Das Online-Magazin «Republik» hat eine grosse Serie gestartet zum Thema «Verschwörungstheorien». Im ersten Beitrag nehmen die Autoren eine Rede des Satirikers Andreas Thiel auseinander und zeigen die Widersprüche darin sehr schön auf.
Thiel setzt die Schweiz wegen der Maskenpflicht mit der DDR gleich und findet, die Maskenpflicht sei «Ausdruck eines totalitären Systems».
Laut dem Bericht der «Republik» sagt Andreas Thiel, wenn er sich heute in der Schweiz umschaue, dann glaube er gar nicht, dass die Stasi irgendwelche Leute habe erpressen müssen, damit diese für sie arbeiteten, die Leute hätten andere ganz einfach freiwillig denunziert. Dann spricht er jedoch von «gesellschaftlichen Zersetzungsmassnahmen», die von der Stasi gegen Andersdenkende eingesetzt wurden. Genau diese Zersetzungsmassnahmen waren aber Teil des Erpressungspotenzials der Stasi, ein Widerspruch, der Thiel offenbar nicht auffällt.
Auf die Zersetzungsmassnahmen der Stasi kommt Andreas Thiel zu sprechen, um sie mit abweichenden Meinungen zur Corona-Politik gleichzusetzen und damit eine bei uns angeblich fehlende Meinungsfreiheit zu unterstellen. Das sagt er auf einer ordentlich bewilligten Demonstration gegen die Corona-Politik, ohne dass er deswegen im Gefängnis gelandet wäre…
Diese Opferinszenierung gipfelt in der Klage, wer sich gegen Corona äussere, werde gleich als Rechtsextremer verunglimpft. Vielleicht hat er da auch einfach etwas verpasst: Es haben sich jedenfalls unzählige Menschen gegen Corona-Massnahmen geäussert, ohne dass sie deswegen als rechtsextrem bezeichnet worden sind. Zum Beispiel Casimir Platzer, der Präsident von Gastrosuisse:
«Die neue Sperrstunde ab 19 Uhr bedeute für die Gastro-Branche ein «Tod auf Raten». Der Branchenverband Gastrosuisse geht darum mit dem Bundesrat hart ins Gericht – und will deutlich mehr Entschädigungen.» (Quelle: bluewin.ch). Niemand hat Herrn Platzer deswegen als Rechtsextremen bezeichnet. Gerade verlässlich sind die Aussagen von Andreas Thiel also nicht.
Laut Bericht der «Republik» sagt Thiel auch, er wisse nicht, was Alain Berset für eine politische Bildung habe, aber seine Politik erinnere ihn an das «Stasi-Handbuch». Das ist nicht nur Polemik und Diffamierung, es unterschlägt auch, dass die Politik von Alain Berset demokratisch und gesetzlich abgestützt ist.
Die Stasi-Rhetorik des Andreas Thiel im Realitätscheck
Die Journalisten der «Republik» sind nach Berlin-Hohenschönhausen gereist und haben in der Stasi-Gedenkstätte die Aussagen von Andreas Thiel einem 75jährigen Ostberliner vorgelegt, der als Punk die damalige DDR erlebt hat. Dieser Gilbert Furian war damals ein echter Punk, der etwas dafür riskiert hat und im Stasi-Gefängnis sass, nicht ein mit Irokesenschnitt inszenierter Punk wie Thiel.
Zitat Republik:
«Wir lesen Gilbert Furian Andreas Thiels Rede vor…. Die Rede am Turbinenplatz, wo Thiel sagt, die Schweiz sei heute ein DDR-Spitzelstaat. Eine Diktatur, in der man nicht mehr frei sprechen dürfe, und dass die Maskenpflicht die Menschen in Informelle Mitarbeiter der DDR-Staatssicherheit verwandle und dass der Schweizer Bundesrat agiere wie die Führung der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands.»
Antwort von Gilbert Furian:
«Es werden hier zwei völlig voneinander verschiedene Welten miteinander vermischt. Das eine ist eine weltweite Bedrohung durch eine Krankheit. Das andere war eine stalinistische Geheimpolizei. Ich sehe da beim besten Willen – ich kann mich anstrengen, wie ich will – keinerlei Vergleichsmöglichkeiten.»
Er könne verstehen, dass es Leute gebe, die sich durch das Tragen von Masken gegängelt fühlen. Aber mit dem, was er in der DDR erlebt habe, habe das nicht das Mindeste zu tun:
«Das läuft ja alles rechtsstaatlich ab. Man kann sich vielleicht fragen: War diese Massnahme nötig? Ist das wirklich erforderlich? Darüber kann man debattieren. Darüber kann man auch Witze machen. Aber den ernsthaften Vergleich zu ziehen mit einer DDR-Geheimpolizei, das ist albern. Die Frage, ob man eine Maske tragen muss oder nicht, hat schon deswegen nichts mit der DDR zu tun, weil es nicht um eine politische Einstellung geht, nicht um die Frage geht, ob jemand seine Meinung frei äussern darf oder nicht, ob er das Land nur mit Genehmigung des Staates verlassen darf oder nicht, ob er die Bücher lesen darf, die er will. Sondern es ist eine vom Staat verordnete medizinische Schutzmassnahme, die für alle gilt. Deshalb ist der Vergleich intellektuell so weit unter der Gürtellinie, dass es sich eigentlich nicht lohnt, zu debattieren.»
Gilbert Furian sagt auch, dass er es unbedingt für notwendig hält, Leute wie Andreas Thiel zu kontern:
«Leute wie Herr Thiel dürfen nicht unwidersprochen bleiben. Ich erlebe es öfter, dass die Leute heute sagen: ‹Ich darf ja meine Meinung gar nicht mehr sagen.› Da sage ich immer: ‹Du hast doch deine Meinung gerade gesagt. Aber du musst halt mit Gegenwind rechnen, wenn du derartige Vergleiche ziehst!› Diese Leute wissen gar nicht, was es heisst, wenn man seine Meinung nicht mehr sagen darf.»
Quelle:
Willkommen im Fledermausland (Online-Magazin Republik)
Die «Republik» publiziert eine mehrteilige Serie über Verschwörungstheorien. Übersicht hier:
Verschwörungsglaube – woher er kommt, wie er wirkt, was er anrichtet
Anmerkungen:
☛ Die Gegenüberstellung mit einem echten DDR-Oppositionellen entlarvt die Stasi-Rhetorik des Andreas Thiel als leeres Gerede.
☛ Wenn Andreas Thiel Corona-Einschränkungen wie die Maskentragpflicht mit Stasi-Massnahmen auf die gleiche Ebene stellt, ist das eine unakzeptable Relativierung und Verharmlosung der Stasi. Damit werden Stasi-Opfer verhöhnt.
☛ Verschwörungstheoretiker finden ihre Feindbilder oft nach der vereinfachten Formel «Cui bono?» (Wem nützt es?). Manchmal ist es angebracht, die Formel auf die Verschwörungstheoretiker selbst anzuwenden. Wem nützt die Verbreitung dieser Unterstellungen, Konstrukte etc. Hier könnte man deshalb fragen, was hat Andreas Thiel von der Verbreitung solcher Unterstellungen und Verschwörungstheorien? Aufmerksamkeit durch Provokation bestimmt, doch Verschwörungstheorien bieten darüber hinaus oft auch ein Gefühl der Einzigartigkeit und eine gewisse Selbstaufwertung. Für einen Exzentriker wie Andreas Thiel ist das insgesamt nicht wenig.