Je rascher sich der demokratische Präsidentschaftskandidat Joe Biden der magischen Zahl von 270 Wahlleuten nähert, die ihm den Einzug ins Weiße Haus sichern würden, umso stärker schießen unter den Anhängern von Donald Trump die Verschwörungstheorien ins Kraut.
Dabei mischt teilweise auch die Präsidenten-Familie kräftig mit. So präsentierte beispielsweise am Mittwochabend Sohn Eric Trump bei einer Pressekonferenz in Philadelphia (Pennsylvania) ein kurzes Video, das einen angeblichen Wahlbetrug zeigen sollte. Die Aufnahmen zeigten, wie ein Bündel von Stimmzetteln in einer Tonne verbrannt wurde. Und schwupps, schon wird wieder die Verschwörungstheorie vom Wahlbetrug gefüttert.
Kurze Zeit danach stellte sich heraus: Es handelte sich um Muster-Stimmzettel für eine Schulung, die nie in Wählerhand geraten waren. So rasch konstruiert man nicht vorhandene Zusammenhänge, wenn man überall böse Machenschaften unterstellt.
Auch die Klagen vor Gerichten, die das Trump-Team inzwischen in mehreren Bundesstaaten gegen das Auszählungsverfahren eingereicht hat, befeuern die Befürchtungen unter Trump-Fans, sie würden um den Sieg betrogen. Eine Sichtweise, die Trump schon in der Wahlnacht bei seinem viel kritisierten Auftritt gestreunt hatte. Dort hatte er von einem „großen Betrug an der Öffentlichkeit“ schwadroniert. Eine Behauptung vollkommen ohne Belege, die dennoch rasch auf fruchtbaren Boden fiel. Was allerdings nicht gross überrascht. Denn schließlich hatte Donald Trump sich die letzten fünf Jahre intensiv damit beschäftigt, über Wahlmanipulationen gegen ihn zu fantasieren, die Medien als Mittäter und Feinde des Volkes zu beschimpfen und daran zu glauben, dass ein „Deep State“ geführt von Anhängern Barack Obamas gegen ihn intrigiere.
Verschwörungstheorien brauchen keine Fakten
Und das bleibt nicht ohne Folgen. Als zum Beispiel spät in der Wahlnacht einige Bundesstaaten Pausen bei der Meldung von Stimmen hatten, weil Voten sortiert und geprüft werden mußten, witterten Anhänger des Präsidenten rasch Verrat. In sozialen Medien wie Facebook und Twitter fanden sich viele Meinungen, die derjenigen von Liz Montalvo aus dem Bundesstaat Texas ähnelten: „Sie haben das Zählen gestoppt, weil Trump und die Republikaner gewinnen. Es gibt keinen anderen logischen Grund dafür.“
Im umkämpften Bundesstaat Arizona, den der demokratische Herausforderer Joe Biden nach letzten Berechnungen mit voraussichtlich über 50 Prozent dem konservativen Lager abnehmen wird, verbreitete sich am Mittwoch das Gerücht wie ein Lauffeuer, Tausende von Stimmen für Donald Trump seien disqualifiziert worden, weil das Kreuzchen auf dem Wahlzettel mit einem im Wahllokal zur Verfügung gestellten Filzschreiber gemacht worden war. Und schon ging bei Trump-Anhängern das Schlagwort vom «Sharpiegate» viral.
Bei der Verbreitung dieses „Skandals“ auf konservativen Web-Portalen und auf Twitter wurde allerdings nicht erwähnt, dass den Bürgern sogar empfohlen wurde, diese Stifte zu nutzen. Arizonas Staatssekretärin Katie Hobbs bemühte sich darauf hin, die auf Video festgehaltenen falschen Behauptung einer Trump-Anhängerin zu zerstreuen. Sie erklärte, dass alle mit diesem Stift ausgefüllten Stimmzettel gezählt würden. Und falls die Maschinen sie nicht lesen könnten, würden sie manuell bearbeitet. Es gebe keinerlei Basis für eine Verschwörung. Dennoch versammelten sich in der Nacht zu gestern in Arizona Dutzende von teilweise bewaffneten Trump-Unterstützern vor Wahllokalen und dem „State Capitol“ ein, um in Sprechchören zu verlangen: „Zählt die Stimmen!“ Auch in Michigan, Nevada und Pennsylvania kam es zu Demonstrationen.
Quelle:
US-Präsidentschaftswahl: Die große Stunde der Verschwörungstheorien (Saarbrücker Zeitung online)
Anmerkung:
Die Beispiele zeigen, wie rasch sich politische Verschwörungstheorien füttern lassen und wie schnell sie sich verbreiten. Vor allem in einer stark polarisierten Gesellschaft. Hier wird nicht mehr überprüft, ob eine Meldung korrekt ist. Hier wird unbesehen geteilt, was dem eigenen Weltbild entspricht.
In der Enzyklopädie gibt’s einen Artikel zu:
Wahlbetrug / Wahlmanipulation als Unterstellung und Verschwörungstheorie
Und eine Zusammenstellung von Donald Trumps Lieblings-Verschwörungstheorien:
Trump Donald – ein Meister in der Bewirtschaftung von Verschwörungstheorien
Allgemeiner zu Verschwörungstheorien in der Politik:
Welche politischen Interessen stehen hinter Verschwörungstheorien?