Wie man subtil und erfolgreich Verschwörungsmentalität kultiviert, illustriert die NZZ in einem Bericht über ein Seminar des „Mediums“ Christina von Dreien.
Die NZZ schreibt zu „von Dreiens Rat, das Umfeld Andersdenkender zu verlassen“: „Das hat sektenhafte Züge“
Tatsächlich ist es charakteristisch für Sekten, dass sie ihren Mitgliedern oft empfehlen oder vorschreiben, den Kontakt zu Nicht-Mitgliedern zu meiden. Der Rat ist aber auch antidemokratisch. Demokratie lebt vom Kontakt und Austausch mit Andersdenkenden. Sie löst sich auf, wenn ausschliesslich isolierte Blasen nebeneinander her existieren.
Wie vage Andeutungen und Verschwörungsmentalität Hand in Hand gehen, zeigt folgendes Zitat aus dem NZZ-Beitrag:
„Vom Klimawandel beispielsweise spricht sie nie direkt, sagt aber: «Wir zerstören unsere Natur.» In letzter Zeit gebe es viele Brände, überhaupt habe die Erde unzählige Probleme. Daraufhin fordert sie jedoch nicht Flugticketabgaben oder ein Verbot von Ölheizungen. Stattdessen erklärt sie, es sei falsch, sich nur auf das Negative zu konzentrieren. «Überlegt euch immer: Welche Infos schaue ich mir an?» Passend dazu blendet eine Technikerin eine Folie ein, auf der steht: «Selber denken und die Massenmedien hinterfragen».“
Vage Aussagen und Andeutungen sind eine Einladung für Zuhörende, die Lücken mit eigenen Gedankenkonstrukten zu füllen. Damit bleibt man maximal anschlussfähig ohne selber Position beziehen zu müssen. Die Anwesenden fühlen sich individuell angesprochen, bleiben aber in ihrem eigenen Programm. Ein konstruktiver und produktiver Austausch braucht konkretere Aussagen.
Und eine Aufforderung wie «Selber denken und die Massenmedien hinterfragen» ist zwar nicht falsch. „Selber denken“ kann aber auch sehr leicht ich-bezogen funktionieren. Die eigenen Gedanken werden dann zum Massstab für Wahrheit. Kommt dann noch die Aufforderung hinzu, die „Massenmedien“ zu hinterfragen, kann das die eigenen Gedanken gegen Einwände und Informationen von aussen immunisieren.
Undifferenzierte Aufforderungen bezüglich Massenmedien
Christina von Dreien ist offensichtlich nicht so plump, von „Lügenpresse“ zu reden. Die pauschale Aufforderung, die Massenmedien zu hinterfragen kann aber ebenso eine kleine Distanzierung von „den Massenmedien“ bewirken. Dadurch werden Menschen anfälliger für Falschinformationen und Verschwörungstheorien, die auf asozialen Medien grassieren. Die pauschale Aufforderung, die „Massenmedien“ zu hinterfragen, hat eher eine verdummende Wirkung. Sie befähigt jedenfalls nicht zu kompetentem Verständnis der komplexen Vorgänge in der Welt. Ein solches minimales Verständnis ist aber unabdingbar für die verantwortungsvolle Teilhabe an demokratischen Prozessen.
Anstelle der pauschalen Aufforderung, die „Massenmedien“ zu hinterfragen, wäre es viel aufbauender, zu differenzieren.
Die pauschale Aufforderung, die „Massenmedien“ zu hinterfragen, fördert toxisches Misstrauen und toxischen Zweifel. Sie können eine zersetzende Wirkung auf das Vertrauen in Institutionen und Organisationen, die für demokratische Gesellschaften wichtig sind (wie zum Beispiel die Medien). Konstruktiver wäre es, Menschen zu gesundem Zweifel und gesundem Misstrauen zu befähigen (Empowerment).
Gesunder Zweifel und gesundes Misstrauen differenzieren und sind wichtig für die Demokratie. Sie kritisieren zum Beispiel Medien an konkreten Schwachpunkten und anlässlich von konkreten Fehlleistungen.
Siehe dazu.
Über toxische Zweifel und toxisches Misstrauen
Christina von Dreien in der Enzyklopädie
Quelle der Zitate (NZZ):
Christina von Dreien: Wie eine zerbrechlich wirkende 18-Jährige die Esoteriker in Massen anlockt