Auf „Deutschlandfunk Kultur“ schreibt der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen über die Konjunktur der Verschwörungstheorien.
Warum ist die verschwörungstheoretische Versuchung so erfolgreich, fragt Pörksen. Warum gerade jetzt, warum gerade heute?
Antwort:
☛ Wir sind einerseits mit jeder Menge beunruhigender, fragmentarischer, für den Einzelnen kaum überprüfbarer Informationen konfrontiert.
☛ Und auf der Suche nach der Ruhebank fester Wahrheiten können wir uns andererseits blitzschnell und sehr leicht in eine Wirklichkeitsblase hinein googeln, die bestätigt, was wir ohnehin glauben.
Bernhard Pörksen schreibt:
„Die Gleichzeitigkeit von allgemeiner Verunsicherung und der Möglichkeit, für alles sofort Bestätigung zu finden – das ist die Tiefenursache für die Fieberschübe des aktuellen Manipulationsgeraunes.“
Was bieten Verschwörungstheorien in einer solchen Situation?
Sie bieten laut Pörksen maximale kognitive Stabilität bei geringen intellektuellen Unkosten.
Denn Verschwörungstheorien sind „selbstimmunisierend“, nicht widerlegbar, wie der Wissenschaftstheoretiker Karl Popper zu sagen pflegte. Verschwörungsgläubige können auch die Nichtbeweisbarkeit ihrer Konstrukte zum Beweis umdeuten und haben damit scheinbar immer Recht.
Die Tatsache, dass die Belege gänzlich fehlen, fassen sie als eigentlichen Beleg dafür auf, wie raffiniert die Verschwörer vorgehen, wie geschickt sie alle Spuren verwischen.
Verschwörungstheorien lösen zudem scheinbar das Rätsel des Bösen. Sie erklären es als einen verdeckten Kampf derjenigen, die hinter den Kulissen ihren unheimlichen Dienst tun. Als Weltformeln des Übels erzeugen sie unmittelbar Scheinklarheit und das imaginäre Bild einer Ordnung.
Pörksen schreibt:
Der geübte Konspirationstheoretiker ist ein Genie der Mustererkennung, ein Apostel der Kohärenz im Universum verstörender, schwer einschätzbarer Nachrichten und frei umher wirbelnder, leichthändig verknüpfbarer Daten und Dokumente.“
Aufklärung braucht zeitgemässe Form
Durch die Konfrontation mit der Verschwörungstheorie als Angstfigur des rationalen Diskurses werde unabweisbar deutlich, dass Aufklärung heute eine neue Form brauche. Es reiche nicht mehr, einfach nur Argumente auszutauschen, weil in den Zeiten des großen Verdachts die gemeinsame Gesprächsgrundlage bröckele. Man müsse, ganz gleich, ob in der Wissenschaft, den Medien oder der Politik, deutlich machen, was überhaupt als Beweis taugt, welche Quellen man verwendet, wie man zu den eigenen Ansichten und Gewissheiten gelangt ist.
Aufklärung über die Aufklärung, das sei es, was es heute brauche. Ob das reiche sei offen. Aber Demokratie lebe – trotz vieler erschreckender Gegenbeispiele – von der Idee der Mündigkeit.
Als „mächtigsten Symptomträger der Verschwörungstheorie“ bezeichnet Pörksen den US-Präsidenten Donald Trump. Tweets von ihm könnten laut Pörksen dereinst vielleicht als Signatur unserer Epoche gelten – einer „Zeit des großen Verdachts“. Als Beispiel weist Pörksen auf die von Trump bewirtschaftete Verschwörungstheorie vom „Tiefen Staat“ hin. Und auf die faktenfreie Behauptung Trumps, sein Vorgänger Barack Obama habe ihn im Wahlkampf abgehört.
Quelle.
Der große Verdacht: Konjunktur der Verschwörungstheorie (Deutschlandfunk Kultur)