Der Verfassungsschutz beobachtet laut einem Medienbericht die Corona-Proteste mit Sorge. Denn Rechtsradikale und Verschwörungsgläubige bildeten dort eine gefährliche Mischung. Kündigt sich eine neue Form des Extremismus an?
Zuge der Corona-Proteste könnte eine neue Form des Extremismus entstehen, warnt das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV).
Das BfV hat über Monate die zunehmend gewaltbereiten Demonstrierenden beobachtet und nun offenbar einen Bericht fertiggestellt.
NDR, WDR und Süddeutsche Zeitung haben Einblick bekommen in ein 37-seitiges Sonderlagebild Gefahren- und Risikopotenzial insbesondere durch Extremisten und fremde Dienste, das der Verfassungsschutz erstellt hat.
Die Innenminister aus Bund und Ländern hatten dem BfV im Juni den Auftrag erteilt, die Corona-Demonstrationen zu analysieren.
Die zentrale Frage war dabei, ob von den Protesten eine Gefahr für die innere Sicherheit ausgeht Laut den Medienberichten beobachtet der Verfassungsschutz ein „heterogenes Protestfeld“, bei dem sich nicht extremistische und extremistische Akteure vermischten. Zahlreiche Demonstrierende grenzten sich inzwischen nicht mehr von Rechtsradikalen, sogenannten Reichsbürgern oder Verschwörungsgläubigen ab.
Bürgerliche Teilnehmende bringen zum Teil ihre Kinder mit zu den Demonstrationen, verleugnen extremistische Aussagen oder beurteilen sie als unproblematisch. Es entwickelt sich nach Einschätzung des BfV eine sogenannte Querfront aus Nazis, Esoterikern, Alt-Hippies und christlichen Fundamentalisten.
Ein Teil der Protestbewegung wurzelt dem Bericht zufolge in organisierten rechtsextremen Strukturen, die aktiv für die Proteste rekrutieren. Darüber hinaus spielen auch Gruppen eine Rolle, die der Verfassungsschutz bisher kaum im Focus hatte: Zum Beispiel die verschwörungsideologische QAnon-Sekte oder Prominente und Mediziner, die via Telegram und YouTube Hunderttausende Menschen erreichen.
Entsteht eine neue Art des Extremismus?
Das BfV soll angesichts solcher Gruppierungen davon ausgehen, dass sich ein Extremismus neuer Gattung entwickeln könnte, „der nicht unter die im Verfassungsschutzverbund geläufigen Phänomenbereiche fällt“, wie es laut NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung in dem Papier heisst.
Man müsse der Frage nachgehen, ob und wie das Internet dazu beigetragen habe, äussert sich das BfV, und es warnt, dass ein ausgeprägter Glaube an Verschwörungstheorien die Bereitschaft zu kriminellen Handlungen fördern könnte. Dazu beitragen könnte, dass Verschwörungsgläubige Angriffe auf Regierungseinrichtungen als Akte der Selbstverteidigung auffassen können.
Laut dem Verfassungsschutz gibt es inhaltliche Schnittmengen zwischen der klassischen rechtsextremen Szene und der Verschwörungsszene. Die beiden Lager sind verbunden durch Elitenfeindlichkeit und Antisemitismus. Beide propagieren eine „neue Weltordnung„, hängen dem Mythos des „großen Austauschs“ an und schüren grundlos Panik vor vermeintlichen Zwangsimpfungen.
Dazu kommt noch der QAnon-Kult mit seinen absurden Wahnvorstellungen. Seine Anhängerinnen und Anhänger glauben unter anderem, es existiere ein weltweit agierendes Pädophilennetzwerk, deren Mitglieder in unterirdischen Anlagen Kinder missbrauchten und ermordeten, um aus ihrem Blut ein Verjüngungsmittel zu gewinnen (das unschuldige Adrenochrom).
Das Papier des BfV soll am 10. Dezember auf der Konferenz der Innenminister präsentiert und diskutiert werden. Der Verfassungsschutz gibt den Politikerinnen und Politikern offenbar eine Mahnung mit auf den Weg. Im Bericht heisst es, dass sich eine „höchst dynamische Situation“ abzeichne, deren Verlauf „nur schwer prognostizierbar“ sei. Es reiche nicht aus, dass sich allein die Sicherheitsbehörden mit dieser Thematik befasse. Das sei eine Aufgabe der ganzen Gesellschaft.
Quelle:
Corona-Proteste: Verfassungsschutz warnt vor neuer Form des Extremismus (Zeit)
Siehe auch:
Extremismusforscherin Julia Ebner über Corona, Extremismus und QAnon