Die Szene der Corona-Massnahmengegner ist im Niedergang begriffen. Nun stürzt sie sich auf der Suche nach einer neuen Daseinsberechtigung auf die nächste Krise: den Ukraine-Krieg. Jonas Roth und Daniel Gerny beschreiben in der NZZ, wie die Massnahmengegner-Szene in Chats und Videos Kreml-Propaganda und Verschwörungstheorien verbreitet.
RT Deutsch als «Superspreader» für Kreml-Propaganda
Dass zahlreiche Corona-Massnahmengegner Putin verteidigen, ist für Oliver Nachtwey, Soziologe an der Universität Basel, naheliegend: Das abgrundtiefe und für die Corona-Massnahmengegner charakteristische Misstrauen in Institution, Eliten und etablierte Medien führe dazu, dass auch im Ukraine-Krieg die Gegenposition ergriffen werde – also in diesem Fall pro Putin.
Wer in die einschlägigen Chats der Corona-Massnahmengegner auf Telegram abtaucht, findet inmitten von Posts über angebliche Impfschäden und sogenannte Zwangsmassnahmen unzählige Nachrichten, Links und Videos zum Ukraine-Krieg. Das zentrale Narrativ der Szene sieht dabei so aus: Die Mainstream-Medien belügen uns schon wieder, Putin verteidigt sich nur, die Nato ist der wahre Aggressor.
Die NZZ zitiert einen beliebten Kanal folgendermassen: «Weil das Schweizer Medienkartell vollumfänglich pro Nato und pro USA eingestellt ist, berichtet es nicht darüber, oder bestenfalls im Sinne der Nato und der USA.» Bei den «Freiheitlichen Trychlern» wird vollkommen faktenwidrig behauptet, die Nato habe bereits Anfang Februar mit dem Beschuss der prorussischen Separatistengebiete Donezk und Luhansk begonnen.
Die «Corona Rebellen Schweiz» wiederum teilen einen Text, der die angeblich wahren Gründe von Putins «Intervention» in der Ukraine aufzeige: «Und welch ein Wunder, Soros, Gates, Biden und Co. spielen die Hauptrolle», lautet das Fazit der «Rebellen», womit die altbekannten Feindbilder der Szene rezykliert werden.
Die Philanthropen George Soros und Bill Gates spielten bereits zuvor zentrale Rollen in den Verschwörungstheorien der Massnahmen-Skeptiker.
Als Nachrichtenquelle ist bei Corona-Massnahmengegnern ein Kanal besonders beliebt: der russische Propaganda-Kanal Russia Today (RT Deutsch), der einseitig die Sichtweise der russischen Seite einnimmt. RT-Beiträge werden in den massnahmenkritischen Kanälen unkritisch weiterverbreitet, häufig verbunden mit dem Hinweis auf die angebliche Desinformation durch NZZ, «Blick», SRG und Co.
Soziologe Oliver Nachtwey sieht darin eine weitere Parallele zur Corona-Krise: «Russia Today gehörte bereits während der Pandemie zu den bevorzugten Quellen dieser Bewegung», erklärt er gegenüber der NZZ. Im Ukraine-Krieg führt dies zu einer verzerrten, einseitigen Perspektive.
Corona-Massnahmengegner im Sumpf der Desinformation
Eine ganze Reihe von Leitfiguren der selbsternannten «Querdenker» agiert auch in Bezug auf den Ukraine-Krieg im Bereich von Desinformation und Kreml-Propaganda. Das Klagen über die angebliche Corona-Diktatur ist bei manchen hartgesottenen Corona-Skeptikern nahtlos abgelöst worden durch das Schön- und Kleinreden von Putins Krieg gegen die Ukraine und gegen das eigene Volk.
Eine der bekanntesten Figuren in der Corona-Massnahmengegner-Szene ist Nicolas Rimoldi. Der scheint nicht mehr aus dem Protest-Modus hinauszufinden. Selbst nachdem die meisten Pandemie-Massnahmen aufgehoben worden sind, geht er weiterhin auf Konfrontationskurs. Rimoldi zeigt sich auf Twitter zwar schockiert, wenn er Videos von Verhaftungen von Demonstranten in Moskau sieht. Die Übergriffe der russischen Ordnungskräfte verharmlost er aber mit einem geschmacklosen und abwegigen Vergleich: «Die Polizei in der Schweiz ging teilweise wesentlich brutaler gegen friedliche Bürgerrechtler vor!»
Der YouTuber Daniel Stricker wiederum stellt sich den Ukraine-Krieg als Teil eines Plans zur Unterdrückung und Plünderung der Schweizer Bevölkerung vor. «Kriegslüge folgt auf Viruslüge», unterstellt er in einem seiner neuen Videos. Er glaubt, alles folge ein und derselben Logik, und betrachtet den Angriffskrieg der Russen auf die Ukraine als Propagandatrick, nachdem «man uns zwei Jahre das Virus vorgelogen hat».
Der Solothurner Publizist und Corona-Skeptiker Christoph Pfluger lässt in seinem Online-Magazin «Zeitpunkt» den Verschwörungstheoretiker Daniele Ganser über den Krieg Russlands schreiben. Da Gansers Positionen in der Regel sowieso mit der Kreml-Propaganda weitgehend deckungsgleich sind, überrascht sein Tenor nicht.
Putins Vorgehen hält er zwar für illegal, doch eine der Hauptursachen für den Ukraine-Krieg sieht er nicht in Russland, sondern passend zu seinem einseitigen Antiamerikanismus in den USA.
Ähnlich tönt es in einem Communiqué der selbsternannten «Freunde der Verfassung». Auch der Zürcher Kantonsrat Urs Hans machte an einer Kundgebung am 26. Februar in Winterthur «westliche Demokratien» für den Konflikt verantwortlich und fabulierte von einer «Inszenierung».
„Querdenker“ als Marionetten der Kreml-Propaganda
Wie eng führende Leitfiguren der «Querdenker-Szene» mit der Kreml-Propaganda auf RT Deutsch verbunden sind, hat Sinan in seinem YouTube-Kanal aufgezeigt:
QUERDENKER verbreiten Staatsfunk & Propaganda | SinansWoche DIE SHOW:
Wie stark «Querdenker» inzwischen alte Feindbilder in Bezug auf den Ukraine-Krieg rezyklieren und dabei Kreml-Propaganda verbreiten, zeigt Janos Hegedüs unter anderem am Beispiel des Compact Magazins:
Querdenker und der Krieg gegen die Ukraine:
Quelle:
«Kriegslüge folgt auf Viruslüge» – wie Corona-Skeptiker fleissig Putins Propaganda verbreiten (NZZ)
Siehe ausserdem zu Kreml-Propaganda, „Querdenker“ und dem Ukraine-Krieg:
Verschwörungsideologen nutzen Ukraine-Krieg zur Mobilisierung
Ukraine-Krieg: Putin-Verehrung bei Verschwörungsgläubigen
Daniele Ganser zum Ukraine-Krieg
Putin’s Bild der Ukraine ist geprägt von Verschwörungstheorien
Boris Reitschuster und der Ukraine-Krieg
Ukraine-Krieg: «Querdenker» fahren auf russische Propaganda ab
Verschwörungstheorien zum Krieg in der Ukraine