„Manche Menschen sagen, man wäre schwach, wenn man auf Experten hört. Das ist Blödsinn. Es braucht Stärke, um zuzugeben, dass man nicht alles weiss. Schwäche ist zu glauben, dass man den Rat von Experten nicht braucht und nur auf Quellen zu hören, die einen selbst bestätigen.»
Arnold Schwarzenegger, ehem. Gouverneur von Kalifornien (Quelle: ZIB Österreich, Facebook)
Schon sehr lange vorbei ist die Zeit, in der Universalgenies das gesamte Wissen ihrer Zeit erwerben konnten. In unserer hoch spezialisierten Gesellschaft sind wir in vielen Bereichen auf das Wissen von Expertinnen und Experten angewiesen. Arnold Schwarzenegger bringt diese Abhängigkeit auf den Punkt.
Immanuel Kant (1724 – 1804) hat uns aber in seiner Schrift „Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung“ (1784) aufgefordert, selber zu denken:
«Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschliessung und des Muthes liegt, sich seiner ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Sapere aude! Habe Muth, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! ist also der Wahlspruch der Aufklärung.
Faulheit und Feigheit sind die Ursachen, warum ein so grosser Theil der Menschen, nachdem sie die Natur längst von fremder Leitung frei gesprochen (naturaliter maiorennes), dennoch gerne zeitlebens unmündig bleiben; und warum es Anderen so leicht wird, sich zu deren Vormündern aufzuwerfen. Es ist so bequem, unmündig zu sein. Habe ich ein Buch, das für mich Verstand hat, einen Seelsorger, der für mich Gewissen hat, einen Arzt, der für mich die Diät beurtheilt, u. s. w., so brauche ich mich ja nicht selbst zu bemühen. Ich habe es nicht nöthig zu denken, wenn ich nur bezahlen kann; andere werden das verdriessliche Geschäft schon für mich übernehmen.»
Kant wendete sich damit gegen den blinden Glauben an die fast unhinterfragbaren Autoritäten seiner Zeit. Er fordert aber nicht, dass wir uns auf das Selberdenken beschränken und das Wissen von Fachleuten ignorieren. Er ist nur dagegen, dass wir das Denken diesen Autoritäten überlassen.
Die Sache ist also viel komplexer, als sie auf den ersten Blick aussieht – und darum auch besonders interessant.
In vielen Bereichen akzeptieren wir Abhängigkeiten von Expertenwissen mehr oder weniger fraglos. Falls nötig, beauftragen wir unsere Zahnärztin mit der Konstruktion einer Brücke in unserem Gebiss, auch wenn wir fachlich nicht auf Augenhöhe mitdiskutieren können. Und für den Bau einer Brücke über einen Fluss vertrauen wir einem Brückenbau-Ingenieur und nicht einem Hochstapler, der mit fundamental alternativen Berechnungsmethoden für die Tragkraft daherkommt. Aber nicht in allen Bereichen ist das Vertrauen in das Wissen von Expertinnen und Experten so hoch. Vor allem bei Themen, die politisch, religiös oder weltanschaulich umstritten sind, gerät Expertenwissen zunehmend unter Druck, zum Beispiel wenn es um Impfungen oder Klimaschutz geht.
Internet als Konkurrenz für Experten?
Das Internet mit seinen Suchmaschinen versetzt uns im Vergleich zu den Menschen aus Kants Zeit in eine hervorragende Lage: Innert Sekunden und fast kostenlos steht uns zu jedem möglichen Thema eine grosse Menge an Informationen zur Verfügung. Das macht uns unabhängiger von Expertenwissen, fördert jedoch auch den Irrglauben, wir hätten nach einer «Google-Recherche» schon den vollständigen Wissensstand. Dabei fehlt Laien in der Regel die Fähigkeit, die unsortierten und oft ungeprüften Informationen aus dem Netz zu bewerten.
Übersehen wird dabei oft auch, dass das Wissen im Internet, sofern es eine gewisse Qualität hat, meist auch von Experten stammt. In der Wahrnehmung treten diese dabei aber in den Hintergrund, so dass der Eindruck entsteht, man benötige sie nicht mehr.
Die Inflationsflut im Netz erschwert es auch, zwischen realen Experten und Hochstaplern zu unterscheiden. Als Folge dieser Entwicklungen neigen viele Menschen dazu, Meinungen von Laien und Experten als gleichwertig zu sehen. Das trifft – wie Studien gezeigt haben – insbesondere für Menschen zu, die zu Verschwörungstheorien neigen.
Verschwörungstheoretikerinnen und Verschwörungstheoretiker haben ein schwieriges Verhältnis zu Experten. Widerspricht ihnen ein Experte, stellen sie ihn als gekauft dar und betrachten ihn als Teil der Verschwörung. Verschwörungsgläubige investieren viel in die Delegitimierung ihrer Kritiker.
Wie ist es möglich, dass so viele Menschen offensichtlich kein Problem damit haben, das Wissen von Experten zusammen mit den Fakten und der Wissenschaft abzulehnen?
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben zwei Persönlichkeitsmerkmale ausgemacht, die es Menschen leichter machen, Experten zu ignorieren. Es handelt sich um den Dunning-Kruger-Effekt und um Narzissmus.
Dunning-Kruger-Effekt:
Der Dunning-Kruger-Effekt besagt, dass Menschen mit wenig Kompetenz oder Wissen sich selbst als kompetenter oder sachkundiger einschätzen, als sie wirklich sind. Ihnen fehlt es an Wissen oder Bewusstsein über die Grenzen ihres Wissens. Wer bei einem bestimmten Thema unkundig ist, kann gar nicht wissen, was es darin noch alles zu wissen gibt. Dementsprechend wird dieser Mensch nicht auf die Idee kommen, dass er sich weiterbilden und sich vielfältiger informieren müsste. Anfällig für den Dunning-Kruger-Effekt sind alle Anfänger und da wir alle in den meisten Bereichen Anfänger sind, betrifft er uns auch alle.
Der Dunning-Kruger-Effekt macht anfälliger für Wissensmüll und Verschwörungstheorien, die mit einfachen Erklärungen und Antworten unsere Vorurteile, Ressentiments und Überzeugungen füttern. Der Dunning-Kruger-Effekt verschafft Menschen mit wenig Kompetenz mehr (unverdientes) Selbstvertrauen, was ihnen erlaubt, sich fachlich auf Augenhöhe mit Experten zu sehen. Das wiederum nährt Narzissmus.
Narzissmus:
Mehrere Studien zeigen einen Zusammenhang zwischen dem Glauben an Verschwörungstheorien und Narzissmus. Narzissten haben oft ein geringes Selbstwertgefühl. Sie kompensieren diese Schwäche durch einen ungerechtfertigten Anspruch auf Bewunderung und besondere Bedeutung. Sie halten sich für besonders und überlegen. Daraus entsteht nicht selten ein starkes Anspruchsdenken und ein arrogantes Verhalten gegenüber anderen. Ausserdem fehlt es ihnen an Empathie gegenüber den Gefühlen und Bedürfnissen ihrer Mitmenschen. Sie benutzen andere Menschen, verlangen Loyalität, ohne aber selbst Loyalität oder gesellschaftliche Verpflichtungen gegenüber ihren Mitmenschen zu bieten.
Nur etwa 1% der Bevölkerung zeigt ein so hohes Mass an narzisstischem Verhalten, um als Träger einer Narzisstischen Persönlichkeitsstörung (NPS) zu gelten. Das bedeutet jedoch auch, dass es nicht wenige Menschen gibt, die zwar nicht das Mass an Narzissmus erreichen, um mit NPS diagnostiziert zu werden, aber dennoch im persönlichen Umfeld und in der Gesellschaft erheblichen Schaden anrichten. Ihr starkes Bedürfnis, im Zentrum der Aufmerksamkeit zu stehen, und die damit oft verbundenen krassen Aktionen, begünstigen häufig Spaltungen im privaten Umfeld und in der Gesellschaft. Donald Trump und Elon Musk sind dafür prominente und starke Beispiele – und beide sind wohl nicht zufällig auch «begnadete» Verschwörungstheoretiker.
Allerdings ist festzuhalten, dass nicht jeder Verschwörungstheoretiker ein Narzisst ist und nicht jeder Narzisst an Verschwörungstheorien glaubt. Verschwörungstheorien kommen Narzissten jedoch entgegen, weil sie ein Gefühl der Einzigartigkeit vermitteln können. Verschwörungsgläubige sehen sich oft als «Aufgewachte». Sie setzen sich dadurch ab von den «Schlafschafen». Sie bilden sich aufgrund ihres Glaubens an Verschwörungstheorien ein, Einblick in Geheimnisse zu haben, die den durchschnittlichen Menschen, dem «Mainstream», nicht zugänglich sind. Verschwörungsgläubige verstehen sich oft als eine besondere Elite, die sich durch diese speziellen Kenntnisse vom Rest der Gesellschaft abhebt.
Diese spezielle, herausgehobene Position ist Nahrung für den Narzissmus und erleichtert es zugleich, Experten mit ihrem Wissen auf Distanz zu halten. Wer glaubt, den ultimativen Durchblick zu haben, braucht keine Experten, jedenfalls keine, die dem eigenen Weltbild widersprechen.
Voraussetzungen für die Nutzung von Expertenwissen
Eine grosse Herausforderung in unserer heutigen Zeit besteht darin, Kompetenz richtig einzuschätzen – und zwar unsere eigene Kompetenz genauso wie die Kompetenz anderer Leute. Es geht darum zu lernen, bei welchen Fragen wir uns auf uns selbst verlassen können, und auf wen wir hören sollten, wenn unser eigenes Wissen nicht ausreicht. Dabei ist es auch wichtig zu verstehen, dass es unterschiedliche Stufen der Expertise gibt. Irgendein Arzt wird zwar mehr Kompetenz in epidemiologischen Fragen haben als ein medizinischer Laie. Aber gegenüber einem Arzt, der auf Epidemiologie spezialisiert ist und in diesem Bereich forscht, hat er bei diesem Thema weniger Expertise.
Wer sich nun auf eine Expertin oder einen Experten einlassen will, muss dazu ein Stück Vertrauen als Vorschuss aufbringen. Dazu muss man bereit sein, sich in gewisser Hinsicht verletzbar zu machen. Jemandem Kompetenz zuzugestehen, die man selber nicht hat, bedeutet, dieser Person in einem bestimmten Bereich den Status einer Autorität zuzusprechen. Hannah Arendt (1906–1975) hat als Charakteristikum der modernen Zeiten angeführt, dass das Konzept der Autorität verschwunden sei. Davon betroffen seien alle Bereiche der Gesellschaft wie Religion, Tradition, Erziehung oder Politik. Arendt setzt dabei Autorität nicht gleich mit Macht oder Überzeugungskraft. Sie basiere vielmehr auf einem anerkannten hierarchischen Verhältnis. Mit dem allgemeinen Verlust von Autorität verschwinden jedoch auch Wissens-Autoritäten, d. h. Personen, die ein spezialisiertes und vertieftes Wissen haben und denen deshalb in bestimmten Bereichen eine höhere Kompetenz zugestanden wird als anderen.
Es braucht also von der inneren Einstellung her einige Voraussetzungen, um Expertenwissen auch nutzen zu können. Toxisches Misstrauen kann dem entgegenstehen, während ein gesundes Misstrauen auch gegenüber Expertinnen und Experten durchaus adäquat sein kann. Zum Unterschied siehe:
Über toxische Zweifel und toxisches Misstrauen
Wie findet man glaubwürdige Expertinnen und Experten?
Für die Beantwortung dieser Frage existiert kein Leitfaden, der zu garantiert sicheren Ergebnissen führt. Es gibt aber eine Reihe von Kriterien, von Prüfsteinen, die bei der Suche nach verlässlichem Expertenwissen helfen können. Dabei lassen sich drei Ebenen unterscheiden:
- Wie fundiert ist die fachliche Kompetenz des Experten?
Die fachliche Kompetenz einer Person ist für Laien kaum direkt zu beurteilen. Ausbildung und Titel können hier nur erste Orientierung geben, reichen aber zur Beurteilung nicht aus. Nicht nur die Corona-Pandemie hat gezeigt, dass auch Ärzte und Professoren sich tief im Kaninchenbau der Verschwörungstheorien verheddern können. Über Ausbildung und Titel hinaus stellen sich deshalb verschiedene Fragen:
☛ Äussert sich die Fachperson wirklich zu einem Thema, in dem sie kompetent ist? Nobelpreisträger werden oft zu Themen befragt, die gar nicht ihr Fachbereich sind. Ihr Expertenstatus wird ungerechtfertigterweise verallgemeinert.
☛ Äussert die Fachperson ihre individuelle Meinung oder vertritt sie den aktuellen Stand des Wissens? Expertinnen und Experten können selbstverständlich eigene Meinungen haben und sie auch äussern. Wissenschaft als kollektiv erarbeitetes Wissen hat aber in aller Regel eine grössere Glaubwürdigkeit. Ist die Fachperson integriert in einen wissenschaftlichen Erkenntnisprozess zu einem bestimmten Thema? Hat sie in wissenschaftlichen Zeitschriften publiziert und sich damit der Beurteilung von Kollegen gestellt? Oder haben wir es mit Einzelfiguren zu tun, die sich nur auf YouTube profilieren, und sich damit der Überprüfung durch Fachkollegen entziehen? Aus einer grossen Reichweite und Bekanntheit auf sozialen Medien ergibt sich keineswegs entsprechende Glaubwürdigkeit.
- Wie Glaubwürdig ist die persönliche Integrität des Experten einzuschätzen?
Diese Frage ist oft nicht einfach zu klären und kann nur im konkreten Einzelfall beantwortet werden. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind auch nur Menschen und daher anfällig für Irrtümer und kognitive Verzerrungen (Selbsttäuschungen). Auch kommt es immer wieder zu Skandalen aufgrund von Manipulation oder Korruption. Wissenschaft bietet aber auch ein reichhaltiges Instrumentarium, um solche Fälle aufzudecken, vor allem durch gegenseitige Überprüfungen der Prozesse und Resultate.
Genauer hinschauen muss man, wenn Experten von Geldgebern abhängig sind und dadurch womöglich interessengeleitet handeln und urteilen. Ein bekanntes Beispiel lieferte die Zigarettenindustrie in den USA. Sie bezahlte in den 1970er Jahren bis zu den 1990er Jahren Wissenschaftler und bestellte Gefälligkeitsgutachten, um zu belegen, dass vom Passivrauchen keine Gesundheitsgefahren ausgehen. Es handelte sich hier um eine veritable Verschwörung.
Allerdings sollte man solche Einzelfälle nicht verallgemeinern und Expertinnen und Experten generell Voreingenommenheit und Bestechlichkeit vorwerfen.
Auch wenn eine Interessenlage vorliegt und ein Experte zum Beispiel schon Vortragshonorare von einer Firma erhalten hat, sollte man nicht den Fehler begehen, nur schon daraus auf eine komplette Unglaubwürdigkeit der Expertenmeinung zu schliessen. Es ist immer verführerisch, finanzielle, karrierebedingte oder machtpolitische Interessen als Indiz dafür zu nehmen, die Glaubwürdigkeit von Experten in Zweifel zu ziehen. Verschwörungstheoretiker betreiben diese Art der Delegitimierung und Diffamierung häufig und oft reflexartig, wenn sie mit Widerspruch von Experten konfrontiert sind.
Solche Zweifel sind jedoch nur dann berechtigt, wenn es mehrere Hinweise oder einen direkten Nachweis für ein Fehlverhalten gibt. Im Nachhinein lassen sich Fehleinschätzungen, Falschaussagen, Verschleierung, Betrug und Korruption immer leicht mit finanziellen und machtpolitischen Verstrickungen erklären. Eine Erklärung ist jedoch keine Begründung und ersetzt auch keine Begründung. Der alleinige Hinweis auf eine machtpolitische oder finanzielle Verstrickung ist noch kein Beweis für ein Fehlverhalten. Hat jemand Geld bekommen für eine Arbeit beweist das noch nicht, dass das Ergebnis der Arbeit durch Geld beeinflusst wurde.
Werden Expertinnen und Experten unter Generalverdacht gestellt und wird wissenschaftlichen Erkenntnissen prinzipiell misstraut, sprich man von Wissenschaftsleugnung.
Steven Novella schreibt dazu:
«Keine Frage, natürlich gibt es auch unter Wissenschaftlern Korruption und kognitive Verzerrungen, aber das bedeutet nicht, dass man alle wissenschaftlichen Erkenntnisse, mit denen man nicht einverstanden ist, einfach als Produkt solcher Korruption bezeichnen und damit unglaubwürdig machen kann. Doch genau das tun Wissenschaftsverweigerer.» (Seite 210)
Bei der Beurteilung der persönlichen Integrität von Experten kann auch ihr Auftreten und Verhalten einer der Prüfsteine sein.
Kennt jemand die Grenzen seines Wissens und auch die Grenzen des Wissens überhaupt? Kann jemand zugeben, wenn er oder sie auf eine Frage keine Antwort weiss? Das sind eher positiv zu bewertende Punkte.
Macht jemand allzu grosse Versprechungen und verkündet scheinbar absolute Wahrheiten? Das sind negative Punkte. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verkünden in der Regel keine absoluten Wahrheiten und setzen sich mit den Grenzen ihres Wissens auseinander. Das unterscheidet sie von Gurus und anderen Heilsverkündern.
- Wie zuverlässig wurde das Expertenwissen vermittelt?
Expertenwissen wird oft nicht direkt von Experten bezogen, sondern durch Medien aller Art vermittelt. In solchen Fällen ist es wichtig, auch die Vermittlung des Wissens in die Prüfung einzubeziehen. Sowohl klassische als auch sogenannte soziale Medien spitzen Aussagen oft zu, weil damit mehr Aufmerksamkeit und mehr Klicks erreicht werden können. Stimmt der Inhalt des Artikels mit dem Titel überein? Hat der Experte das wirklich so gesagt? Passen seine Aussagen zu seiner Grundhaltung und zu seinen Aussagen an anderen Stellen? Wurden Zitate aus dem Zusammenhang gerissen?
Solche Fragen sind oft nicht einfach zu überprüfen, doch sollten sie zu mindestens gestellt werden. Berichtet ein Text von einer wissenschaftlichen Studie, sollte eine Quellenangabe und am besten ein Link zur Originalarbeit aufgeführt sein. Nur so lässt sich überprüfen, ob der Text die Studie korrekt zusammenfasst. Oft formulieren nämlich die Autorinnen und Autoren der Studie deutlich zurückhaltender und differenzierter, als es in den Medien später vermittelt wird.
Ein neues Verhältnis zu Expertinnen und Experten?
In unserer hoch spezialisierten Zeit geht es vielleicht darum, ein neues Verhältnis zu Expertinnen und Experten zu finden. Es braucht eine Balance zwischen den Extrempolen der völligen Ignoranz gegenüber Expertenwissen einerseits, und der blinden Gläubigkeit gegenüber Expertenwissen andererseits.
Dazu ein paar Anmerkungen:
☛ Gegenüber der fachlichen Kompetenz und/oder der persönlichen Integrität von Experten gibt es selbstverständlich die Möglichkeit des «Nichtüberzeugtseins» und des kritischen Zweifels. In solchen Fällen ist die Option einer Zweitmeinung prüfenswert, wie sie in der Medizin schon etabliert ist.
☛ Laien dürfen natürlich ihre Meinung äussern auch zu Themen, in denen sie keine Expertise haben. Allerdings sollten Laien, die echten Fachleuten in deren Kernthema widersprechen wollen, sehr gute Argumente haben. Wer Expertenmeinungen bezweifelt, sollte erst recht auch seiner eigenen Meinung gegenüber kritisch sein.
☛ Die Philosophin Catherine Newmark geht in ihrem Buch «Warum auf Autoritäten hören?» auf die Erosion des traditionellen Prinzips der Autorität ein. Sie schlägt vor, Autorität flexibler zu denken und zu leben, als dynamisches, sich stetig wandelndes Verhältnis zwischen Menschen. Nehmen wir den Rat von Experten an, gegen wir ein kleines Stück Verantwortung an jemanden ab, dem wir vertrauen. Wir nehmen diese Person damit jedoch auch in die Pflicht: Sollte sie uns einen falschen Rat geben, werden wir ihr in Zukunft keine Autorität mehr zugestehen. Newmark schreibt:
«Autorität entsteht nämlich genau da, wo wir andere als Autoritäten anerkennen, ihnen Überlegenheit zuschreiben und Verantwortung überlassen. Dieser Mechanismus steht der Norm der Gleichheit nicht grundsätzlich entgegen. Schliesslich sind wir selbst es, die autorisieren – und die diese Autorisierung auch wieder entziehen können.» (Newmark Seite 101)
Autorität in derartigen Beziehungen ist auf bestimmte Zeiträume und bestimmte Kontexte limitiert. Sie bleibt auch jederzeit verhandelbar und hinterfragbar. Autorität geht dabei auch nicht mehr automatisch mit einer hierarchischen Position einher. Man muss sie sich in der Regel hart erarbeiten. Die jeweilige Reichweite der Autorität ist also beschränkt. Newmark schreibt:
«Niemand ist in meinem Leben mehr grundsätzlich die Autorität, vielmehr endet meine jeweilige Anerkennung von jemandem als Respektperson oder auch als in manchen Dingen massgebliche Meinung genau dort, wo seine Kompetenz und Zuständigkeit an Grenzen kommen….Gerade der Umstand, dass auch die Autoritätsperson selbst um die Grenzen ihrer Zuständigkeit weiss, trägt zu ihrer persönlichen Glaubwürdigkeit bei……
Wenn Autorität eine Beziehung ist, dann muss diese Beziehung auch gepflegt werden….
Autorität in einem heutigen Sinn als flexible Beziehung ist ihrem ganzen Wesen nach denn auch weit weniger eine Frage des Amtes oder der hierarchischen Position als eine der persönlichen Glaubwürdigkeit.» (Newmark Seiten 103/104/105/107)
Quellen:
☛ «Hoffnung, Angst und Schrecken – Moderne Mythen, Verschwörungstheorien und Pseudohistorie», von Ronald H. Fritze, Midas Verlag 2022, Seiten 57 – 59.
☛ «Die Schwerkraft ist kein Bauchgefühl – Eine Liebeserklärung an die Wissenschaft», von Florian Aigner, Brandstätter Verlag 2020, Seite 220 – 222.
☛ «Kritisch argumentieren», von Malte W. Ecker, Alibri Verlag 2006, Seiten 163 – 165.
☛ «Konstruierte Wahrheiten – Wahrheit und Wissen im postfaktischen Zeitalter», von Thomas Zoglauer, Springer Verlag 2021, Seite 20.
☛ «Alternative Wirklichkeiten? Wie Fake News und Verschwörungstheorien funktionieren und warum sie Aktualität haben», von Katrin Götz-Votteler und Simone Hespers, Transcript Verlag 2019, Seite 54.
☛ «Bedienungsanleitung für deinen Verstand – Kritisch denken in einer Welt voller Halbwissen», von Steven Novella, Riva Verlag 2019.