Verschwörungstheorien leben davon, Motive für das Handeln von Personen und Gruppen zu erfinden. Über die Motive verbinden sich charakteristischerweise die einzelnen Verschwörungslegenden miteinander. Einer Verschwörungstheorie geht es nie darum, ergebnisoffen die Wahrheit herauszufinden, sondern darum, einen vorgegebenen Verschwörungsglauben zu beweisen. Dazu klaubt sich der Verschwörungsgläubige von überall her passende Bruchstücke zusammen und verklebt sie zu einer Einheit. Als Kleber nutzt er dazu die Handlungsmotive, die er oder sie den als verschwörerisch aufgefassten Gruppen und Einzelpersonen unterstellt.
Wer behauptet, dass eine verschwörerische Organisation im Hintergrund bei den verschiedenen Anlässen die sichtbaren Akteure – zum Beispiel die Regierung – wie Marionetten tanzen lässt, muss ein passendes Motiv dafür präsentieren können, sonst glaubt ihm bald niemand mehr.
Dabei sind es immer bösartige Motive, die von Verschwörungstheoretikerinnen und Verschwörungstheoretiker erfunden und unterstellt werden. Eine geheime Verschwörung zum Wohle der Menschheit ist eine eher unwahrscheinliche Vorstellung.
Verschwörungstheoretiker erklären sich unerwünschte und schlimme Ereignisse in der Regel konsequent mit Bösartigkeit. Zufall, Fahrlässigkeit, Dummheit oder Schlamperei kommen zur Erklärung nicht in Frage (siehe dazu: Hanlon’s Rasiermesser).
Als bösartige Motive kommen zum Beispiel der Wunsch nach Geld, Macht oder Bekanntheit in Frage.
Motive anderer kann niemand sicher wissen
Nun kann allerdings niemand in die Herzen und Köpfe anderer Menschen hineinsehen. Das müssen Verschwörungsgläubige aber auch gar nicht. Sie unterstellen ohne zu zögern diejenigen Motive, die als Puzzleteile zu ihrer vorgegebenen Verschwörungsideologie passen.
Beispiele für zugeschriebene Motive
Das Erfinden und Unterstellen von Motiven zeigt sich in typischen Mustern:
☛ Geld
Wer Verschwörungstheorien kritisiert, wird in der Regel ziemlich rasch mit der Frage konfrontiert: «Wieviel hat man ihnen bezahlt». Es wird also unterstellt, dass der Kritiker oder die Kritikerin im Dienste der Verschwörer tätig ist. Verschwörungstheoretiker können es sich offenbar nicht vorstellen, dass jemand aus freien Stücken «sowas» macht.
☛ Macht
Personen wie Bill Gates und George Soros, zwei Lieblingsfeinde der Rechtspopulisten und Rechtsextremen, die beide sowieso schon Geld im Überfluss haben, wird eher Macht als Motiv unterstellt. Auch bei den Weltverschwörungstheorien stehen in der Regel Motive der Macht im Vordergrund.
☛ Prestige / Bekanntheit
Wer in den Medien auftritt und sich kritisch zu Verschwörungstheorien äussert, dem oder der werden gerne Motive unterstellt, die mit der Erlangung von Aufmerksamkeit, Profilierung und Bekanntheit zusammenhängen.
☛ Verrat
Vor allem in der Politik ist besonders bei Rechtspopulisten und Rechtsextremen Verrat eines der am häufigsten unterstellten Motive. Dabei geht es insbesondere um den «Verrat am Volk». Problematisch dabei ist unter anderem, dass es dieses «Volk» mit einheitlichen Präferenzen und Bedürfnissen so nicht gibt. Auch «Landesverrat» kommt als Unterstellung vor. Hinter dem Verrat werden dann die eigentlichen Motive vermutet, zum Beispiel wieder Geld und/oder Macht…..
Fazit:
Wenn jemand über die Motive anderer redet und diese unzweifelhaft zu kennen glaubt, ist immer Skepsis angebracht. Vor allem auch wenn es sich um negative Motive handelt, wenn sie schon zum vorneherein feststehen und präzis zur jeweiligen Verschwörungsideologie passen.
Das exzessive Erfinden und Unterstellen von verwerflichen Motiven ist aber auch ausserhalb von Verschwörungstheorien problematisch. Kommt es bei Politikerinnen und Politikern vor, spricht viel dafür, solche Figuren nicht zu unterstützen. Insbesondere dann, wenn dem Gegenüber verwerfliche Motive nur schon deshalb unterstellt werden, weil es andere politisch Positionen und Meinungen vertritt. In solchen Fällen dürfte es wohl an demokratischer Gesinnung mangeln.
Quelle:
„Freimauerer, Illuminaten und andere Verschwörer – Wie Verschwörungstheorien funktionieren“, von Thomas Grüter, Fischer Taschenbuch 2016.