Religionsvertreter warnen vor gefährlichen Entwicklungen rund um Verschwörungstheorien. Verschwörungsmythen wirken wie Drogen. Ihre Konsumenten wollen immer mehr davon haben, und es muss immer härter werden. Das sagte der Vizepräsident des Jüdischen Weltkongresses, Maram Stern, in einem Beitrag für den in Berlin erscheinenden Hintergrunddienst „Der Hauptstadtbrief“. In unruhigen Zeiten werde deutlich, wie gefährlich diese Entwicklung sein könne, erklärte Stern.
Als Beispiel nennt er den Sturm auf das Kapitol in Washington zu Beginn des Jahres. Unter den daran Beteiligten waren zahlreiche Anhänger der QAnon-Verschwörungsideologie. Diese Gruppe sei eine wahre Dreckschleuder an Unfug, Lügen und Hass. Das Phänomen sei jedoch auch in Deutschland bekannt. Auch in Deutschland gebe es mit der AfD eine politische Kraft, deren Geschäftsmodell wesentlich auf Hass, Lügen und Aufwiegelung beruhe.
Instrumentalisierung des Holocaust als „Inbegriff von Empathielosigkeit“
Der WJC-Vize Maram Stern verurteilte darüber hinaus die Instrumentalisierung des Holocaust durch Corona-Leugner. Im Herbst hatten Vorfälle bundesweit für Aufsehen gesorgt, bei denen auf Kundgebungen die Corona-Maßnahmen in Bezug zum Schicksal von Anne Frank oder Sophie Scholl gesetzt worden waren. Sophie Scholl wurde wegen ihres Widerstandes gegen den Nationalsozialismus hingerichtet, Anne Frank versteckte sich vor den Nationalsozialisten und kam später im Konzentrationslager Bergen-Belsen ums Leben. Auch sind auf den Kundgebungen immer wieder Judensterne zu sehen – für Maram Stern ist das „der Inbegriff von Empathielosigkeit, Verblendung und Zynismus“.
Das Überschreiten aller roten Linien gehöre dabei zum Konzept. Diesen Leuten sei nichts heilig. Deshalb seien zivilgesellschaftliche Antworten nötig wie die Kampagne #WeRemember, die der WJC zum Internationalen Holocaust-Gedenktag ins Leben gerufen hat. Die Politik dürfe nicht tatenlos bleiben, mahnt Maram Stern: Wenn Menschen zum Beispiel Hakenkreuz-Tattoos präsentierten, dürfe man dies „nicht als Kleinkram abtun, der den bürokratischen Aufwand nicht lohnt. Denn genau darauf spekulieren Hetzer, dass sie Stück für Stück kleine Freiräume für sich etablieren.“
Stern ergänzte, dass das diesjährige Holocaust-Gedenken durch die Corona-Pandemie erschwert werde, weil persönliche Begegnungen mit den wenigen verbleibenden Überlebenden nun nicht möglich seien. Digitale Formen seien kein Ersatz für „die Eindringlichkeit und Nähe eines persönlichen Eindrucks“.
Margot Käßmann: „Die heute Jungen stumpfen ab“
Ebenfalls besorgt zeigte sich die evangelische Theologin Margot Käßmann. In der «Bild am Sonntag» schreibt die ehemalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD): „Die heute Jungen stumpfen ab“. Als Beispiel erwähnt sie das Verhalten mancher Besucher in Gedenkstätten: Der Leiter der Gedenkstätte Buchenwald, Jens-Christian Wagner, hatte vor Kurzem von Wintersportlern in unmittelbarer Nähe von Mahnmal und Massengräbern berichtet. Die Theologin stellt dazu die Frage, ob diese Leute keinen Respekt und keinen Anstand haben.
Dass Verschwörungstheoretiker den Juden die Schuld an der Corona-Pandemie geben wollten, sei „beschämend“, schreibt Käßmann. Sie betont, dass jeder Einzelne gefragt sei, antisemitischen Äusserungen zu widersprechen.
Quelle:
Religionsvertreter warnen vor Verschwörungstheorien: Gefährliche Entwicklung (Domradio)
Siehe auch:
Antisemitismus und Verschwörungstheorien
(zur Geschichte von Antisemitismus in Verbindung mit Verschwörungstheorien)
Judenstern – Missbrauch durch Impfgegner