Die Frage, ob man sich gegen Corona impfen soll oder nicht, zerstört Ehen, entzweit Familien und untergräbt Freundschaften. Dabei spielen Verschwörungstheorien oft eine zentrale Rolle, weil sie zur Radikalisierung von Standpunkten beitragen. Mit der Frage, was der Streit ums Impfen mit Beziehungen macht, befasst sich ein Beitrag von Sandro Benini im Tages-Anzeiger.
Portraitiert wird unter anderem ein Mann, der seine Frau an Corona-Verschwörungstheorien verloren hat. Dabei fällt die rasche Radikalisierung auf.
Seine Frau habe der Schulmedizin schon immer misstraut, schildert der Mann. Die habe jedoch nie zu schweren Konflikten geführt, weil aus seiner Familie niemand je ernsthaft erkrankt sei:
«Als es möglich wurde, sich gegen Covid impfen zu lassen, hat sie sich binnen kurzer Zeit radikalisiert. Manchmal wachte ich nachts auf, die Betthälfte neben mir war leer, und sie sass lesend in der Küche vor dem Laptop.»
Was er sah, wenn er seiner Frau über die Schultern blickte, liess ihn erstarren. Die Covid-Impfung als grosses Menschenexperiment, als gezielte Ermordung von Millionen Unschuldiger. Die Schweiz als Diktatur, schlimmer als jene der Nazis. Es sei unmöglich, seine Frau mit einem rationalen Argument noch zu erreichen.
Als Impfbefürworter sei er in den Augen seiner Frau nicht jemand, der eine andere, aber legitime Haltung vertrete, sondern ein Dummkopf. Jemand, der wegen einer nutzlosen Impfung sein Leben aufs Spiel setze und es in Kauf nehme, sie mit zwei kleinen Kindern allein zurückzulassen. Einer, der wissentlich an einem gigantischen globalen Verbrechen mitwirke.
Schliesslich sagt der Mann: «Als ich mich impfen liess, sagte sie, sie werde nie mehr Sex mit mir haben. Mit dem Impfstoff im Körper würde ich sie kontaminieren.»
Diese Geschichte ist nicht nur ein Beispiel dafür, wie zerstörerisch Verschwörungstheorien sich auf Beziehungen auswirken können. Sie zeigt auch, wie weit man sich von aller Realität entfernen kann im Kaninchenbau der Verschwörungstheorien.
Tipps zum Umgang mit Verschwörungstheorien in Beziehungen
Im Artikel des «Tages-Anzeigers» gibt der Psychotherapeut Paul Vogel Tipps für Familien, die über die Impfung streiten:
Erstens:
«Den Konflikt ernst nehmen und früh ansprechen, statt ihn schwelen zu lassen.»
Zweitens:
«Weniger über Fakten, über richtig oder falsch debattieren. ‘Ob eine Impfung gefährlich ist oder nicht, sollte nicht im Zentrum stehen.’ Sondern Gefühle, Ängste, emotionale Bedürfnisse, Wünsche der Partnerin oder des Partners. Man solle sie ernst nehmen, auch wenn sie schwer nachvollziehbar seien. Gefühle, sagt Vogel, seien nicht richtig oder falsch, deshalb falle es leichter, sich über Gefühle zu verständigen als über Fakten.»
Drittens:
«Prüfen, ob man darauf verzichten kann, den andern zu überzeugen. Ob man sich zur Haltung durchringen kann: ‘Das ist die Frau oder der Mann, die oder den ich liebe. Uns verbindet mehr, als uns trennt. Ein Konflikt um eine Impfung ist es mir nicht wert, sie oder ihn zu verlieren.’ Sich bewusst werden, dass man mit dem Feuer spielt. Kompromisse eingehen.»
Vogel betont jedoch auch, das funktioniere nur bei milderen Streitigkeiten. Bei extremeren Ansichten komme man unter Umständen nicht darum herum, ein Worst-Case-Szenario zu besprechen: Das würde dann heissen zu klären, wie man wenigstens zivilisiert auseinandergehen könne. Beispielsweise dann, wenn jemand den Partner, die Partnerin oder ein Familienmitglied für einen Verbrecher im Dienste der Pharmamafia oder der Corona-Diktatur hält.
Paul Vogel stellt deshalb fest: «Ja, Beziehungen können auch an Corona scheitern. Und Familien können auseinanderbrechen.»
Quelle:
«Unmöglich, sie mit einem rationalen Argument zu erreichen» (Tages-Anzeiger, Abo)
Ausserdem:
Verschwörungstheorien sind oft Gift für Beziehungen, jedenfalls wenn nur eine Person sich im Kaninchenbau verlaufen hat du es dadurch zu Konflikten kommt. Dabei sind natürlich die verschiedensten Arten von Beziehungen betroffen. Siehe dazu auch:
Was tun, wenn Familienmitglieder in Verschwörungstheorien versinken?
Verschwörungstheorien in der Familie – vier Tipps
Verschwörungstheorien & Jugendliche – was Lehrpersonen und Eltern tun können