Russlands Botschafter Wassili Nebensja beschuldigt an der dringlichen Sitzung des UNO-Sicherheitsrats vom 11. März 2022 die Ukraine, ein Programm zur Entwicklung von Biowaffen zu unterhalten. Belege dazu liefert er keine. Trotzdem wird die Behauptung von Verschwörungsgläubigen aufgenommen, weiter ausgebaut und weltweit verbreitet.
Wenn Nebensja nur behauptet hätte, die Ukraine betreibe Biowaffen-Labore, dann wäre das wohl noch keine ausgebaute Verschwörungstheorie, sondern einfach eine plumpe Propagandalüge.
Der russische UN-Botschafter geht aber viel weiter. Er tischte im Sicherheitsrat die These auf, die USA und die Ukraine hätten genmanipulierte Viren entwickelt, die nur Menschen bestimmter «Rassen» befallen würden. Diese Krankheitserreger hätten sie mithilfe von Zugvögeln und Fledermäusen in Russland verbreiten wollen. Seit Beginn des geheimen Biowaffen-Programms träten in der Ukraine mysteriöse Krankheiten häufiger auf, von Masern über die Schweinegrippe und die Vogelgrippe bis zu Pest-ähnlichen Ansteckungen.
Hier bekommt die Geschichte verschwörungstheoretische Züge und wird absurder. Zugvögel fliegen im Herbst nicht nur in den Süden, sie fliegen im Frühling auch wieder zurück in den Norden. Sie würden Krankheitserreger also wieder retour bringen. Aber auf Logik und ornithologische Stimmigkeit kommt es der russischen Propaganda ganz offensichtlich nicht an. Auch dass die Ukraine diese mysteriösen Krankheiten gleich auch noch im eigenen Land verbreitet, ist vollkommen abwegig. Hingegen ist es ein altbewährtes Mittel der Kriegspropaganda, den Feind mit allerlei Krankheiten in Verbindung zu bringen.
Die Biowaffen-Lüge reist um die Welt
Besorgniserregend ist nun, wie leichtgläubig Putin-affine Verschwörungsgläubige in aller Welt diese russische Verschwörungstheorie aufnehmen, in ihre eigenen Konstrukte einbauen und weiterleiten.
In den USA verbreiten rechte Aushängeschilder wie Tucker Carlson die russische Biowaffen-Verschwörungstheorie in diesen Tagen eifrig. QAnon-Anhänger haben daraus schon die Mutter aller Verschwörungstheorien in Corona-Zeiten gestrickt: Russland führe in der Ukraine Krieg, um zu verhindern, dass US-Chefepidemiologe Anthony Fauci dort seine Arbeit an der nächsten Version des Covid-19-Virus zum Abschluss bringen könne.
Dass sie sich für eine russische Propagandastrategie instrumentalisieren lassen, merken Verschwörungstheoretikerinnen und Verschwörungstheoretiker dabei nicht.
Russland hat den Boden für diese Propagandaaktion schon seit langem vorbereitet. Gerüchte über angebliche Geheimlabors der USA kursieren seit Jahren, insbesondere in prorussischen Kreisen in der Ukraine. Seit Januar befeuern russische Propaganda-Trolle diese Behauptungen verstärkt, zuerst über soziale Medien wie Telegram. Im Februar sprach auch Wladimir Putin vage von Massenvernichtungswaffen in der Ukraine. In den Wochen vor dem Angriffskrieg wurden dann die Aktivitäten der russischen Troll-Armee in den sozialen Medien generell hochgefahren.
Was stimmt?
Propaganda baut oft auf einem wahren Kern auf und dreht die Geschichte dann in die gewünschte Richtung. An der russischen Biowaffen-Geschichte stimmt allerdings nur sehr wenig.
Die USA finanzieren zwar tatsächlich Labore in der Ukraine mit. Die sind jedoch alles andere als geheim, sondern Teil eines Programmes zur Beseitigung und Prävention von Massenvernichtungswaffen. Die US-Botschaft in Kiew hat zu diesen Aktivitäten auf ihrer Website detaillierte Unterlagen veröffentlicht. Daraus geht zum Beispiel hervor, dass die USA Sicherheitsmassnahmen für zum Teil antiquierte Labore finanzieren. Und dass dort auch Forschung durchgeführt wird, um Pandemien, die von Biowaffen oder natürlich mutierten Viren ausgehen, zu bekämpfen – konkret aufgeführt werden unter anderem Anthrax, Pocken und die Vogelgrippe. Geforscht wird auch an Wirtstieren wie Zugvögeln und Fledermäusen, weil diese Tiere erwiesenermassen Pandemien auslösen können.
Wenn Russland daraus eine Biowaffen-Theorie in die Welt bläst, müssten dafür vom Kreml Belege auf den Tisch gelegt werden.
Anfang März veröffentlichte Russland Dokumente aus zwei ukrainischen Laboren. Sie sollen zeigen, dass die Ukraine ein geheimes Biowaffen-Programm betreibt. Doch laut einem Faktencheck von CORRECTIV belegen die Dokumente dies nicht. Laut mehrere Experten sind in den Dokumenten Krankheitserreger aufgeführt, die auf normale Arbeitsabläufe eines mikrobiologischen Labors hindeuten.
Quelle:
Sicherheitsrat zur Ukraine: Ansteckendes aus Russlands Lügen-Labor (Tages-Anzeiger)
FAKTENCHECK:
Nein, diese Dokumente belegen kein geheimes Biowaffen-Programm in der Ukraine (Correctiv)
Anmerkungen:
☛ Verschwörungstheorien rund um Biowaffen-Labore haben in Russland als Propagandastrategie eine lange Tradition. Schon in der Sowjetunion streute der Geheimdienst KGB derartige Gerüchte. So wurde beispielsweise unterstellt, dass die Krankheit AIDS in CIA-Laboren entwickelt worden sei. Durch die Öffnung von Stasi-Archiven konnte diese KGB-Verschwörungstheorie inzwischen gut nachgezeichnet werden.
☛ Bei der Verbreitung von russischen Propagandastrategien zum Beispiel zur Corona-Pandemie und zum Ukraine-Krieg tragen neben den sozialen Medien vor allem die Kreml-gesteuerten Staatssender RT Deutsch / Russia Today und Sputnik wesentlich bei.
RT Deutsch (Russia today): Verschwörungstheorien als strategische Desinformation
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