Migration ist ein komplexes und umstrittenes Thema. Viele Rechtsextreme und Rechtspopulisten reduzieren diese Komplexität, indem sie von einem geplanten und gesteuerten «Bevölkerungsaustausch» fabulieren. Das ist zwar eine absurde Verschwörungstheorie, die aber in manchen Kreisen gut ankommt, weil sie eine einfache Erklärung für das Phänomen liefert. Und sie wird von ihren Verbreitern intensiv politische bewirtschaftet, weil sie zur Emotionalisierung und Mobilisierung taugt.
Gemeint ist mit «Bevölkerungsaustausch» die Ersetzung der einheimischen Bevölkerung durch Fremde, durch Migranten. Rechtsextreme und Rechtspopulisten reden in diesem Zusammenhang auch vom «Grossen Austausch» oder von der «Umvolkung».
Gesteuert wird der «Bevölkerungsaustausch» von irgendwelchen Eliten oder direkt von George Soros, einem Lieblingsfeind der Rechten. Die entsprechende Verschwörungstheorie mit George Soros im Zentrum wurde vom ungarischen Premier Viktor Orban aus Gründen der politischen Demagogie in die Welt gesetzt und hat sich inzwischen weit verbreitet. Sehr unausgegoren bleibt dabei die Frage, was die Eliten von einem solchen geplanten «Bevölkerungsaustausch» denn hätten. Auch wird kaum thematisiert, dass «Eliten» in der Regel keine einheitlichen, sondern durchaus unterschiedliche Interessen haben. Zudem ist die Vorstellung, dass sich die mit Migration zusammenhängenden gesellschaftlichen, politischen und ökonomischen Einflüsse von einer Einzelperson oder einer kleinen verschworenen Gruppe steuern und kontrollieren lassen, sehr unrealistisch. Sie setzt ein ausgesprochen mechanistisches Welt- und Menschenbild voraus und widerspricht den modernen Erkenntnissen aus Psychologie, Soziologie und Politologie.
Migrationsforscher hält geplanten «Bevölkerungsaustausch» für abwegig
Der Migrationsforscher Jochen Oltmer hat sich in einem Interview für den NDR zur Verschwörungstheorie vom geplanten «Bevölkerungsaustausch» geäussert. Er hält die Vorstellung für abwegig. Im Panorama-Interview unterstreicht er, die Vorstellung vom „Bevölkerungsaustausch“ impliziere, Regierungen und Verwaltung seien in der Lage, „Migration hochgradig zu steuern, Menschen wie Spielfiguren hin und her zu schieben“. Doch das ist jedoch, so Oltmer, „überhaupt nicht der Fall“.
Vielmehr hätten politische Entscheidungen überhaupt nicht die beabsichtigten Effekte erbracht, erklärt der Wissenschaftler. Im Jahr 1973 sei zum Beispiel entschieden worden, die Anwerbeprogramme zu beenden, um Zuwanderung zu stoppen. Doch genau das Gegenteil sei geschehen. Migration sei historisch betrachtet der Normalfall, sagt Oltmer. Für einen tatsächlichen „Bevölkerungsaustausch“ bräuchte man zudem als wesentliche Voraussetzung, dass Staaten in massiver Art Gewalt gegen Menschen ausüben, „sie verschieben, in Lastwagen stecken, in Züge stecken und tatsächlich ganze Bevölkerungsgruppen von A nach B bringen.“
Forscher Oltmer unterstreicht zudem, es sei eine falsche Vorstellung, dass Menschen irgendwo hingingen und dort blieben. „Wenn man über so etwas wie Migration spricht, dann spricht man über Fluktuation, über Hin und Her. Ein großer Teil der Menschen, die in die Bundesrepublik kommen, kommen für einige wenige Monate, für einige wenige Jahre und kehren zurück oder wandern weiter.“
Die Vorstellung, man sei ein reines Einwanderungsland, in dem überhaupt keine Abwanderung stattfinde, bezeichnet Oltmer als „Unsinn“.
Quelle:
Verschwörungstheorie: Der große Austausch (NDR)
Ausserdem:
☛ Die Rede vom geplanten «Bevölkerungsaustausch» lenkt die Aufmerksamkeit zwecks politischer Instrumentalisierung in ein fantasiertes Konstrukt. Das trägt nicht zur Lösung von Migrationsproblemen bei und behindert sie eher. Rechtspopulisten und Rechtsextreme sind aber auch kaum an der Lösung realer Migrationsprobleme interessiert. Schliesslich ziehen sie aus angeblichen oder realen Migrationsproblemen ihre Mobilisierungskraft.
☛ Die Rede vom geplanten «Bevölkerungsaustausch» transportiert ein erhebliches Gewaltpotenzial. Es handelt sich dabei um eine der gefährlichsten Verschwörungsideologien von Rechtsextremen und Rechtspopulisten. Der angebliche «Bevölkerungsaustausch» wurde als Rechtfertigungsversuch für eine Reihe von Attentaten verwendet (z. B. El Paso, Christchurch, Kassel, Halle).
Siehe dazu auch:
Verschwörungstheorien als Katalysatoren von Gewalt
☛ Ein angeblicher geplanter «Bevölkerungsaustausch» findet sich auch im Kalergi-Plan (Coudenhove-Kalergi-Verschwörung).