Ein Weltbild des permanenten Betrogenwerdens habe sich in die Gesellschaft hineingefressen, sagt der Historiker Paul Nolte in einem Interview mit der „Süddeutschen“.
Im Gespräch wird Nolte auf die Behauptung angesprochen, nach der „Politiker ja sowieso lügen“ würden.
Antwort Paul Nolte:
„Diese Art von Verschwörungstheorien haben wir zu lange wuchern lassen, wir haben nicht entschieden genug widersprochen. Der politische Populismus kam erst später, aber fand in dieser Suggestion einen fruchtbaren Boden. Die Welt ist falsch, eine Verschwörung der Eliten, der Medien, der Linken, der Liberalen. So sind wir in eine Krise des Weltvertrauens geschlittert, die zugleich eine Krise des Selbstvertrauens ist……
Selbstverständlich gibt es echte Probleme, und der Umgang mit Migration ist diskussionswürdig ebenso wie die Energiewende oder die weitere Vertiefung der Europäischen Union. Aber die Populisten und Verschwörungstheoretiker erreicht ein solcher rationaler Diskurs oft nicht mehr: Sie sind im falschen Film.“
Zivilcourage gegen Verschwörungstheorien
Auf die Frage, was man dagegen tun kann, sagt Paul Nolte:
„Am wichtigsten ist es, bei sich selber anzufangen: Zivilcourage. Nicht schweigen, wenn jemand im eigenen Umfeld – in der Familie, im Freundeskreis oder am Arbeitsplatz – seine Ressentiments und Verschwörungstheorien äußert, und sei es scheinbar harmlos und leichthin. „Die Politiker lügen sowieso.“ „Die Flüchtlinge beuten sowieso nur unsern Sozialstaat aus, und an uns denkt niemand.“ Dann sollten wir sagen: Du, das sehe ich anders! Aber das erfordert Mut.“
Der Historiker Paul Nolte ist Professor am Friedrich-Meinecke-Institut der Freien Universität Berlin. Sein Arbeitsschwerpunkt liegt auf der deutschen, amerikanischen und vergleichenden Politik- und Sozialgeschichte der vergangenen 300 Jahre.
Quelle:
Paul Nolte im Gespräch „Wir haben Verschwörungstheorien zu lange wuchern lassen“ (Süddeutsche Zeitung)
Paul Nolte spricht in diesem Gespräch ein besorgniserregendes gesellschaftliches Phänomen an: Ein generalisierendes, wucherndes Misstrauen. Es lässt sich auch umschreiben mit dem Begriff „Verschwörungsmentalität„.
Beim Thema „Misstrauen“ ist wichtig, dass es ein gesundes Misstrauen und ein toxisches Misstrauen gibt, zwischen denen es zu unterscheiden gilt. Siehe dazu:
Toxische Zweifel und toxisches Misstrauen