Aus Anlass des 100. Jahrestages der Ermordung von Außenminister Walther Rathenau in der Weimarer Republik haben in Deutschland die Spitzen des Staates dazu aufgerufen, die Demokratie entschlossen zu verteidigen. Bundestagspräsidentin Bärbel Bas äusserte eine Warnung für die Gegenwart:
«Unsere freiheitliche Gesellschaft wird bedroht von Verschwörungstheorien und gezielter Desinformation, von Hetze und Hass.» Sie wies zusammen mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier darauf hin, dass es im heutigen Deutschland so viele politisch motivierte Straftaten, darunter antisemitische, gebe wie noch nie zuvor. Dies habe zu den Morden des NSU, den Anschlägen von Halle, den Toten von Hanau und zur Ermordung des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke geführt. «Dem müssen wir entschieden entgegentreten – Politik, Gesellschaft, Rechtsstaat. Mit allen Mitteln», sagte Bas an einer Gedenkveranstaltung für Walter Rathenau. Der liberale Politiker wurde am 24. Juni 1922 im Berliner Grunewald auf dem Weg ins Auswärtige Amt von Mitgliedern der rechtsextremen Organisation Consul erschossen.
Warnung für die Gegenwart
Steinmeier und Bas nutzten das Gedenken an die Ermordung von Walter Rathenau für eine Warnung bezogen auf die Gegenwart. «Eine Demokratie, die jene nicht schützt, die sich demokratisch engagieren, verrät sich selbst», sagte Steinmeier in seiner Rede. Auch Rathenau engagierte sich für die Demokratie. Steinmeier würdigte ihn als «einen klugen Kopf, einen großen Deutschen und einen Märtyrer der deutschen Demokratie». Walter Rathenau war Jude. Seine Entspannungs- und Annäherungspolitik missfiel nationalistischen Kreisen, die die erste parlamentarische Demokratie auf deutschem Boden hassten und als „Judenrepublik“ diffamierten. «Für die Feinde der Demokratie….war Rathenau die ideale Verkörperung der angeblich jüdisch-kapitalistischen Weltverschwörung», stellte Steinmeier fest. Rathenau wurde verleumdet, einer der „300 Weisen von Zion“ zu sein, von denen die fiktiven «Protokolle der Weisen von Zion» berichten.
Die Organisation Consul verübte politische Morde mit dem Ziel, das demokratische System der jungen Weimarer Republik zu destabilisieren und eine Militärdiktatur zu errichten. Der Mord an Rathenau war eine Verschwörung gegen die Republik und diente als Warnung und Provokation an politische Feinde. Die Organisation Consul war geprägt von antisemitischen Verschwörungstheorien.
Steinmeier und Bas beliessen es jedoch nicht bei einer Warnung. Sie riefen auch dazu auf, für die Demokratie zu streiten. Der Bundespräsident sagte:
«Der stärkste Republikschutz sind selbstbewusste Bürgerinnen und Bürger. Menschen, die wissen, dass jede Schmähung der Demokratie, ihrer Institutionen und Köpfe auch ein Angriff auf ihre eigene Freiheit ist – und die sich deshalb einmischen und ihre Stimme erheben gegen Populisten und Extremisten jeder Art.»
Quelle:
100 Jahre nach dem Mord an Rathenau:
„Unsere freiheitliche Gesellschaft wird bedroht von Verschwörungstheorien und gezielter Desinformation“ (rp-online)
Ausserdem:
☛ Weitere Infos zum Thema:
Antisemitismus und Verschwörungstheorien
Verschwörungstheorien als Katalysatoren von Gewalt
☛ Der grosse Liberale Ralf Dahrendorf (1929 – 2009) hat viele dieser Probleme vorausgesehen und seine Warnung in eindringliche Worte verpackt. Siehe dazu:
Ralf Dahrendorf: „Demokratie braucht Demokraten“
Ralf Dahrendorf zu den Gefährdungen liberaler Demokratien
☛ Hintergrund vieler rechtsextremistischer Attentate in der Gegenwart ist die Verschwörungstheorie vom „Grossen Austausch„.