Verschwörungstheorien widerlegen, das ist nicht immer einfach. Am besten geht das manchmal mit subversiver Kritik. Was damit gemeint ist und wie man Verschwörungstheorien widerlegen könnte, erklärt der Philosoph Jonas Pfister in seinem Buch «Kritisches Denken»:
«Eine naheliegende Strategie besteht darin, die Auffassung des Verschwörungstheoretikers zu widerlegen. Diese Strategie verspricht jedoch kaum Erfolg, weil der Verschwörungstheoretiker vermutlich jeden möglichen Einwand gerade als Teil der Verschwörung betrachten wird. Vielleicht wird er dies als Anlass nehmen, um weitere Gründe für seine Auffassung ins Feld zu führen. Unter Umständen kann ein solches Gespräch sehr anstrengend sein, wenn der Gesprächspartner auf Einwände gar nicht eingeht, sondern sie einfach ignoriert, eine im Übrigen sehr wirksame rhetorische Strategie, die in politischen Kontexten nicht selten.»
Wer Verschwörungstheorien widerlegen möchte, bekommt es aber oft noch mit einem weiteren Problem zu tun:
«Wenn wir zur Stützung unserer Auffassung auf anerkannte Medien verweisen, die eine andere Erklärung für das Phänomen als die des Verschwörungstheoretikers liefert, so wird er vielleicht sogar auch diese als Teil der Verschwörung sehen. Die Verschwörer haben ja ein Interesse daran, dass die Menschen sie nicht durchschauen, und eines der besten Mittel, dies zu tun, besteht darin, die Massenmedien zur Beeinflussung der Menschen zu kontrollieren und möglichst nachhaltig beeinflussen zu können. Also werden die Verschwörer sicherlich alles daransetzen, die Kontrolle über die Massenmedien zu übernehmen, um Meldungen und Theorien zu verbreiten, die leicht nachvollziehbar sind und so den Menschen den Anreiz nehmen, nach einer anderen bzw. nach der tatsächlichen Erklärung zu suchen.»
Wir treffen hier also auf die Verschwörungstheorie von der «Lügenpresse» oder von den «Mainstreammedien».
Verschwörungstheorien widerlegen – mit subversiver Kritik?
Jonas Pfister empfiehlt uns «subversive Kritik», wenn wir Verschwörungstheorien widerlegen wollen:
«Die erfolgsversprechende Strategie besteht darin, die Position nicht direkt zu widerlegen, sondern indirekt vorzugehen, indem man die Position untergräbt. Man könnte etwa aufzeigen, welche absurden Konsequenzen aus der Wahrheit der Verschwörungstheorien folgen würden, wie man dasselbe aus anderer Perspektive anders beschreiben oder sehen könnte, welche einfachen natürlichen Erklärungen es für viele Mythen gibt oder welche Folgen für die Menschen Aberglauben hatten. Man versucht also nicht, die Position als solche frontal anzugreifen und zu widerlegen, sondern bemüht sich darum, aufzuzeigen, was sie alles tatsächlich beinhaltet. Man kann dies als subversive Kritik bezeichnet.»
Quelle der Zitate:
«Kritisches Denken», von Jonas Pfister, Reclam Verlag 2020.
Anmerkungen:
Es gibt noch weitere Punkte, die nützlich sein können, wenn man Verschwörungstheorien widerlegen will. Anstelle der oft unergiebigen Diskussionen um die Details einer konkreten Verschwörungstheorie lohnt es sich oft, eher auf einer Metaebene anzugreifen. Gemeint sind dabei Einwände, die gegen alle oder zu mindestens viele Verschwörungstheorien erhoben werden können.
Beispiele:
☛ Einwand 1:
Je grösser die Zahl der Mitwissenden ist, desto rascher werden echte Verschwörungen auffliegen. Das hat schon der italienische Staatsmann Niccolò Machiavelli (1469 – 1527) beschrieben. Siehe dazu:
Machiavelli über Verschwörungen und ihre Grenzen
☛ Einwand 2:
Verschwörungsgläubige gehen in der Regel bei jedem schlimmen Ereignis davon aus, dass ihm ein dahinterliegender bösartiger Plan zugrunde liegt. Dass auch Dummheit, Unachtsamkeit, Zufall, Unfähigkeit etc. als Ursachen in Frage kommen, blenden sie oft aus oder spielen es herunter. Siehe dazu:
Hanlon’s Rasiermesser / Hanlon’s Razor
☛ Einwand 3:
Verschwörungsgläubige schreiben den imaginierten Verschwörern die Macht zu, politische und wirtschaftliche Vorgänge über lange Zeiträume und oft sogar weltweit voll zu kontrollieren. Diese mechanistische Welt- und Menschenbild ist vollkommen unrealistisch. Siehe dazu:
Mechanistisches Weltbild der Verschwörungstheoretiker
☛ Einwand 4:
Nicht alle, aber viele Verschwörungstheorien pflegen radikale Feindbilder, Sündenbock-Denken und einen Böse/Gut-Dualismus. Den zugrunde liegenden Dualismus kann man oft gut in Frage stellen. Er zeigt auch die Ähnlichkeit vieler Verschwörungstheorien mit alten religiösen Konzepten wie der Gnosis und dem Manichäismus.
Fazit: Wer Verschwörungstheorien widerlegen will, sollte sich gut überlegen, wo deren Schwachunkte sind, und sich nicht vorschnell in Detailfragen verstricken lassen.
Siehe auch:
Zum Umgang mit Verschwörungstheorien
Was hilft gegen Verschwörungstheorien?