Die Extremismusforscherin Julia Ebner spricht im Tages-Anzeiger über Corona, QAnon und Extremismus. Hier daraus einige Kernaussagen zusammengefasst:
☛ Der relative Erfolg in der Corona-Bekämpfung verleiht Verschwörungstheorien und deren Anhängern Auftrieb. Welche Gruppierung profitiert davon am meisten?
Stark profitiert von dieser Entwicklung haben alternative Mediennetzwerke und rechte Onlinegruppen. Sie haben in den letzten Jahren stark daran gearbeitet, das Vertrauen in die Demokratie, grosse Parteien und die Wissenschaft zu untergraben. Gerade während der Migrationskrise haben rechte Gruppierungen im deutschsprachigen Raum zahlreiche neue Kanäle gegründet und inzwischen ein eigenes alternatives Informationsökosystem aufgebaut. Dieses wird nun zur Mobilisierung eingesetzt. Ausserdem profitieren rechte Youtuber und Influencer die schon zuvor ein gewisses Publikum hatten. Nun bekommen sie jedoch so richtig Zulauf.
☛ Julia Ebner auf die frage, ob Grund zur Sorge bestehe:
„Wir sollten extremistische und verschwörungstheoretische Netzwerke auf keinen Fall unterschätzen. Das taten westliche Regierungen in der Vergangenheit viel zu lange. Bis tatsächlich etwas passierte. Die Alt-Right-Netzwerke, also rechtsextremen, weiss-nationalistischen Gruppierungen, inspirierten eine ganze Reihe von Terroristen, die Anschläge verübten. Das Attentat von Christchurch war für viele Regierungen, nicht nur für die neuseeländische, ein Weckruf. Es könnte auch im Zusammenhang mit Corona bei verschwörungstheoretischen Gruppierungen dazu kommen, dass einzelne Mitglieder zu Gewalt inspiriert werden. Etwa dann, wenn sich Feindbilder so stark etablieren, dass sich daraus ganz neue Anschlagsziele ergeben“
Als mögliche neue Anschlagsziele sieht Julia Ebner „Pharmakonzerne, Wissenschaftlerinnen, die an Impfstoffen forschen, Politiker, denen vorgeworfen wird, sie seien Teil dieser einen grossen Verschwörung, sogar Künstlerinnen, denn auch Hollywood ist mit drin in der QAnon-Verschwörungstheorie. Und Journalisten, denn die produzieren laut QAnon Fake News.“
Julia Ebner zur Frage, Medien besser machen können
☛ Das Problem sei, dass zahlreiche Anhänger von Verschwörungstheorien schon vor Corona in alternativen Medienkanälen unterwegs waren und «Mainstream-Medien» ablehnten. Sie zu erreichen sei extrem schwierig.
Es sei sogar noch schwieriger, Verschwörungstheoretiker aus ihren Netzwerken rauszuholen, als Rechtsextremisten oder generell Extremisten zu deradikalisieren. Es sei wichtig, auf einer emotionalen Ebene zu arbeiten und wieder eine Vertrauensbasis zu schaffen. Mit Fakten komme man nicht weit.
Denn die Informationsblase von verschwörungstheoretischen Gruppierungen sei in sich geschlossen: „Alle, die versuchen, von aussen etwas an sie heranzutragen, werden als Teil der Verschwörung gesehen. Bei Extremisten ist es oft so, dass sie eine positive Erfahrung mit dem vermeintlichen «Feind» machen und danach ihre Denkmuster hinterfragen. Etwa wenn ein Muslim einem Neonazi hilft. Das kann ein Fenster sein, um mit der Deradikalisierung zu beginnen.“ Bei QAnon funktioniere das jedoch nicht.
☛ QAnon sei eine komplexe Verschwörungstheorie. Bei QAnon gebe es nicht eine Feindgruppe, sondern viele Feindgruppen. Darum sei es wichtig, mehr über die tiefer liegenden Bedürfnisse dieser Menschen zu erfahren: „Wieso haben sie sich dieser Gruppierung angeschlossen? Viele fühlen sich nicht gehört, nicht verstanden und im Stich gelassen.“ Dort müsse man ansetzen.
Es sei schwierig vorherzusagen, wie nachhaltig die aktuelle Mobilisierung dieser extremen Gruppierungen ist: „Mittlerweile haben sie auch Celebrities und Influencer dazugeholt, die ihnen zusätzliche Reichweite verleihen, etwa Xavier Naidoo oder Attila Hildmann.“
Künftige Konflikte um Impfgegner
☛ Julia Ebner wird auch gefragt, welches Thema sie künftig besonders beschäftigen werde. Sie nennt dazu die Impfgegner:
„Sobald die Impfstoffe da sind, könnten die Spaltungen, die sich bereits jetzt durch die Gesellschaft ziehen, zunehmen. Auf der einen Seite stünden jene, die die gesamte Bevölkerung impfen lassen wollen, damit wir immun werden. Auf der anderen Seite jene, die sich vehement dagegen wehren. Dieser Konflikt zeichnete sich schon an den vergangenen Protesten ab und könnte längerfristige Effekte auf die Gesundheitsversorgung, das gesamte Gesundheitssystem und auch die Corona-Krise haben.“
Quelle:
Extremismusforscherin im Interview:
«Pharmakonzerne könnten zu neuen Anschlagszielen werden» (Tages-Anzeiger)
Julia Ebner hat sehr lesenswerte Bücher publiziert:
☛ Julia Ebner zeigt eindrücklich auf, wie Rechtsextreme und Islamisten die selben Strategien verfolgen und sich in die Hände spielen. Dadurch wird das Gemeinsame der verschiedenen Varianten des Extremismus sichtbar:
☛ Was Islamisten und Rechtsextreme mit uns machen: