Über welche Wege radikalisieren sich Menschen? Dazu forscht der Kommunikationswissenschaftler Jürgen Grimm seit Jahren. Er erklärt: „Auf dem Weg in die Radikalisierung sind Verschwörungstheorien ein oft beschrittener Pfad.“ Am Anfang stehe stets der Zweifel: „Es sind die Überkritischen, die sich Schritt für Schritt in solche Narrative verstricken.“
Am Beginn steht also stets „der Zweifel“. Die «Überkritischen» verstricken sich getrieben von Internet-Algorithmen Schritt für Schritt immer weiter in solchen Narrativen. Grimm sagt: „Die Psychologie ihrer Entwicklung besteht darin, dass sie in ihrem generalisierten und übersteigerten Zweifel immer weiter abgleiten, bis sie ab einem gewissen Kipp-Punkt bereit sind, auch an das Verrückteste zu glauben – weil in ihren Augen ja auch alles andere mindestens genauso unplausibel ist.“
Wer davon überzeugt sei, dass etablierte Medien und Politiker lügen, wer alles hinterfrage und alles kritisiere, der erhalte sozusagen „die Eintrittskarte“ zum Verschwörungstheoretiker.
Grimm unterstreicht also, dass es paradoxerweise nicht Leichtgläubigkeit ist, welche die Menschen an die unglaubwürdigsten Narrative glauben lässt, sondern im Gegenteil übertriebener Zweifel.
Radikalisierung zeigt sich an der QAnon-Ideologie
Zu den bizarrsten und zugleich auch komplexesten Fiktionen zählt wohl die Sache mit „QAnon“ – in dessen Zentrum die Behauptung steht, eine weltweit agierende, geheim operierende Elite entführe Kinder, halte sie gefangen, foltere und ermorde sie, um aus ihrem Blut eine Verjüngungsdroge zu gewinnen (die unschuldige Substanz Adrenochrom). Wir haben es hier mit einer Wiederauflage der uralten, antisemitischen Ritualmordlegende zu tun.
Doch so abstrus solche Behauptungen auch erscheinen mögen, der Wissenschaftler Jürgen Grimm hält es für falsch, die Sache zu unterschätzen. Für seine Warnung hat er gute Gründe: „Zum einen, weil Verschwörungstheorien sehr oft auch Wechselbezüge zu Bereichen aufweisen, die wir ohnehin mit Sorge sehen, wie etwa zu Antisemitismus, Rassismus und Xenophobie.“ Und ausserdem, „weil die Korrelation zwischen Verschwörungstheorien und politischer Gewaltbereitschaft höher“ sei als bei jedem anderen Konstrukt, einschließlich dem Rechtsextremismus. Auf dem Weg in die Radikalisierung seien Verschwörungstheorien ein oft beschrittener Pfad.
Der Kulturwissenschaftler Michael Butter sagte in einem Interview für „Thema Vorarlberg“: „Menschen, die an Verschwörungstheorien glauben, sind gegenüber allem, was der Mainstream sagt, hyperkritisch, aber allem anderen gegenüber äußerst unkritisch.“
Quelle:
ACHTUNG, VERSCHWÖRUNG! (Thema Vorarlberg)
Anmerkungen:
Interessant ist der Hinweis, dass nicht Leichtgläubigkeit, sondern überzogener Zweifel in die Verschwörungstheorien und damit in die Radikalisierung führt. Mehr dazu hier:
Über toxische Zweifel und toxisches Misstrauen
Zum Thema «Radikalisierung»:
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Verschwörungstheorien als Trigger für Radikalisierung