Die rechtsextreme Verschwörungstheorie vom «Bevölkerungsaustausch» ist insbesondere in den USA populär. Trotz ihrer Absurdität, erfreut sie sich auch bei uns wachsender Beliebtheit – bis in die SVP hinein.
Sie spielte zum Beispiel eine Rolle bei der Unite-the-Right-Demonstration in Charlottesville. Bei diesem rechtsextremen Aufmarsch war eine junge Frau von einem Neonazi überfahren und getötet worden.
«Ihr werdet uns nicht ersetzen!», skandierten die Nazis in Charlottesville. Sie riefen diesen Satz, weil sie der Verschwörungstheorie vom «Bevölkerungsaustausch» (The Great Replacement) anhängen. Dabei handelt es sich um die fixe Vorstellung, dass die politische Elite (wahlweise auch «die Juden», «die Globalisten» oder im Fall der USA «die Demokraten») danach strebt, die weisse Bevölkerung durch nicht-weisse Einwanderer zu ersetzen. Philipp Loser schreibt dazu im «Magazin» des Tages-Anzeigers:
«Es ist die ausfabulierte Urangst des weissen Mannes. Die offensichtlich abstruse Vorstellung erhält in den USA seit einigen Jahren immer mehr Raum. In der Berichterstattung von «Fox News» über die Migration an der südlichen Grenze, in den rassistischen Ausfällen von Donald Trump oder aktuell in den Sendungen des «Fox»-Aushängeschildes Tucker Carlson, der die Mär vom «Great Replacement» seinem Millionenpublikum präsentiert.
Die USA werden diverser, viele weisse Konservative fürchten sich vor dem Machtverlust – und flüchten sich in die rassistische Theorie des ‘Grossen Austauschs’».
Die Angstfantasie vom «Bevölkerungsaustausch» stammt aus Frankreich
Auch Europa ist nicht vor dieser irren Idee gefeit, die ihren Ursprung in Frankreich hat. Ein rechtsnationaler Schriftsteller behauptete im Jahr 2010, die «technokratischen Eliten» würden gezielt Einwanderer nach Frankreich holen, um die einheimische Bevölkerung zu verdrängen (weshalb das Unsinn ist, steht am Schluss dieses Artikels).
Seither wurde die Verschwörungstheorie immer sichtbarer und tauchte auch in der Schweiz auf. Philipp Loser schreibt dazu:
«Sie stand in grossen Buchstaben auf einem Plakat bei der Demonstration der Corona-Gegner in Wien. Ein Jung-SVPler und Vorstandsmitglied von Mass-Voll verbreitet sie in den sozialen Medien, ein ehemaliger Nationalrat der Volkspartei tat das ebenso.»
Dass einem die absurde Idee öfter begegnet, dass sie sich offenbar auf den Weg hinaus aus den ganz rechten Kreisen befindet, sei der gegenwärtigen Krise geschuldet, schreibt Loser. Er zitiert dazu den österreichischen Historiker Claus Oberhauser mit den Worten:
«Die damit verbundene Sinnsuche, die empfundene Machtlosigkeit und die Suche nach Identität können dazu führen, dass Verschwörungstheorien als ‹plausible› Erklärungen für Ereignisse, Entwicklungen oder Zustände angesehen werden.»
Der «Grosse Austausch» oder «Bevölkerungsaustausch» ist dabei nur eine Verschwörungstheorie unter vielen, denn schwierige Zeiten brauchen einfache Erklärungen.
Philipp Loser schreibt:
«Aktuelle Studien gehen davon aus, dass mehr als ein Drittel der Schweizerinnen und Schweizer einen Hang zu Verschwörungstheorien haben. Im internationalen Vergleich ist das nicht besonders viel, aber trotzdem bedenkenswert; denn wie eine weitere Studie vermuten lässt, wirkt die Pandemie ausgerechnet bei jenen Leuten radikalisierend, die bereits an Verschwörungen glauben.
Darum reicht es nicht, sich über die Spinner lustig zu machen, die an Eidechsenmenschen oder den «Grossen Austausch» glauben. Man muss ihnen und ihren irren Theorien entgegentreten, ganz ernsthaft.»
Quelle:
Verschwörungstheorien in der Pandemie: Irre Ideen mit steigenden Fallzahlen
(Das Magazin, Abo)
Ausserdem:
Die Verschwörungstheorie von «Bevölkerungsaustausch» ist Unsinn, weil sie von einem unrealistischen, mechanischen Welt- und Menschenbild ausgeht. Die Vorstellung, dass sich komplexe Migrationsvorgänge durch eine Einzelperson oder eine Gruppe geplant, im Griff gehalten und plangemäss umgesetzt werden können, widerspricht den Erkenntnissen moderner Sozialwissenschaften. Siehe dazu:
Mechanistisches Weltbild der Verschwörungstheoretiker
Als Strippenzieher der globalen Migration fungiert bei Rechtsextreme und Rechtspopulisten oft ihr Lieblings-Feindbild, der jüdische US-Investor George Soros. Damit bekommt die Verschwörungstheorie vom «Bevölkerungsaustausch» eine antisemitische Komponente.
Philipp Loser zitiert in seinem Artikel den italienischen Schriftsteller, Philosoph und Medienwissenschaftler Umberto Eco mit den treffenden Worten:
«Jede Verschwörungstheorie richtet die öffentliche Fantasie auf inexistente Gefahren und lenkt sie von den echten Bedrohungen ab.»
In Bezug auf die Verschwörungstheorie vom «Bevölkerungsaustausch» ist dieser Satz sehr bedeutsam: Die globale Migration bringt viele Probleme mit sich. Um dafür Lösungen zu finden, muss man sich mit den komplexen ökonomischen, politischen und ökologischen Ursachen auseinandersetzen. Wer stattdessen von George Soros als grossem Strippenzieher fantasiert, ist auf dem Holzweg und lenkt von Lösungen ab. Aber um Lösungen geht es den Rechtsextremen und Rechtspopulisten ja auch nicht. Sie bewirtschaften Migrationskrisen zwecks Mobilisierung.