In der «Zeit» hat Anselm Neft einen Essay veröffentlicht über den Glauben an Verschwörungstheorien. Dabei kommt der Autor auch auf das Thema des Sündenbock-Denkens. Das Sündenbock-Denken ist ein zentraler Bestandteil von Verschwörungstheorien. Neft weist darauf hin, dass Verschwörungsgläubige keine originellen Privatansichten erfinden, sondern auf längst vertraute, stark an Gefühle appellierende Gerüchte über dunkle Machenschaften zurückgreifen:
«Da es sich dabei in der Regel um Sündenbock-Erzählungen handelt, in denen eine Minderheit für die Leiden der Mehrheit verantwortlich gemacht wird, lassen sich diese Gerüchte politisch instrumentalisieren. Gerade wenn sie von Experten, Autoritäten und Herrschenden mitverbreitet werden, können Sündenbock-Gerüchte Gewalt begründen und oft erst ermöglichen.»
Sündenbock-Denken kann zu Völkermord führen
Neft schreibt dann, dass ohne Verschwörungsglauben der Holocaust, die „Säuberungen“ und Judenverfolgungen unter Stalin, der Völkermord an den Armeniern oder die Ermordung von „Hexen“ in der frühen Neuzeit nicht möglich gewesen wären.
Und dass heutzutage rechtspopulistische Parteien vor allem den Verschwörungsglauben an eine angebliche „Umvolkung“ instrumentalisieren. Diese «Umvolkung», oder in anderen Worten «Der grosse Austausch», soll von vermeintlich korrupten „Eliten“ organisiert werden. Hinter alle dem steckt im Weltbild der Verschwörungsgläubigen ein grosser Plan.
Neft schreibt dazu:
«Die Fremden, die Schutz und Auskommen suchen in einem anderen Land, werden in diesem Szenario zu ferngesteuerten Agenten eines großen Plans, den nur Verschwörungsgläubige durchschauen (und die Planer selbst natürlich).»
Auch in einer verkürzten Kapitalismuskritik, die in verschiedenen politischen Lagern verbreitet sei, finde sich mindestens eine Beimischung von Verschwörungsglauben: «Kriege, Hunger und Armut gehen in dieser Sichtweise auf eine mehr oder minder abgestimmte Verschwörung alter weißer Männer zurück – das eine Prozent der Reichen, Machthaber, Lobbyisten, Zocker und Konzernbosse profitiert bewusst von dem Elend. Die Bösen sind immer die anderen.»
Quelle:
Glaube an Verschwörungstheorien: Von bösen Mächten wunderbar geborgen
Ein Essay von Anselm Neft (Zeit online)
Anmerkungen:
Zum Sündenbock-Denken als Bestanteil von Verschwörungstheorien siehe auch:
Sündenböcke als Kernelement von Verschwörungstheorien
Zur gefährlichen Verschwörungsideologie von der «Umvolkung»/ vom «Grossen Austausch» hier.
Als Strippenzieher hinter der Umvolkung verdächtigen Verschwörungsgläubige gerne den jüdischen Investor und Demokratieförderer George Soros.
Siehe dazu:
Soros, George (*1930 in Budapest), Lieblingsfeind vieler Rechtspopulisten und Rechtsextremen,
Bei den Themen Corona-Pandemie und Impfungen heisst der Lieblings-Sündenbock seit einiger Zeit Bill Gates.
Den Verschwörungsgläubigen wird es nie an Sündenböcken mangeln. Dumm ist dabei wirklich, dass sie mit ihren fehlgeleiteten Diffamierungen von realen Problemen ablenken, die der Lösung harren.