Ende 2021 geriet die psychiatrische Klinik Littenheid in die Kritik, weil satanistische Verschwörungstheorien in gravierendem Mass in Behandlungen eingeflossen sind.
Der Kanton Thurgau hat daraufhin gegen die Privatklinik Massnahmen verfügt. Ein Gutachter hat nun in 43 von 422 überprüften Patientenakten «gravierende» Hinweise auf Verschwörungstheorien gefunden, bei 188 weiteren Patientenakten gab es angedeutete Hinweise. Die Klinik Littenheid entschuldigt sich.
Ende 2021 lieferten Medienberichte Hinweise darauf, dass die Verschwörungstheorien «rituelle Gewalt / Mind Control» («Satanic Panic») in die Traumatherapie-Stationen der Clienia Littenheid AG Einzug gehalten hatte. Investigative Reportagen des Senders SRF hatten die Missstände aufgedeckt.
Das Departement für Finanzen und Soziales (DFS) des Kantons Thurgau leitete im Frühjahr 2022 eine Administrativuntersuchung ein. Aufgrund der Erkenntnisse aus dem Untersuchungsbericht ordnete das DFS am 2. Dezember 2022 aufsichtsrechtliche Massnahmen für die Klinik Littenheid an.
Die Clienia Littenheid AG beauftragte in der Folge einen externen, unabhängigen Gutachter, 422 Patientenakten von Patientinnen und Patienten mit dissoziativer Identitätsstörung zu überprüfen. Wie der Kanton Thurgau nun mitteilt, fand der Gutachter bei 43 von 422 untersuchten Krankenakten der Traumastationen «gravierende» Hinweise auf Verschwörungserzählungen, bei 188 weiteren Patientenakten gab es angedeutete Hinweise.
Klinik Littenheid gesteht Fehler ein
In einer Stellungnahme schreibt die Klinik Littenheid nun: «Das Ausmass macht uns tief betroffen. Der Bericht bestätigt den Handlungsbedarf bezüglich der Organisations-, Führungs- und Fehlerkultur.»
Das Gutachten habe hingegen keine direkten Schädigungen von Patientinnen und Patienten und keine Hinweise auf freiheitseinschränkende Massnahmen oder Behandlungen gegen den Willen von Patientinnen und Patienten gefunden, heisst es darüber hinaus im Communiqué der Privatklinik weiter.
«Für die Fehler bitten wir um Entschuldigung. Wir haben in den letzten Monaten grosse Anstrengungen unternommen, die Ereignisse lückenlos aufzuarbeiten und entsprechende Konsequenzen zu ziehen», erklärt die Klinik Littenheid weiter. Und sie verspricht, alles daransetzen, den Menschen, die Hilfe suchen, die bestmögliche evidenzbasierte Therapie anzubieten.
Neues Traumatherapie-Konzept
In Zusammenarbeit mit einer führenden Fachperson sei das Traumatherapie-Konzept überarbeitet und durch ein evidenzbasiertes Therapieverfahren ersetzt worden.
Auch seien die Qualitätssicherung der Diagnostik und die klinischen Prozesse verbessert worden. Das neue Traumatherapie-Konzept trenne Ausbildung, Zertifizierung und Supervision vollständig voneinander. Es werde sichergestellt, dass die Grundlagen aller Schulungen wissenschaftlich fundiert sind, schreibt die Clienia Littenheid AG weiter.
Neben der Überarbeitung des Traumatherapie-Konzeptes seien in der Klinik Littenheid auch neue Personen an Bord. Seit dem 1. April 2023 gibt es mit Dr. med. Rafael Traber einen neuen Ärztlichen Direktor, und auch der Pflegedirektor Daniel Mark steht seit Anfang 2022 für einen Neuanfang.
Kanton Thurgau wird Klinik Littenheid weiter überprüfen
Der Kanton Thurgau hat laut einer Mitteilung bei seiner Überprüfung Mitte Juli 2023 festgestellt, dass die Clienia Littenheid AG grosse Anstrengungen unternommen hat, personelle und konzeptuelle Konsequenzen aus den Missständen zu ziehen. Der Kanton schreibt aber auch, dass der durch die Untersuchung ausgelöste Prozess nicht abgeschlossen sei. Die Wirksamkeit dieser sowie weiterer geplanter Massnahmen könne noch nicht abschliessend beurteilt werden, da diese erst nach einer gewissen Zeit messbar seien.
Das Amt für Gesundheit werde deshalb die von der Klinik getroffenen Kontroll- und Qualitätssicherungsmassnahmen weiterhin begleitet. Auch intern wolle man die Wirksamkeit der Massnahmen fortlaufend überprüfen, teilt die Klinik Littenheid mit.
Das Amt für Gesundheit des Kantons Thurgau wird darüber hinaus in der zweiten Jahreshälfte 2024 oder im Jahr 2025 die Umsetzung der Massnahmen erneut überprüfen und eine Vor-Ort-Inspektion in der Klinik durchführen. Die Resultate werden in einem Abschlussbericht festgehalten, der anschliessend veröffentlicht wird.
Quelle:
SATANIC PANIC:
«Das Ausmass hat mich überrascht»: Das sagen der Thurgauer Gesundheitsdirektor und die Clienia zu Verschwörungserzählungen in Littenheid (Tagblatt, Abo)
Weiterer Bericht:
Thurgauer Arzt wurde Berufsausübung entzogen
Gravierende Fälle von Satanic Panic in der Psychiatrie (Blick)
Anmerkungen:
☛ Mag sein, dass der Gutachter keine direkten Schädigungen von Patientinnen und Patienten gefunden hat. Die Klinik Littenheid windet sich hier allerdings unschön heraus. Die Reportagen von SRF haben sehr deutlich gezeigt, wie gross das Schädigungspotenzial der «Satanic Panic» Verschwörungstheorien ist, die hier offenbar breitflächig zur Anwendung kamen.
☛ Das ein Missbrauch dieses Ausmasses in einer Psychiatrischen Klinik in der Schweiz möglich war, ist erschütternd und ein Skandal. Das Gutachten zeigt ein erschreckendes Ausmass der verschwörungstheoretisch eingefärbten Therapien. Der Kanton Thurgau scheint den Fall allerdings professionell anzugehen Und die Klinik Littenheid scheint den Ernst der Lage inzwischen erkannt zu haben.
☛ Weitere Informationen zur Verschwörungstheorie der «Satanic Panic» hier:
Satanismus / Satanic Panic als Verschwörungstheorie
Dort sind auch Links zu den Reportagen von SRF zu finden.