Fragen haben eine wichtige Funktion und können zu neuen Erkenntnissen führen.
Doch wenn Verschwörungsgläubige Fragen stellen, geht es ihnen in der Regel nicht um Erkenntnis. Sie glauben die Antwort auf die Frage schon zu kennen und unterstellen sie mit ihrer Frage. Sie stellen die Fragen nicht offen.
Kritisch beschreibt der Psychoanalytiker Aron Ronald Bodenheimer diesen Gebrauch des Fragens:
«Wer fragt, lügt nicht.
Einverstanden; daraus liesse sich ein einziger grosser Lobgesang ans Fragen entwickeln: Vermeide die Lüge durch die Frage.
Gälte nicht jener andere Satz als notwendige Ergänzung zu der einleitenden These: Wer fragt, sagt nicht die Wahrheit. Wer fragt, stellt sich jenseits von Wahrheit und Lüge.
Fragen umgeht beides gleicherweise – es überwindet nicht, es umgeht….
Die Fragenden sind drunten-draussen, nicht zu belangen und nie zu behaften: Das ist ihre Seligkeit. Selbst unsichtbar, sehen sie alles und machen es um sich herum tanzen, und wenn Ruhe einzukehren droht – es gibt ein sicheres Mittel, um diesen Zustand aufzuheben oder gar nicht erst an sich herankommen zu lassen: Man fragt. Niemals und Nirgendwo wird man von dem Fragenden die Antwort verlangen oder nur erwarten – keineswegs: Er hat ja gefragt; das Antworten ist Sache der anderen.
Die Fragenden fragen, um von sich fernzuhalten: die Befragten (Personen) gleichwie das zu Erfragende (Wissen, Kennen, Bekennen). Sie bringen es auf diese Weise dahin, dass sie nie irren, auch nie irrewerdenin ihrer Gewissheit, der Grundvoraussetzung aller Seligkeit, der säkularen wie der jenseitigen.
Die Risikolosigkeit des Fragens macht sich niemandem sichtbar. Sollte je versucht werden, es bei dieser Arroganz zu behaften, das Fragen würde alsbald mit einer Frage abzuwehren wissen:
WAS SOLLTE BÖSE SEIN AN DIESER FRAGE?
Der Frager wird nie das Risiko der Sprachlosigkeit auf sich nehmen müssen. Auch nicht die Gefahr des Fallens ins Leere, noch des Eingeständnisses, falsch gegangen zu sein. Er wird auch nicht dem ‘Aha’ unterliegen, vielmehr gewiss sein, er kann alles quittieren mit ‘mhm’ (bitte den Tonfall dieses Unwortes ‘mhm’ mitvollziehen – den Tonfall einer Melodie bei geschlossenem Mund!)…..
Was auch sein wird, der Fragende hat immer recht….
Fragen hat es an sich, dass es den Frager niemals müde werden lässt. Man kann das Blaue vom Himmel herabfragen, nie wird man sich daran erschöpfen, man wird immer frischer davon – die Befragten dagegen resignieren bald einmal, und dann lassen sie schon alles mit sich geschehen. Und dies alles durchaus ohne sichtbare Gewaltanwendung – einzig durch die Vergewaltigung, die im Fragen implizit steckt. Nicht dass Fragen zur Hirnwäsche führt – es ist sie schon, und darin liegt ihr Geheimnis.»
Quelle:
«Warum? Von der Obszönität des Fragens», von Aron Ronald Bodenheimer,
Reclam 1985
Ergänzungen zum Thema „Fragen-stellen“:
☛ Aron Ronald Bodenheimer (1923 – 2011) war ziemlich radikal in seiner Hinterfragung des Fragens. Aber er spricht dabei wichtige Aspekte an. Auch in Bezug auf die Technik des «Nur Fragen-stellen» von Verschwörungsgläubigen.
☛ «Ich stelle nur Fragen…» – Auf solche Aussagen ziehen sich Exponenten im Kontext von Verschwörungstheorien nicht gerade selten zurück. Ein Beispiel ist Daniele Ganser.
☛ Siehe auch den Beitrag in der Enzklopädie: Fragen stellen als Strategie
☛ Siehe auch den Info-Beitrag: Warnung vor scheinheiligen Fragen der Verschwörungstheoretiker