Sascha Lobo hat eine Kolumne veröffentlicht zum Phänomen, dass im Zuge der Coronakrise zunehmend Prominente über soziale Medien wirre Verschwörungstheorien verbreiten.
«Die Coronakrise belastet viele Menschen psychisch – und zunehmend scheinen Prominente durchzudrehen. Zukünftig muss die Gesellschaft lernen, mit diesen Social Meltdowns umzugehen.»
Er verweist dabei auf Elon Musk:
«Er gehört zur langen Reihe von Männern und auffällig wenigen Frauen, die in der pandemischen Gesellschaft einen Meltdown hingelegt haben, eine Art öffentlichen Nervenzusammenbruch.»
Musk hatte die Maßnahmen gegen Corona auf Twitter als „faschistisch“ bezeichnet. Er kündigte zudem an, dass er sämtliches dingliche Hab und Gut samt seiner Häuser verkaufen werde. Telas Börsenwert verringerte sich anschliessend um 10 Prozent.
Solche Zusammenbrüche können jedem Menschen passieren.
Von einem Social Meltdown kann man laut Sascha Lobo sprechen, weil soziale Medien dieses psychosoziale Phänomen erst zur vollen Blüte gebracht haben:
«Die Niedrigschwelligkeit der Veröffentlichung, die Gnadenlosigkeit der digitalen Alldokumentation und die Reaktionen des Publikums ergeben eine toxische Mischung: Soziale Medien können aus einem Nervenzusammenbruch ein lebensveränderndes Ereignis machen, denn Scham, Trotz und Verletztheit lassen in solchen Situationen die Flucht nach vorn attraktiv erscheinen.»
Ausraster als Moment der Wahrheit verkauft
Statt den eigenen Ausraster als vorübergehenden Moment der Schwäche zu begreifen, werde er in der Öffentlichkeit und vor sich selbst als Moment der Wahrheit und sogar der Erkenntnis verkauft. Man beginne, sich hineinzusteigern in eine Erklärungswelt, die zuvor vielleicht nur ein Schutzreflex in der Not war.
Sascha Lobo beschreibt in seiner Kolumne präzis das Risiko einer «Akuten Belastungsstörung», die im öffentlichen Raum der sozialen Medien vonstatten geht.
Musk komme ohne das Eingeständnis eines Meltdowns nur noch schwer hinter seine Aussagen zurück.
Aus Angst vor Lächerlichkeit und einer Portion toxische Männlichkeit könnte er beginnen, sein weiteres Handeln diesem Phantasma anzupassen.
Auf diese Weise könne ein Social Meltdown lebensprägend werden vor allem für Figuren, die von ihrer Bekanntheit und der Resonanz beim Publikum leben.
Sascha Lobo betont, dass es ihm nicht um Verständnis für die oft rechtsextremen, gefährlichen Positionen geht, die überdrehte Multiplikatoren verbreiten:
«Es geht mir um die vielen Anzeichen dafür, dass persönliche Notsituationen durch die Wechselwirkung mit der Öffentlichkeit in den Aufbau einer regelrechten Wahnwelt kippen können. Aus der es dann kaum ein Zurück mehr zu geben scheint.»
Es sei wichtig, das Social-Media-Phänomen Meltdown zu verstehen, weil es sich um ein Symptom handelt:
«Es spiegelt die enorme Fragilität unser aller Psyche in Zeiten der Krise. Und es hängt direkt mit einem grassierenden Gesellschaftsphänomen zusammen, nämlich der derzeitigen Allgegenwart von Verschwörungstheorien.»
Sascha Lobo für mehr Toleranz gegenüber Social Meltdowns
Sascha Lobo stellt eine logische und bedrohliche Verbindung aus Meltdowns und der momentanen Allgegenwart der Verschwörungstheorien fes.
Die Coronakrise berge für viele Menschen die Gefahr, dass sich akute, psychische Notsituationen verstetigen. Die Wechselwirkung zwischen prominenten Personen und ihrem Publikum könne dazu führen, dass sich angereichert mit Fake News das entstehende „Wahnweltbild“ ausbreite.
Jetzt entscheide sich, besonders in sozialen Medien, ob wir als Gesellschaft einen zukunftsfähigen Umgang mit psychischen Massennotlagen finden:
«Vielleicht müssen wir nicht nur den gefährlichen Verschwörungstheorien entschlossen entgegentreten, sondern auch viel stärker den zugrundeliegenden Notsituationen gesellschaftliche Aufmerksamkeit widmen.»
Abschliessend denkt Lobo darüber nach, ob wir vielleicht eine gewisse Toleranz gegenüber Social Meltdowns entwickeln müssen, damit die Betroffenen eine Möglichkeit haben ohne katastrophalen Gesichtsverlust zurückzurudern.
Und wir müssten uns vielleicht eingestehen, «dass unser Bild von uns selbst als stabile, allzeit rationale, hochfunktionale Mitglieder der Gesellschaft ohnehin die ganze Zeit ausgedacht war. Und zwar bei uns allen.»
Quelle:
Verschwörungstheorien zum Coronavirus – Ein wenig Wahn schlummert in uns allen
Sascha Lobo beschreibt hier mit dem «Social Meltdown» ein Phänomen, das in diesem Ausmass neu zu sein scheint. Es besser zu verstehen, ist ausserordentlich wichtig. Das soll aber nicht davon ablenken, dass die Äusserungen von Promis in solchen Situationen hoch gefährlich sein können.
Siehe dazu auch:
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