Das Gerede von der ‘Lügenpresse’ ist eine verbreitete und für die Demokratie gefährliche Verschwörungstheorie. Der Philosoph Roland Kipke hat zu diesem Thema passende und lesenswerte Gedanken veröffentlicht:
«Ist der Vorwurf der ‘Lügenpresse’ richtig? Nein, er ist masslos und abwegig. Einseitigkeiten ja, blinde Flecken ja, Voreingenommenheit ja. Aber hallo, Lügen sind etwas anderes. Für ein absichtliches und systematisches Verdrehen in den etablierten Medien bei uns gibt es keinen Beleg. Ebenso wenig für eine Lenkung durch die Regierung. Die Medien sind ungefähr so verlogen und von oben gelenkt wie Türken stets nach Knoblauch stinken und Juden gerne Christenkinder fressen. Wer die Medien im demokratischen Deutschland als ‘Lügenpresse’ abtut, dem hilft vielleicht ein Praktikum. Wie wäre es zum Beispiel mit dem Rundfunk der Islamischen Republik Iran? Oder mit der ägyptischen Zeitungal-Ahram? Oder mit Vietnam TV? Es gibt so viele Medien auf der Welt, in denen sich lernen lässt, was eine staatlich gelenkte Lügenpresse wirklich ist…..
Das Schöne an der pauschalen Verunglimpfung der Medien ist ja schliesslich, dass sie wie ein Abenteuerspielplatz ist: spannend, aber ungefährlich. ‘Lügenpresse’ zu rufen, verleiht dem Rufer einen Hauch Revoluzzer-Feeling. Man darf sich als kleiner, schlauer David fühlen, der dem Staats-Goliath gegenübersteht, ohne dass einem Schlimmes passieren kann…..
Doch Irrtum, die pauschale Verdammung unserer Medien atmet keinen demokratischen Geist. Im Gegenteil, der Hass auf die freie Presse ist seit jeher die Passion der Freiheitsfeinde. Und der Vorwurf der Lügenpresse beschädigt die Demokratie mehr, als es einzelne Fehler und Einseitigkeiten in Medien je tun können. Fehler kann man richtigstellen, Einseitigkeiten ausgleichen, aber das durch den Vorwurf der Lügenpresse zerstörte Vertrauen in eine freie Presse lässt sich nicht so leicht zurückgewinnen. Auf dieses Vertrauen jedoch sind Medien wie alle demokratischen Institutionen angewiesen.
Aber es werden ja gar nicht alle Medien Lügenpresse genannt, sondern nur die meisten? Genau. Ein paar finden die Lügenpresserufer doch gut. Nämlich diejenigen, die ihrer eigenen Meinung entsprechen. Und das heisst: Hinter dem revolutionären Gestus grinst abermals der alte Affe der Intoleranz. Die Feindschaft gegenüber der Vielfalt. Freiheit für mich und meinesgleichen, Verachtung für die anderen. Wenn du schreibst, was mir behagt, bist du ein ehrliches Medium. Wenn nicht, bis du Lügenpresse.»
Quelle:
„Jeder zählt- was Demokratie ist und was sie sein soll“ von Roland Kipke
(Seite 163 / 164)
Das Buch von Roland Kipke ist sehr empfehlenswert. Detailangaben, Buchbesprechung und Bezugsmöglichkeit über den obigen Link.
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