Die Millefeuille-Argumentationsstrategie kann dazu führen, dass Verschwörungstheorien leichter geglaubt werden. Das Konzept des «Millefeuille argumentatif» wurde entwickelt vom französischen Sozialwissenschaftler Gérard Bronner in seinem Buch «La démocratie des crédules» (2013).
Worum handelt es sich bei der Millefeuille-Argumentation?
«Millefeuille» (franz. ‘tausend Blatt’), das ist ein französischer Kuchen aus geschichtetem Blätterteig, der verschiedenartig gefüllt ist, zum Beispiel mit Marmelade, Beeren, Schlagsahne.
Vergleichbar vielschichtig gefüllt ist die Millefeuille-Argumentation. Hier werden dem Gegenüber nicht einzelne, sondern jeweils eine ganze Reihe von Argumenten und vermeintliche Indizien präsentiert. Dabei können die einzelnen Argumente und Indizien schwach oder gar falsch sein. Doch durch ihre schiere Anzahl vermitteln sie vor allem dem intuitiven Denken das Gefühl, das «da etwas dran ist».
Die grosse Zahl von Argumenten schafft es, die Falschheit der Verschwörungstheorie zu verschleiern, weil ein einzelner Mensch nur schwer darauf reagieren kann.
Die grosse Masse an präsentierten Argumenten und Indizien lässt sich erklären durch die starke Motivation der Verschwörungsgläubigen, Zeit in ihre Argumentation zu investieren. Dem liegt ihr oft grosses Sendungsbewusstsein als «Aufgewachte» und ein gewisses Missionierungsbedürfnis im Hinblick auf die «Schlafschafe» zugrunde.
„Nicht-Gläubige“ oder Wissenschaftler reagieren auf «Verschwörungsthemen» dagegen oft ironisch oder können es sich nicht leisten, zu viel Zeit in etwas zu investieren, das sie rasch als unsinnig einschätzen.
Verstärkt wird dieser Effekt durch das Internet, in dem eine kurze Suchanfrage sogleich eine Unzahl an Argumenten liefern kann. Die Reise durch das Netz kann zudem den Eindruck vermitteln, dass sich viele Menschen mit denselben Gedanken beschäftigen, was zu einer Art sozialem Beweis führt: Wenn viele Personen daran glauben, ist es wahr, oder es ist zumindest etwas dran. Das analytische Denken kann dem etwas entgegenhalten, indem es jedes einzelne Argument oder Indiz prüft und sich nicht von der Zahl der Argumente beeinflussen lässt, sondern deren Stärke bewertet. Allerdings ist das analytische Denken mit mehr Aufwand verbunden.
Beispiele für die Millefeuille-Argumentationsstrategie
☛ Zuerst ein abstraktes, irreales Beispiel:
Was passiert, wenn jemand behauptet, der Himmel sei rosa, und tausend Argumente und Indizien liefert, die beweisen sollen, dass der Himmel tatsächlich rosa ist? Diese «millefeuilles», diese 1000 Blätter auseinanderzunehmen kostet viel Zeit. Dieser grosse Aufwand wird vielleicht nicht zur Überzeugung führen, dass der Himmel wirklich rosa ist. Aber Zweifel könnten gesetzt werden. Möglicherweise ist der Himmel ja nicht ganz so blau, wie er aussieht? Oder nicht an allen Wochentagen? Am Abend ja sowieso nicht!…..
So folgt aus der Millefeuille-Argumentationsstrategie nicht in erster Linie, dass die präsentierte Verschwörungstheorie tel quel geglaubt wird. Sie wird eher Zweifel setzen an der offiziellen Version.
☛ Ein reales und ernstes Beispiel liefern die fiktionalen und antisemitischen «Protokolle der Weisen von Zion». Dieses Machwerk aus den Anfängen des 20. Jahrhunderts unterstellt den Juden, für die Phänomene der Moderne verantwortlich zu sein und die Weltherrschaft anzustreben. Auffallend ist seine Widersprüchlichkeit und mangelnde Konkretheit. Namen, Daten oder bestimmbare einzelne Fakten werden keine genannt. So widersprüchliche Phänomene wie Kapitalismus und Sozialismus, Demokratie und Tyrannei werden als Werkzeuge der jüdischen Weltverschwörung hingestellt, sodass jeder sich in seinen jeweiligen Interessen davon bedroht fühlen und fast unbegrenzt eigene Interpretationen und Assoziationen produzieren kann.
Damit lassen sich im Verlauf von Jahrzehnten unzählige angebliche Verbindungen schaffen zu jeweils gegenwärtigen politischen Ereignissen. Daraus lassen sich Indizien und (Pseudo-)Argumente in die Welt blasen, die für die Echtheit der Protokolle zu sprechen scheinen. Produziert wird diese Masse von Indizien und Argumenten mit Hilfe einer grossen Zahl von hochgradig motivierten Antisemitinnen und Antisemiten, die sich an den Protokollen abarbeiten.
So bekommen die «Protokolle der Weisen von Zion» in gewissen Kreisen fatalerweise eine Glaubwürdigkeit, die sie in keinster Weise verdienen. Und mitgeholfen hat dabei wohl die Millefeuille-Argumentationsstrategie.
Tipps zum Umgang mit der Millefeuille-Argumentation
Im Umgang mit Verschwörungstheorien sollte man sich von der Millefeuille-Argumentationsstrategie nicht verwirren lassen.
☛ Dazu ist es erstens wichtig frühzeitig zu erkennen, wo ein «Millefeuille» vorliegt.
☛ Zweitens sollte man sich nicht unter Druck setzen lassen, auf diesen ganzen Schwall von in die Welt geblasenen Indizien und Argumente einzugehen. Besser ist es, sich für Widerlegungsversuche auf eine kleine Zahl von erfolgsversprechenden Indizien oder Argumenten zu konzentrieren.
☛ Drittens ist es hilfreich sich klarzumachen, dass niemand die Behauptungen von Verschwörungsgläubigen widerlegen muss. Wer etwas behauptet steht in der Verantwortung, überzeugende Belege und Argumente zu liefern, die seine Behauptung glaubwürdig machen. Verschwörungsgläubige schieben diese Arbeit gerne auf ihre Kritiker ab. Blasen sie schwallweise Indizien und Argumenten in den Raum, sind jedoch sie und nur sie in der Pflicht, für jeden einzelnen Punkt Belege zu liefern.
☛ Viertens ist es manchmal sinnvoll, eine aktuell vorliegende Millefeuille-Argumentationsstrategie aufzudecken, vor allem auch für nicht direkt beteiligte Mitlesende oder Zuhörende.
Quellen:
Le mille-feuilles argumentatif (actutana)
La Démocratie des crédules, de Gérald Bronner (contrepoints)
Beitrag zum Thema «Mille-feuille» auf Wikipedia (franz.)
Beitrag zum Thema «Protokolle der Weisen von Zion» auf Wikipedia.