Goran Buldioski schreibt auf «Zeit online» über die Saat der Aufwiegler und Demokratiefeinde, die auch in Deutschland aufgeht, und über die tägliche Begegnung mit Verschwörungsmythen.
Er erklärt, welche Parallelen es zu den Zuständen in Ungarn gibt und warum Deutschland nicht die gleichen Fehler machen sollte. Goran Buldioski musste aus Ungarn fliehen, weil er dort die Demokratie stärken wollte, und dadurch zum Feind Viktor Orbáns wurde. Er arbeitet für die Open Society Foundations. Diese Stiftung unterstützt Organisationen, die unsere Demokratie stärken. Ihr Gründer ist der ungarisch-amerikanische Holocaust-Überlebende und Philanthrop George Soros, der Lieblingsfeind der Rechtspopulisten und Rechtsextremen.
Goran Goran Buldioski schreibt:
«In Ungarn habe ich erlebt, wie sich absurde Verschwörungsmythen immer mehr festsetzen konnten – und so den Boden bereitet haben für unsere spätere politische Verfolgung. Am Ende wurden wir zu finsteren Gestalten degradiert. Wir konnten die Sicherheit unseres Teams in Budapest nicht mehr sicherstellen und flohen nach Berlin.»
Er sorge sich nun, dass Deutschland ähnliche Fehler mache.
Vor allem die jüngsten Proteste gegen die Corona-Schutzmaßnahmen in Leipzig und Berlin beunruhigen ihn, denn sie «zeugen von einem Diskurs, in dem sich – zum Teil legitimer – Protest mit menschenfeindlichem Verschwörungsglauben auf ungute Weise vermischen. Diese Verschwörungsmythen sind hanebüchen, aber deswegen nicht weniger wirksam. Sie bleiben in den Köpfen vieler Menschen hängen, verunsichern sie und machen sie instrumentalisierbar. Viele gehen auf die Straße – auch Seite an Seite mit Rechtsextremen, die ungehindert durch deutsche Innenstädte marschieren können. Sie beschwören geschichtsvergessen das Schreckgespenst eines Ermächtigungsgesetzes. Es ist so absurd, dass man sich gar nicht weiter damit befassen mag. Aber wir dürfen nicht wegsehen. Davon bin ich mit Blick auf unsere Erfahrung in Ungarn fest überzeugt.»
Deutschland sei nicht Ungarn. Aber auch hier wachse der Hass auf die sogenannte politische Elite.
Verschwörungsmythen generieren politisches Kapital
In Ungarn hätten sie gesehen, was passiert, wenn Verschwörungsmythen größeren Anklang in der Gesellschaft und mediale Resonanz finden:
«Sie generieren automatisch politisches Kapital. Denn Menschen, die diesen obskuren Ideen anhängen, glauben, das „politische Establishment“ würde bestimmte Probleme ganz bewusst ignorieren. Sie wähnen dunkle Mächte am Werk. Und sind ansprechbar für unanständige Politiker, die sich als Heilsbringer dieser wütenden und angeblich ignorierten Masse inszenieren.»
Um zu sehen, wie das in der Praxis funktioniere, müsse man nicht in die USA zu Donald Trump oder nach Ungarn zu Viktor Orbán schauen. Genau die gleiche Masche wende die angebliche Alternative für Deutschland an.
Er beobachte häufig, dass viele das Problem der Verschwörungsmythen unterschätzten, schreibt Goran Buldioski. Es sein eine bequeme und vor allem naive Haltung zu sagen, es sei doch nur eine kleine Minderheit, die da versuche, den Bundestag zu stürmen: «In Ungarn begann es mit einer Plakatkampagne, wonach Soros angeblich die Staatsgrenzen abschaffen und das Land mit muslimischen Einwanderern überfluten wolle. Sie zeigte einen mit Photoshop bearbeiteten grinsenden George Soros mit der Überschrift „Lass Soros nicht zuletzt lachen“.»
Lügen und Hetze bleiben nicht ohne Folgen
Die Mehrheit der Menschen in Ungarn habe genau erkannt, dass es sich dabei um Lügen und Hetze handelte: «Aber sie schwiegen. Sie blieben still, weil sie dachten, keiner könnte das ernsthaft glauben. Bis es am Ende zu spät war, um die Hetze zu stoppen.»
Deutschland sei mit seiner pluralistischen Medienlandschaft und seiner politischen Bildung in Schulen hoffentlich besser vor solchen Angriffen gefeit. Aber auch Deutschland befinde sich in einer vergleichsweise fragilen Phase zwischen einer Pandemie, wirtschaftlicher Unsicherheit und dem Ende der Amtszeit von Bundeskanzlerin Merkel.
Gerade Merkel diene für die Anhänger von Verschwörungsmythen schon seit ihrer Asylpolitik im Jahr 2015 als ähnliches Feindbild wie George Soros noch heute für Viktor Orbán.
Buldioski weist darauf hin, dass Social-Media-Betreiber im Verlaufe der Corona-Pandemie damit begonnen haben, Verschwörungsmythen stärker zu enttarnen. Reichlich spät sei das geschehen, nachdem sie jahrelange zur Verbreitung dieser Verschwörungsmythen beigetragen hätten.
Im Oktober verpflichtete sich YouTube, Inhalte der QAnon-Verschwörungsideologie zu entfernen, und auch Facebook schloss sich dieser Maßnahme an. Das sei ein Anfang, reiche aber nicht, schreibt Goran Buldioski: «Wir dürfen nicht warten, bis die sozialen Medien das Problem selbst regulieren, sondern benötigen dringend gesetzliche Standards für alle sozialen Netzwerke, um die Verbreitung dieses menschenfeindlichen Materials zu unterbinden.»
Was online beginne, bleibe nicht online. Deshalb sei es wichtig, einen nationalen Plan zu entwickeln, um Verschwörungsideologien zu stoppen.
Lügen und Hetze im Alltag entgegentreten – Zivilgesellschaft gegen Verschwörungsmythen stärken
Wir müssen die Zivilgesellschaft in Deutschland stärken, schreibt Goran Buldioski: «Eine lebendige, offene und diskussionsfreudige Demokratie ist das beste Gegenmittel gegen Verschwörungsmythen. Wir müssen Lügen und Hetze im Alltag entgegentreten – am Arbeitsplatz, in der Schule, bei Familientreffen, in unserer Nachbarschaft.»
Das sei mühsam und gelinge nur, wenn viele Bürgerinnen und Bürger mitmachen. Und es brauche starke zivilgesellschaftliche Organisationen, wie sie durch das Programm ‘Demokratie leben’ geförderten werden. Deren Arbeit sei heute wichtig wie eh und je und verdiene weiterhin unsere Unterstützung.
Abschliessend schreibt Goran Buldioski:
«Wir haben in den Vereinigten Staaten und in Ungarn gesehen, was passiert, wenn wir die Lügen der Demokratiefeinde mit einem Kopfschütteln quittieren und einfach weiterlaufen lassen.“ Deutschland sei aber eine wehrhafte Demokratie – und habe noch die Chance, es besser zu machen.
Quelle:
Corona-Proteste: Nehmt die Gefahr ernst! (Zeit online)
Zu Viktor Orbáns Verschwörungstheorien siehe auch: