Der 43-jährige Schweizer Schriftsteller Jonas Lüscher lag wegen des schweren Verlaufs einer Corona-Infektion sieben Wochen im künstlichen Koma. Er war zuvor gesund und zählte zu keiner Risikogruppe. Das sagte Jonas Lüscher im Interview in der „Sonntagszeitung“.
Lüscher, der zu den bedeutendsten Schweizer Schriftstellern der Gegenwart zählt, findet es „schon sehr seltsam“, dass sogar Immunologen öffentlich erklärten, Corona sei für gesunde Menschen unter 45 Jahren nicht gefährlich. Mit dem Coronavirus infiziert habe er sich wohl, als er Mitte März bei den Kommunalwahlen in München, wo er wohnt, beim Auszählen der Stimmen geholfen habe.
Lüscher erzählt:
«Erst hatte ich die bekannten Symptome, Husten, hohes Fieber. Nach einem positiven Test wurde ich ins Krankenhaus überwiesen. Dort diagnostizierten die Ärzte eine Lungenentzündung, und mein Zustand verschlechterte sich schnell. Man versetzte mich ins Koma und begann mit der Beatmung. Ich war sieben Wochen im Koma, insgesamt neun Wochen auf der Intensivstation und drei Wochen in der Reha. Die Lungenfunktion ist immer noch etwas eingeschränkt und ich kämpfe mit den üblichen Nebenerscheinungen eines langen Komas, aber ich habe, und das ist ein grosses Glück, keine kognitiven Schäden davongetragen.»
Über die öffentlichen Debatte zur Coronakrise sagt Jonas Lüscher, die Bequemlichkeit der Argumentation sei offensichtlich:
«Wenn das Virus nur die Alten und bereits Kranken betrifft, kann man die ja einsperren. Aber das ist erstens falsch, wie ja nicht nur mein Corona-Verlauf zeigt, zweitens unmenschlich und funktioniert drittens nicht, wie wir am Beispiel Schweden sehen. Und die ganzen Verschwörungstheoretiker … nun, diese Leute sind schlicht eine Katastrophe.»
Wir brauchen Erzählungen, sagt Jonas Lüscher
Die Epidemiologie sei tatsächlich zum grossen Teil ein statistisches Fach. Es bleibe die Frage:
«Was machen wir mit den ganzen Zahlen? Wir müssen notgedrungen ein Narrativ daraus entwickeln. Denn Zahlen allein sagen nichts aus. Wir brauchen also Erzählungen, die auf diesen Zahlen basieren – Erzählungen mit Erklärungsqualität und Welthaltigkeit. Der Berliner Virologe Christian Drosten ist ein gutes Beispiel für einen kompetenten Wissenschaftserzähler. Seine Podcasts sind ja nichts anderes als Zahlen, die Drosten in verständliche, dabei vorsichtig und nuanciert vorgetragene Erzählungen verwandelt. Deutschland kann sich glücklich schätzen, einen solchen Wissenschaftler zu haben. Auf der anderen Seite steht die dümmste aller Corona-Erzählungen, die plumpe Verleugnung unter Heranziehung von Verschwörungstheorien.»
Jonas Lüscher geht auch auf das Stichwort «Panikmache» ein:
«Es ist immer leicht, sich über ‘Panikmache’ zu mokieren. Christian Drosten sagte den schönen Satz: ‘There is no glory in prevention.’ Und so ist es dann doch auch: Weil einige Alarm schlagen, werden Massnahmen ergriffen, die dann dazu führen, dass es eben nicht so schlimm wird wie angedroht – und dann stehen sie da wie die Alarmisten. Hätten sie aber nicht gewarnt und man hätte keine Massnahmen ergriffen und es wäre schlimmer geworden, würden sie vermutlich von denselben Kritikern der Tatenlosigkeit bezichtigt. Und es brauchte ja wenig: Stellen wir uns nur vor, die Basler Fasnacht hätte stattgefunden. Dann hätte sich die Pandemie bei uns tatsächlich ähnlich schlimm wie in Norditalien entwickeln können.»
Quelle:
Interview mit Jonas Lüscher; «Diese Leute sind eine Katastrophe» (Tages-Anzeiger, Abo)
Schriftsteller Jonas Lüscher lag sieben Wochen im künstlichen Koma (Swissinfo)
Jonas Lüscher schildert seine Erfahrungen mit Covid-19 sehr eindrücklich. Er reflektiert auch den gesellschaftlichen Umgang mit dieser Krise. Das Interview zeigt sehr deutlich, wie abgeheben von jeder Realität Verschwörungstheoretiker sind, wenn sie zum Beispiel daran zweifeln, ob wir überhaupt eine Pandemie haben. Verschwörungstheorien sind ein ernsthaftes Hindernis bei der Bewältigung von realen Krisen.
Sehr bedenkenswert ist auch, wenn Jonas Lüscher darauf hinweist, dass Zahlen und Statistiken in Erzählungen übersetzt werden sollten. So steigt die Chance, dass Menschen überzeugt werden können.
Siehe dazu auch: