe dazu: Über toxische Zweifel und toxisches Misstrauen
Wichtig ist zudem noch zu erwähnen:
Manche fragwürdigen und wirkungslosen Mittel und Verfahren aus der Alternativmedizin erzählen die Geschichte von der „Pharma-Verschwörung“ quasi als Verkaufsargument und Verteidigungsstrategie.
Es gibt keine Studien, die eine Wirksamkeit belegen? Die Pharmaindustrie unterdrückt sie! Es gibt keine Zulassung als Arzneimittel? Die Pharmaindustrie verhindert das?
Solche Ausreden sollten immer als Warnsignal gelten.
Richtig ist allerdings, dass für Mittel, die sich nicht patentieren lassen, von Seiten der Pharmaindustrie kaum Geld in die Forschung investiert wird. Das ist aber in unserem Wirtschaftssystem nur ökonomisch sinnvolles Verhalten – und nicht etwa Bösartigkeit.
Siehe auch als verwandtes Thema: Impfverschwörung / „Impflüge“