Kaum ein Ereignis der jüngeren Vergangenheit hat zu mehr Verschwörungstheorien geführt als die Anschläge auf das World Trade Center (WTC) und das Pentagon am 11. September 2001 («9/11»).
Hat die US-amerikanische Regierung die Zerstörung des World Trade Center inszeniert, um einen Vorwand für den Einmarsch in Afghanistan und im Irak zu bekommen? Hat sie Hinweise auf bevorstehende Anschläge zum gleichen Zweck absichtlich ignoriert?
So lauten Fragen zu 9/11, die seither nicht mehr verstummen.
Fast 20 Jahre sind seither vergangen und die Truther sind in dieser Zeit nicht wirklich vom Fleck gekommen. Immer noch versuchen sie mit allerlei technischen Einwänden zu belegen, dass kontrollierte Sprengungen und nicht Flugzeugeinschläge die WTC-Gebäude zum Einsturz gebracht haben. Hier gibt es eine Videoreihe auf YouTube, die sich mit diesen Einwänden auseinandersetzt.
Und der Historiker Daniele Ganser tingelt immer noch mit den gleichen Suggestivfragen zu 9/11 durchs Land und zeigt Videos, die haargenau so zugeschnitten sind, dass sie seine Unterstellungen zu bestätigen scheinen.
Grundsätzlichere Fragen zu 9/11
Interessanter ist aber betreffend 9/11 möglicherweise ein anderer Aspekt, den Thomas Grüter in der Zeitschrift «Spektrum der Wissenschaft» dargelegt hat. Er setzt auf einer grundsätzlicheren Ebene an und verliert sich deshalb nicht in technischen Details:
«Der saudi-arabische Terroristenführer Osama bin Laden hat mehrfach erklärt, seine Terror-Organisation al-Qaida habe die Attentate auf das World Trade Center und das Pentagon vorbereitet und durchgeführt. Aber gerade in Europa glauben viele Menschen trotzdem, die amerikanische Regierung habe diese Verbrechen selbst in Auftrag gegeben oder sogar selbst durchgeführt. Das ist eine bemerkenswerte Anschuldigung, denn den Auftraggebern und den Handlangern würde in den USA nicht weniger als die Todesstrafe drohen. Sie müssten sich unter anderem wegen Hochverrat, Mord in mehr als 3000 Fällen, und die Verschwörung zu diesen Straftaten verantworten. Nach amerikanischem Recht kann jeder Teilnehmer einer kriminellen Verschwörung für alle Straftaten herangezogen werden, die einer der Verschwörer begangen hat. Wer sich als Kronzeuge zur Verfügung stellt, darf aber mit Straferlass oder vollständiger Amnestie rechnen. Bisher hat sich niemand gemeldet, obwohl die Verschwörung mehrere tausend Mitwisser gehabt haben müsste. Das spricht eher gegen eine Beteiligung der US-Regierung, ohne die Details einzusteigen.»
Bei der grossen Zahl von nötigen Mitwissern müsste schon längst jemand als Whistleblower aufgetreten sein oder aus Unachtsamkeit etwas Ausgeplaudert haben.
Thomas Grüter erklärt illustriert das mit einem Hinweis auf Niccolò Machiavelli (1469–1527).
Schon der italienische Staatsphilosoph Niccolò Machiavelli hat erklärt, dass es unmöglich ist, eine Verschwörung auf Dauer geheim zu halten, wenn die Anzahl der Verschwörer drei oder vier übersteigt. Eine kriminelle Verschwörung ist immer auch ein Rennen gegen die Zeit.
Die einzige Chance, für Geheimhaltung zu sorgen, sah Machiavelli darin, den Verschwörern keine Zeit zum Verrat zu lassen.
Bezogen auf 9/11 schreibt Thomas Grüter:
«Eine Verschwörung von mehreren tausend Menschen über mehr als 10 Jahre dürfen wir demnach als äußerst unwahrscheinlich ansehen. Schon die wesentlich kleinere Verschwörung von Osama bin Laden stand, der Rekonstruktion nach, mehrfach kurz vor dem Scheitern.»
Zum Abschluss dieses Themas stellt Grüter die wichtige Frage nach den Motiven der Truther:
«Von allen Wahrscheinlichkeiten einmal abgesehen: Der Verdacht, die US-Regierung habe ein solches Verbrechen im eigenen Land begangen oder gedeckt, weist auf das in aller Welt verbreitete Misstrauen gegen die USA hin.»
Quelle:
Verschwörungstheorien, Fragen und Antworten (Spektrum der Wissenschaft)
Anmerkungen:
Ein gewisses Mass an Misstrauen gegenüber der US-amerikanischen Regierung mag angemessen sein. Gibt es doch von dieser Seite eine lange Reihe von fragwürdigen Aktivitäten. Wichtig ist dabei allerdings die Unterscheidung zwischen gesundem Misstrauen und toxischem Misstrauen. Siehe dazu hier:
Über toxische Zweifel und toxisches Misstrauen
Misstrauen gegen die US-amerikanischen Regierung kann auch in einem Feindbild gründen, das in Antiamerikanismus wurzelt. Das ist eine Haltung, die dazu neigt, alles Übel in der Welt einseitig den USA in die Schuhe zu schieben. Ein Teil der antiamerikanistischen Szene fühlt sich entsprechend vom autokratisch beherrschten Russland Wladimir Putins angezogen.
Ausserdem:
9/11 Truth Movement (Artikel in deutscher Sprache)
Verschwörungsdenken fördert eine Kultur des Misstrauens