Die Rede von der Impfverschwörung, von der «Impflüge», ist wohl eine der folgenreichsten Verschwörungstheorien. Aber ähnlich wie bei der verwandten Verschwörungstheorie der «Pharmaverschwörung» gilt: Nicht jede Person, die Impfungen gegenüber skeptisch oder ablehnend ist, gehört auch schon zu den Verschwörungsgläubigen.
Rund um die Impfungen werden von radikalen Impfgegnern im grossen Stil Falschmeldungen und Fehlinformationen verbreitet. Wer Impfungen ablehnend gegenüber steht, hat vielleicht nur die immer noch intensiv verbreitete Lüge gehört, dass Impfungen Autismus auslösen. Diese Lüge ist längst eindeutig widerlegt (siehe dazu hier). Solche Falschmeldungen können Menschen verunsichern.
Verschwörungstheorien sind hier sehr nah. Denn wenn Wissenschaft, Medizin und Gesundheitsbehörden Impfungen empfehlen, die – glaubt man den Behauptungen der Impfgegner – derart gravierende Nebenwirkungen und Risiken haben, dann muss doch die Wahrheit verschleiert werden.
Und schon sind wir tief im Sumpf der angeblichen «Impflüge».
Dann kommen Aussagen wie zum Beispiel, Impfungen seien ein Komplott der Pharmaindustrie, um Menschen krank zu machen und daran Geld zu verdienen.
Und genau wie bei der angeblichen «Pharmaverschwörung» ist bei der angeblichen «Impfverschwörung» so ziemlich alles schief.
Impfungen sind eine Erfolgsgeschichte der Medizin. Diese Erfolge wirken sich nun gegen sie aus. Niemand kennt bei uns mehr die unerträgliche Situation, wenn ein Kind wegen einer Diphtherie erstickt.
Von 1881 bis 1886 starben in Preußen jährlich durchschnittlich 25 000 Säuglinge und Kleinkinder im Alter bis drei Jahre an den Folgen einer Diphtherie. Das änderte sich dramatisch nach Einführung eines Diphtherieheilserums 1894. Sofort nach Einführung der Serumtherapie sank die Sterblichkeit an Diphtherie auf ein Fünftel der Zahlen von 1893.
Die Diphtherieimpfung ist eine Erfolgsgeschichte
Hier ist die Entwicklung der Diphtherieimpfung beschrieben:
125 Jahre Diphtherieheilserum: „Das Behring’sche Gold“ (Deutsches Ärzteblatt)
Wenn solche Geschichten in Vergessenheit geraten, weil es kaum mehr Diphtheriefälle gibt, haben Lügen rund um eine «Impfverschwörung» leichtes Spiel.
Eine sehr ähnliche Geschichte liesse sich über die Kinderlähmung erzählen. Dass heute bei uns Generationen aufwachsen dürfen, ohne durch diese Krankheit Behinderungen zu riskieren, ist nur der Impfung zu verdanken.
Diese Erfolgsgeschichten der Impfungen blenden radikale Impfgegner aus oder stellen sie verdreht dar.
Darüber hinaus verbreiten sie viele falsche Behauptungen über Impfungen. Beispielsweise heisst es immer wieder, dass Mehrfachimpfungen das Immunsystem von Babys überfordern.
Impfstoffe enthalten jedoch nur eine geringe Anzahl von Antigene, verglichen mit jenen, denen Kinder täglich ausgesetzt sind – in ihrer Umgebung, beim Essen und Trinken usw. Antigene sind Bestandteile von Erregern oder ihrer Stoffwechselprodukte, die eine Reaktion des menschlichen Immunsystems auslösen, wenn es damit in Kontakt kommt. Bezogen auf die Anzahl der im Blut vorhandenen Antikörper könnte ein Baby theoretisch auf etwa 10.000 Impfstoffe zu reagieren. Selbst wenn es alle vorgesehenen Impfstoffe auf einmal verabreicht würden, wäre damit nur etwas mehr als 0,1% der Immunkapazität eines Babys gefordert.
Quelle und weitere Infos:
Antworten auf die häufigsten Argumente der Impfkritiker (schleswig-holstein.de)
Impfungen sind nicht frei von Risiken, doch überwiegt der Nutzen für Individuen und für die Gesellschaft in der Regel bei weitem. Impfen ist immer eine Abwägung von Risiko und Nutzen.
Die Behauptung, Impfungen würden nur propagiert, weil sie für die Hersteller ein dickes Geschäft sind, ist nicht haltbar. Die Entwicklung von Impfstoffen ist recht aufwendig und verglichen mit anderen Medikamenten sind die zu erziehlenden Preise nicht sehr hoch. Eine Reihe von Herstellern ist deshalb aus diesem Markt ausgestiegen. So lukrativ kann das Geschäft also nicht sein.
Impfstoffe halten viele Menschen gesund. Pharmafirmen würden mehr verdienen, wenn diese Leute krank würden, und sie ihnen Medikamente verkaufen könnten.
Warum kommt die Behauptung einer Impfverschwörung an?
Dafür gibt es wohl verschiedene Gründe. Einer davon dürfte der Omission Bias sein, der Unterlassungseffekt. Hier dazu mehr auf Wikipedia.
Darunter versteht man, dass Menschen Handlungen immer als riskanter wahrnehmen als Unterlassungen. Im Zweifel unterlassen sie also Handlungen, vor allem in übersichtlichen Situationen. also lieber nichts tun. Krankheiten werden als Schicksalsschlag aufgefasst, an dem niemand Schuld hat, auch wenn man sie mit einer Impfung hätte vermeiden können.
Hat das Kind jedoch Fieber nach einer Impfung, fühlen sich die Eltern schuldig, denn sie haben es ja mit bewirkt und aktiv in einen zuvor gesunden Organismus eingegriffen. Das erklärt die Psychologin Dr. Cornelia Betsch. Sie hat zum Thema Impfskepsis habilitiert und ist Privatdozentin an der Universität Erfurt.
Quelle dazu und weitere Infos: Impfgegner: Zwang bringt nichts (Pharmazeutische Zeitung)
Nach Untersuchungen von Cornelia Betsch lohnt es sich beim Thema Impfen, an den Gemeinsinn zu appellieren. Wer über die sogenannte Herdenimmunität aufgeklärt wird, zeigt mehr Bereitschaft, sich impfen zu lassen.
Mehr dazu hier: Herdenimmunität – Impfen für die Gemeinschaft
Solche Informationen können möglicherweise die Anfälligkeit für die Behauptungen der «Impfverschwörung» reduzieren.
Wenig bekannt ist darüber hinaus, dass impfgegnerische Inhalte auch in der strategischen Propaganda verbreitet werden. Gut dokumentiert ist die Aktivität von Propagandamedien aus Russland.
Siehe dazu:
Impfgegnerschaft und kremlfreundlicher Opportunismus (EuvsDisinfo)
Siehe ausserdem:
Studie widerlegt erneut Zusammenhang zwischen Impfung und Autismus
Weitere Infos & Einzelmeldungen zum Thema:
☛ In der Impfgegner-Szene wird seit einiger Zeit die Meldung verbreitet, dass Impfungen Material von abgetriebenen Föten enthalten. Wie so oft bei Verschwörungstheorien, wird dabei ein wahrer Kern ausgeschmückt und erweitert mit Unterstellungen, Halbwahrheiten und Lügen, während gleichzeitig entscheidende Informationen weggelassen werden. Der „Spiegel“ hat den Hintergrund dazu schon 2017 veröffentlicht:
Impf-Durchbruch: Wie eine Abtreibung dabei half, Millionen Leben zu retten
☛ Ein besonders widerliches Phänomen im Zusammenhang mit Impfgegnerschaft tauchte im Umfeld der Corona-Proteste erstmals deutlicher in der Öffentlickeit auf: Impfgegner nähten sich einen „Judenstern“ auf, verbunden mit dem Stichwort „ungeimpft“. Hier stellen sich Impfgegner auf die gleiche Stufe wie Opfer der Judenverfolgung im „Dritten Reich“. Das ist nicht nur vollkommen vermessen und ein Hinweis darauf, dass historisches Wissen fehlt oder nicht genutzt wird. Es kommt auch einer Verharmlosung des Holocausts gleich. Hier zeigt sich die Opfermentalität von Verschwörungsgläubigen.