Verschwörungstheorien sind so beliebt, weil sie für die Anhängerinnen und Anhänger unbestreitbare Vorzüge besitzen, die sich vielfältig einsetzen und instrumentalisieren lassen.
Zu unterscheiden sind dabei (1) individuelle, (2) wirtschaftliche und (3) politische Vorzüge und Instrumentalisierungen.
(1) Individuelle Vorzüge und Instrumentalisierungen von Verschwörungstheorien
Verschwörungstheorien….
☛ erklären eine komplexe Welt scheinbar widerspruchsfrei und vermitteln ein Gefühl von „Durchblick“.
☛ geben Orientierung und Halt, indem sie klarmachen, wo der Feind hockt.
☛ reduzieren das unangenehme Gefühl, zufälligen Geschehnissen und Widerfahrnissen ausgeliefert zu sein (scheinbare Kontingenzreduktion).
☛ sind jederzeit durch andere Verschwörungstheorien ersetzbar und stehen in fast unbegrenzter Vielfalt zur Auswahl.
☛ lassen sich kaum widerlegen, weil sie gegen kritische Einwände zuverlässig immunisiert sind.
☛ vermitteln ein Gefühl der Überlegenheit gegenüber denjenigen, die den „Durchblick“ nicht haben. So stabilisieren sie das Selbstwertgefühl.
☛ sind oft verbunden mit einer Mission, die vielen „Schlafschafe“ in der Bevölkerung „aufzuklären“. Daraus lässt sich Sinn gewinnen.
(angelehnt an: Hannes Stein, „Endlich Nichtdenken – Handbuch für den überforderten Intelektuellen“, Eichborn 2004, leider vergriffen).
(2) Wirtschaftliche Vorzüge und Instrumentalisierungen
Verschwörungstheorien bieten vielfältige Erwerbschancen. Dabei gibt es manchmal Überscheidungen mit den Märkten von Esoterik und Alternativmedizin, die für Verschwörungstheorien eine gewisse Anfälligkeit zeigen.
Der wohl bekannteste Konspirations-Unternehmer in den USA ist Alex Jones.
In Deutschland macht der Kopp-Verlag saftige Geschäfte mit Verschwörungstheorien. Aber die meisten Anhängerinnen und Anhänger von Verschwörungsmythologien engagieren sich in ihrer Freizeit. Holm Gero Hümmler schreibt: «Abgesehen von Gerhard Wisnewski, Jan van Helsing und eventuell Daniele Ganser dürfte es …kaum deutschsprachige Autoren geben, die allein vom Verbreiten von Verschwörungsglauben leben können.» (2019, Seite 200). Ivo Sasek dürfte auch dazu gehören.
(3) Politische Vorzüge und Instrumentalisierungen
Verschwörungstheorien eignen sich auch zur politischen Instrumentalisierung. Sie vertiefen die Polarisierung und festigen die Lagerbildung. So lassen sie sich zur Machtsteigerung und Machtergreifung nutzen. Mit einer demokratischen Kultur ist das jedoch gar nicht vereinbar.
Beispiele für politische Instrumentalisierung von Verschwörungstheorien gibt es in grosser Zahl.
Donald Trump startete sein politisches Handeln mit der Verbreitung von Verschwörungstheorien zu Barack Obamas Geburtsurkunde auf Twitter. Er gehört damit zu den sogenannten Birthern, die davon überzeugt sind, dass Obama gar nicht in den USA geboren wurde und deshalb ein illegitimer Präsident sei. Selbst nach der Veröffentlichung seiner Geburturkunde, die Hawaii als Geburtsort bestätigt, lassen die Birther nicht von ihrer Verschwörungstheorie ab. Um Fakten geht es ihnen nicht.
In Deutschland und Österreich wird die schon in der Nazizeit bestehenden Verschwörungstheorie einer «Umvolkung» zum Beispiel von AfD, Pegida und FPÖ instrumentalisiert (bei der Neuen Rechten: Grosser Austausch).
Es handelt sich dabei um eine alarmistische Warnung vor einem imaginierten «Bevölkerungsaustausch». Skudlarek (2019, Seite 130) schreibt dazu: «Schon der Begriff selbst ist mehr als unklar, denn eigentlich müssten viele ‘Austausch-Gegner’ das Land bereits verlassen haben. Für einen neuen Bürger, der dazukommt, müsste einer das Land verlassen. Sonst ist es kein (Aus-)Tausch. Zu meiner persönlichen Enttäuschung bleiben die Austausch-Verschwörungstheoretiker jedoch alle hier.»
Die schlimmsten politischen Instrumentalisierungen von Verschwörungstheorien führen regelmässig zu Massentötungen und Genoziden.
Beispiele aus dem 20. Jahrhundert:
☛ Das Konstrukt einer «Jüdisch-bolschewistischen Weltverschwörung» im Nationalsozialismus führte in den Holocaust und in die Ausrottungsstrategie gegen die slawische Bevölkerung im Osten.
☛ Die «Stalinistischen Säuberungen» in der Sowjetunion basierten auf Verschwörungstheorien gegen eine ganze Reihe von realen und eingebildeten Feinden (Trotzkisten, Grossbauern, Juden, ethnische Minderheiten, «Klassenfeinde» u. a.).
☛ Mao’s Kulturrevolution in China instrumentalisierte Feindbilder gegen die alten Eliten, die «Bürokratenklasse», «Revisionisten» und «kapitalistische Machthaber».
☛ Beim Völkermord in Ruanda lässt sich zeigen, wie zur Vorbereitung des Genozids die Verschwörungstheorien gegen die Tutsi aufgebaut und instrumentalisiert wurden.
☛ Der Völkermord an den Armeniern basiert auf Verschwörungstheorien – den Armeniern wurde vorgeworfen, konspirationistisch mit dem Feind zu paktieren.