Die QAnon-Verschwörungsideologie sei eine Ersatzreligion, sagt der Sekten- und Religionsexperte Georg Schmid in einem Interview mit dem Online-Magazin Watson. Die aus den USA stammende und sehr bizarre QAnon-Bewegung bekommt auch in Europa Zulauf. Inzwischen treten auch in der Schweiz Anhänger auf.
QAnon basiert auf einer hochgradig absurden Überzeugung: Ein Ring aus pädophilen Politikern und unbekannten Strippenziehern soll die Welt kontrollieren. Ihr Held ist US-Präsident Donald Trump, der dagegen ankämpft und verschleppte Kinder rettet – zusammen mit einem angeblichen Geheimdienstler, der auf obskuren Websiten unter dem Namen «Q» Nachrichten hinterlässt. Sekten– und Religionsexperte Georg Schmid erläutert, was den Verschwörungsglauben für Anhängerinnen und Anhänger so interessant macht:
«QAnon ist interessant für Menschen, die ohnehin zu Verschwörungstheorien neigen. Die misstrauisch sind gegenüber den Medien, gegenüber der Wissenschaft, dem Schulunterricht. Es ist eine Theorie, die die Welt extrem vereinfacht……Wenn wir, die nicht an QAnon glauben, die Frage beantworten müssten, was eigentlich unsere Gesellschaft steuert, ist das extrem schwierig. Wenn man QAnon vertritt, ist es ganz einfach: Es ist der ‘Deep State’, der ‘Staat im Staat’……
Glaubt man an eine Verschwörungstheorie, gehört man zu denjenigen, die den Durchblick haben. Man fühlt sich selbst einer Elite zugehörig. Im Gegensatz zu den ‘Schlafschafen’ ist man ‘erwacht’, kennt die angebliche Wahrheit. Das verschafft der Person eine immense Bedeutung.»
Georg Schmid geht auch auf die Frage ein, wie viele QAnon-Anhänger in der Schweiz vorhanden seien. Er hält die Zahl von 200’000 Menschen für plausibel. Genaue Zahlen dazu gibt es aber nicht. QAnon sei eine Ersatzreligion für Menschen, die Halt suchen, aber zu keiner Religion mehr gehören.
QAnon: Ersatzreligion mit Tendenz zu Autokraten
Ein religiöses Element liegt bei QAnon auch darin, dass für die Anhänger Donald Trump als Erlöser fantasiert wird. Und manche Esoteriker himmeln Wladimir Putin an. «Watson» stellt im Interview die Frage, warum zwei Politiker, die Tausende Kilometer entfernt sind, für Verschwörungsgläubige in der Schweiz so wichtig sind. Georg Schmid antwortet:
«Die Entfernung ist wichtig. Sie sind so weit weg, man kennt ihre Nachteile nicht. Putin kann man sich schön träumen, wenn man in der Schweiz lebt – und die Unterdrückung sowie die wirtschaftliche Lage nicht erlebt. Ein wesentlicher Faktor ist zudem, dass die Verschwörungstheorien teils aus Putins Küche kommen. Seine Geheimdienste und russische Staatsmedien streuen diese aktiv. Klar, ist dann Putin der Grösste.»
Zu Donald Trump sagt George Schmid:
«Seine Wichtigkeit unter Esoterikern kommt komplett von QAnon. Es hat in der Schweiz viel gebraucht, bis die Szene Trump als Heilsbringer akzeptierte. Es gibt sogar solche, die das Märchen der satanistisch-pädophilen Elite vertreten, den US-Präsidenten aber einfach nicht erwähnen. Trump ist der Teil in dem Verschwörungsglauben, der in der Schweiz am schwierigsten zu vermitteln ist.»
Quelle:
«QAnon ist eine Ersatzreligion»: Warum so viele Schweizer an Verschwörungstheorien glauben (Watson)
Wie abstrus die QAnon-Verschwörungsideologie ist, zeigt sich auch in Posts von Attila Hildmann und in den abwegigen, faktenfreien Fantasien rund um die Substanz Adrenochrom. Dieses angebliche Verjüngungsmittel soll laut QAnon von Gegnern von Donald Trump aus dem Blut gefolterter Kinder gewonnen werden.
Das ist ein Beispiel für Demagogie und für die politische Instrumentalisierung von Verschwörungstheorien. Siehe dazu:
Welche politischen Interessen stehen hinter Verschwörungstheorien?
Faktenfreie Unterstellungen von grausamen Verbrechen an Kindern schaden im Übrigen auch der Bekämpfung von realem Kindsmissbrauch. Und sie sind eine der stärksten Unterstellungen zur Diffamierung politischer Gegner. Ausserdem nehmen sie die antisemitisch gefärbten Ritualmordlegenden wieder auf.
Bemerkenswert an der Stellungnahme von Georg Schmid ist auch, dass er den Beitrag klar benennt, den Propagandamedien aus Russland bei der Verbreitung von Verschwörungstheorien leisten. Dieser Aspekt wird oft übersehen.