Verschwörungstheorien verbreiten sich gerade stark, insbesondere via Internet und sogenannte soziale Medien wie Facebook, YouTube, Twitter, Telegram, WhatsApp etc. In diesem Zusammenhang stellt sich deshalb zunehmend die Frage, wie im Unterricht mit Verschwörungstheorien umgegangen werden kann.
Mit diesem Thema hat sich Prof. Dr. Johannes Drerup auf dem Portal psychologie.ch befasst. Er ist Professor für Allgemeine Erziehung mit Schwerpunkt Bildungstheorie an der technischen Universität Dortmund. Unter anderem unterrichtet und forscht er dort über die Philosophie der Erziehung, die Philosophie der Kindheit und über die pädagogische Ethik.
Zum Umgang mit Verschwörungstheorien im Unterricht gibt es laut Drerup aus pädagogischer Sicht kein Patentrezept. Einige nützliche Hinweise gibt er in seinem Beitrag jedoch schon.
Hier daraus die wichtigsten Punkte für den Unterricht:
☛ Wenn entsprechende Denkmuster mit eindeutig intoleranten Äußerungen einhergehen, kann es geboten sein, klare Kante zu zeigen und auch zum Schutze Dritter pädagogisch zu intervenieren. Es geht dann darum, die Grenzen der politischen Toleranz aufzuzeigen.
☛ In der Regel wird es aber gleichzeitig pädagogisch geboten sein, trotz Grenzüberschreitungen im Dialog zu bleiben. Der Versuch, rational aufzuklären, kann jedoch auf Grund von entsprechenden Selbstimmunisierungstendenzen auf Grenzen stoßen. Er kann sogar zum gegenteiligen Effekt führen, weil Verschwörungstheoretiker_innen sich durch die Kritik oftmals in ihrer Auffassung bestärkt fühlen (sog. `Backfire Effekt´).
☛ Man kann darüber hinaus versuchen, im Unterricht über die Mechanismen, Eigenheiten und Motive verschwörungstheoretischen Denkens aufzuklären (beispielsweise Ängste vor Kontrollverlust) und die Strickmuster der Verschwörungstheorien zu rekonstruieren (Wie baue ich eine Verschwörungstheorie?).
☛ Als weitere Option führt Drerup auf, alternative Perspektiven und optimistischere Alternativerzählungen gegen die oftmals düsteren und angstbeladenen verschwörungstheoretischen Gesellschafts- und Weltbilder vorbringen.
Zwar gebe es wie in pädagogischen Kontexten generell auch hier keine Erfolgsgarantien.
Für Drerup steht aber dennoch «außer Frage, dass es trotz aller berechtigten Skepsis gegenüber allzu optimistischen pädagogischen Erwartungen vor allem individuelle und kollektive Bildungs- und Lernprozesse sind, von denen man begründeter Weise hoffen kann, dass sie längerfristig zu einer Rationalisierung politischer Debatten beitragen.»
Warum sind Verschwörungstheorien ein politisches und pädagogisches Problem?
Auf die Frage, weshalb Verschwörungstheorien im Unterricht thematisiert werden sollten, gibt es sowohl bildungspolitische als auch gesellschaftspolitische Antworten.
Bildungspolitisch weist Drerup darauf hin, dass öffentliche Bildungsinstitutionen die Aufgabe haben, zur Schaffung der kulturellen und politischen Voraussetzungen einer kritischen und nicht bloß rezeptiven demokratischen (digitalen) Öffentlichkeit beizutragen. Dazu gehört auch, dass Verschwörungstheorien im Unterricht kritisch diskutiert werden können und sollen. Wobei Drerup einschränkt: «zumindest dann, wenn sie nicht völlig jenseits des rational Diskutablen angesiedelt sind bzw. nicht offensichtlich Ausdruck illiberaler und intoleranter Ideologien sind.»
Zur gesellschaftspolitischen Relevanz von Verschwörungstheorien auch für den Unterricht führt Drerup vier Punkte an:
☛ Die Bereitschaft, Verschwörungstheorien zu übernehmen, korreliert mit politischem Extremismus von links und rechts, sowie auch mit Populismus (Elitenkritik etc.).
☛ Die Bereitschaft, Verschwörungstheorien zu übernehmen, kann auch als `Radikalisierungsmultiplikator´ wirken.
☛ Verschwörungstheorien werden in zahlreichen Fällen genutzt zur Diskriminierung und Dämonisierung bestimmter Gruppen sowie zur Rechtfertigung von Intoleranz und Gewalt.
☛ Verschwörungstheorien unterminieren rationale demokratische Debatten, fördern politische Polarisierung und politisches Misstrauen auch gegenüber den Institutionen liberaler Demokratien.
Quelle:
Irrational, ungebildet und pathologisch?
Verschwörungstheorien als Herausforderungen politischer Bildung (philosophie.ch)
Anmerkungen:
Weitere Texte zum Umgang mit Verschwörungstheorien im Unterricht:
Medienkompetenz für die Schule: Verschwörungstheorien
Verschwörungstheorien & Jugendliche – was Lehrpersonen und Eltern tun können
Warum sind Verschwörungstheorien eine Gefahr für demokratische Gesellschaften? Mehr dazu hier:
Warum sind Verschwörungstheorien eine Gefahr für demokratische Gesellschaften?
Umschlagplatz Nummer 1 für Verschwörungstheorien ist YouTube. Weil diese Video-Plattform gerade auch bei Jugendlichen beliebt ist, gehört dieses Thema im Rahmen der Medienbildung in den Unterricht:
YouTube als Propagandakanal für Verschwörungstheorien