Die Philosophin Prof. Monika Betzler von der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU) analysierte in einem Vortrag, was Verschwörungstheorien so gefährlich macht und gab dazu ein Interview. Hier daraus ein paar Kernaussagen:
☛ Sie bieten einfache Antworten auf komplexe, schwer durchschaubare und abstrakte Phänomene. Sie tragen dadurch vermeintlich dazu bei, mehr Sicherheit zu gewinnen. Darüber hinaus fördern sie die Gruppenidentität und das Gemeinschaftsgefühl. Das kann sie für Gruppen mit sehr verschiedenen Weltanschauungen attraktiv machen.
☛ Hinter ihnen stecken verschiedene Interessen. Zu unterscheiden ist zwischen den Interessen derjenigen, die Verschwörungstheorien in die Welt setzen, und den Interessen derjenigen, die an sie glauben. Bei denen, die Verschwörungstheorien in Welt setzen geht es darum, komplexe demokratische Systeme zu schwächen und eigene Machtinteressen zu befördern. Bei denen, die an sie glauben geht es insbesondere darum, Kontrolle zu erlangen in Zeiten, in denen besondere Unsicherheit herrscht.
☛ Sie fördern ein klares Feindbild und beschleunigen Radikalisierungsprozesse. Sie lassen ihre Anhänger in dem Glauben, zu einer auserwählten Gruppe zu gehören, die die „Wahrheit“ besitzt.
Verschwörungstheorien sind selbst-isolierend
☛ Der Glaube an Verschwörungstheorien ist „selbst-isolierend“: Werden Gegengründe oder Beweise gegen die vermeintliche Verschwörung aufgeführt, bestätigt das den Anhängern zufolge nur die Verschwörungsthese. Dadurch brauchen sie Gegen-Gründe und Gegen-Beweise nicht ernst zu nehmen. So zimmern sich Anhänger von Verschwörungstheorien in ihrem Weltbild fest und werden immun gegenüber guten Gründen. Das begünstigt Radikalisierungen.
☛ Was kann die Wissenschaft tun, um Verschwörungstheorien entgegen zu wirken? Sie lassen sich zwar entlarven, doch wird dies bei denjenigen, die bereits an sie glauben, nichts nützen. Wir können jedoch diejenigen erreichen, die noch keine Verschwörungstheoretiker sind. Wir können beispielsweise über die Mechanismen und Denkfehler der Verschwörungstheorien aufklären. Da viele Verschwörungsmythen über soziale Medien verbreitet werden, können wir versuchen, Medienkompetenz und die Kontrolle von sozialen Medien zu erhöhen. Ausserdem sollte die Wissenschaftskommunikation verbessern werden. Das Bedürfnis der Bürger und Bürgerinnen nach mehr Kontrolle sollte sehr ernst genommen. Verfahrensgerechte politische Entscheidungen sollten mit großer Klarheit und Konsequenz getroffen werden.
☛ Wegen der Selbstimmunisierung der Verschwörungstheorien gegen Argumente ist es möglicherweise erfolgsversprechender, den moralischen und gesellschaftlichen Schaden zu betonen, den sie anrichten. Prof. Betzler betont: „Das Problem ist, dass Verschwörungsmythen anderen Menschen schaden. Wir sollten Verschwörungstheorien sehr ernst nehmen, denn sie bedrohen die Demokratie. Sie sind nachweislich Katalysatoren für Polarisierung und Gewalt und unterwandern das Vertrauen in Politik und Wissenschaft.“
Die Philosophin fordert dazu auf, klar zu benennen, welche Auswirkungen Verschwörungsmythen auf unsere Werte haben und die Eigeninteressen derjenigen zu entlarven, die sie verbreiten. Sie hält dabei auch rechtliche Schritte unter Umständen für gerechtfertigt: „Wir sollten Hassreden, Verleumdungen und diskriminierende Äußerungen verbieten, insbesondere wenn sie mit Verschwörungsdenken einhergehen.“
Prof. Dr. Monika Betzler leitet das Münchner Kolleg „Ethik in der Praxis“ sowie den Executive Master-Studiengang „Philosophie-Politik-Wirtschaft“ (PPW). Sie ist Prodekanin der Fakultät für Philosophie, Wissenschaftstheorie und Religionswissenschaft und Inhaberin des Lehrstuhls V für Praktische Philosophie und Ethik.
Quellen:
LMU-Philosophin sieht in Verschwörungstheorien eine Gefahr für die Demokratie (ots)
„Fake News“ und Verschwörungstheorien (Universität München)
Anmerkungen:
☛ Interessant ist die Empfehlung, den moralischen und gesellschaftlichen Schaden zu betonen, den Verschwörungstheorien anrichten. Dazu gehört auch, dass sie Demokratie und Rechtsstaat schädigen. Siehe dazu:
Warum sind Verschwörungstheorien eine Gefahr für demokratische Gesellschaften?
Verschwörungstheorien unterminieren den Rechtsstaat
☛ Neben Medienkompetenz ist zur Vorbeugung gegen Verschwörungsdenken auch Geschichtskompetenz nötig.